Verwählt

 In Spätkapitalistische Systementwicklung

Die Bundestagswahl 2013 als Ausdruck einer strukturellen Legitimationskrise

 

In der kritischen Sozial- und Politikwissenschaft wird schon seit längerer Zeit das strukturelle Problem einer wachsenden Entfremdung zwischen Wahlbevölkerung und politischem System festgestellt. Im Endeffekt hat dieses Auseinanderdriften zu einer zunehmenden Aushöhlung der repräsentativen Demokratie sowie zu einer chronischen Legitimationskrise geführt. Als wesentliche Indikatoren dieses Zustandes werden dabei folgende Erscheinungen hervorgehoben:

A. Das Vertrauen in Parteien, Politiker und Parlamente nimmt nicht nur in Deutschland, sondern generell in fast allen OECD-Staaten ab[1]. Die Wahlbürger sehen in den etablierten „Volksparteien“ immer weniger problemlösungsfähige Instanzen und adäquate Interessenvertreter, so dass die Repräsentativität der Parteien zunehmend in Frage gestellt ist. Wie der Geschäftsführer des Bielefelder Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid, Klaus-Peter Schöppner, feststellte, werde den Parteien nur noch eine geringe Kompetenz zuerkannt. „In Umfragen habe sich der Anteil derjenigen verdoppelt, die der Aussage zustimmen: ‚Keine Partei ist kompetent.’“ (Neue Osnabrücker Zeitung vom 19. September 2013, S. 5.)

Hinzu kommt ein wachsender Ansehensverlust der Politiker, der durch diverse Skandale (zum Beispiel Plagiats- und Korruptionsaffären) beständig befeuert wird.

B. Aufgrund dieses Vertrauens- und Ansehensverlustes in die etablierten politischen Akteure sinkt die Wahlbeteiligung und erhöht sich gleichzeitig tendenziell die Bereitschaft zur Wahl von „Protestparteien“. D. h.: Es erweitert sich das Spektrum der Nicht- und Protestwähler zu Lasten der etablierten „Volksparteien“. Zudem sinken die Mitgliederzahlen der etablierten Parteien zum Teil rapide, während die Bereitschaft, Mitglied einer etablierten Partei zu werden, im Gegenzug deutlich abnimmt. Demgegenüber wächst andererseits das Bedürfnis nach direkter Demokratie, wobei sich der darin zum Ausdruck kommende Argwohn primär gegen die etablierten Parteien richtet: „Wenn die Bürger mit großer Mehrheit der Ansicht zustimmen, dass man durch die Teilnahme an Wahlen nichts bewirken könne, braucht man sich über die tatsächlich rückläufige Wahlbeteiligung nicht zu wundern“ (Decker u. a. 2013, S. 124).

C. In dem Maße, wie sich überdies die Unterschiede zwischen den Parteien zunehmend verwischen, vertreten zwei Drittel von allen Gesellschaftsgruppen einhellig die Auffassung, dass Parteien keine echte Alternative mehr bieten. Dementsprechend sinkt die Parteienidentifikation gerade auch unter politisch Gebildeten. Sogar die FAZ vom 24. September 2013, S. 1, stellte in einem Kommentar zum Ausgang der Bundestagswahl fest: „Merkel hat die CDU so nahe an die SPD herangerückt, dass man auf vielen Feldern nicht mehr weiß, wo die eine Partei anfängt und die andere aufhört.“ Folglich ist der Anteil der Protest- und Wechselwähler dramatisch angestiegen, während der Anteil der Stammwähler ebenso dramatisch von 60 Prozent (1990) auf 38 Prozent (2012) gesunken ist (Schöppner a. a. O.).

D. Die zunehmende Erosion bzw. Funktionsstörung des parlamentarischen Repräsentationssystems erweist sich letztendlich als eine Verzerrung bzw. Desartikulation des politischen Willens des demokratischen Souveräns. Dieser Zustand wird als „Postdemokratie“ bezeichnet (Crouch 2008), d. h. als grundlegender Substanzverlust und Deformierungsprozess der Demokratie bei formal intakt bleibenden Institutionen. So stehen heute bestenfalls ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung hinter der „stärksten“ Partei, die den Regierungschef stellt, und es kommt zu Wahlergebnissen, die „unnatürliche“ und damit handlungsdiffuse Regierungskoalitionen hervorbringen, die von den Konkurrenten keiner gewollt hat. Genau dieses Resultat zeigt sich auch im Ausgang der Bundestagswahl 2013.

 

Ursachen der politischen Legitimationskrise

Die absehbar begrenzte Sonderkonjunktur der Nachkriegsperiode („Wirtschaftswunder“) hatte nicht nur in Westdeutschland die Utopie eines krisenfreien Kapitalismus („soziale Marktwirtschaft“) ohne Klassenwidersprüche („nivellierte Mittelstandsgesellschaft“) und mit kontinuierlich wachsendem Wohlstand im Rahmen einer stabilen sozialpartnerschaftlichen Harmonie zwischen Unternehmen und Gewerkschaften hervorgebracht. Grundpfeiler dieses – situativ betrachtet durchaus verständlichen – Zeitgeistes waren a. die Korrespondenz zwischen höheren Gewinnen und höheren Löhnen sowie b. der Aufbau eines keynesianischen Sozialstaates. Hinzu trat c. der gegen den „realen Sozialismus“ gerichtete „atlantische Antikommunismus“ als Staatsräson und verbindende Leitideologie über alle sozialen Schichten hinweg. Insbesondere Westdeutschland fungierte als lockendes Schaufenster gegenüber den „armen Brüdern und Schwestern“ hinter dem Eisernen Vorhang. Nie war die Systembejahung und -loyalität so groß wie zur Hochphase des „fordistischen Kapitalismus.“

Dann aber setzte ab spätestens Mitte der 1970er Jahre aufgrund der neu aufgebrochenen Verwertungsprobleme des Kapitals und bedingt durch den „Ölpreisschock“ der neoliberale Angriff auf den keynesianischen Wohlfahrtstaat ein. Dieser wurde nunmehr als „Profitratenkorsett“ angesehen, und so waren es aus nahe liegenden Gründen nicht die Lohnabhängigen, sondern die „Profitabhängigen“, die sich vom Modell des sozialstaatlich-keynesianischen Kapitalismus abwandten. Konzeptionell tonangebend wurden jetzt die Zurückdrängung des Interventionsstaates und die Wiederherstellung angemessener Gewinnspannen durch freie Märkte und Deregulierung der ökonomischen Tätigkeiten. So kam es zur Verantwortungsentlastung des Staats durch Privatisierung der Daseinsvorsorge; Abbau von Arbeitnehmerrechten und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse; Zunahme der wirtschaftlichen Ungleichheit, hohe Sockelarbeitslosigkeit etc.

Eine zentrale Reaktion auf die neoliberale Zurückdrängung des Sozialstaates, der Aufkündigung der Sozialpartnerschaft sowie der Verschlechterung der Verkaufs- und Existenzbedingungen der Ware Arbeitskraft war dann die zunehmende Abwendung breiter Teile der lohnabhängigen Schichten vom politischen System und seinen tragenden Akteuren. Wahlmüdigkeit, politische Apathie, Parteiaustritte, Ablehnung der politischen Klasse etc. nahmen zu. Zudem verfiel mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus und dem Fall der Mauer auch der antikommunistische Legitimations- und Identifikationskitt zwischen Regierung und Bevölkerung, während gesellschaftskritische Artikulationen nicht mehr mit dem zynischen Hinweis abgewehrt werden konnten: „Geht doch nach drüben“. Denn dort blieben jetzt trotz Solidaritätsbeitrag die „blühenden Landschaften“ aus.

Parallel und ergänzend zur innergesellschaftlichen Neoliberalisierung wurde hinter dem Rücken und über die Köpfe der europäischen Bevölkerungen hinweg ein „Europa der Kapitalinteressen“ geschaffen, mit einer abgehobenen Eurobürokratie und desaströsen Finanz- und Währungspolitik, die in vertragsbrüchiger Weise eine antidemokratische Schuldenunion auf Kosten der entmündigten Steuerzahler geschaffen hat und dieses politisch-sozialökonomische Attentat auch noch schlitzohrig als „Solidarität“ propagiert. Hinzu kommt die schleichende Enteignung der politisch-rechtlichen Selbstbestimmung der EU-Staaten auf zahlreichen Gebieten. (Vgl. von Arnim 2006; Streeck 2013) Auch diese missratene EU-Politik wirkt als Katalysator der Legitimationskrise.

Nicht zuletzt hat auch die problembehaftete Masseneinwanderung religiös-vormodern geprägter und zum Teil auch integrationsunwilliger Menschen zu einer wachsenden Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung geführt. Verantwortlich dafür war eine bislang verfehlte bzw. völlig konzeptionslose Einwanderungspolitik. Im Zentrum steht hier der Streit um die Etablierung und Ausbreitung islamischer Herrschaftskultur und gegengesellschaftlicher Milieus mit ihren vielfach grund- und menschenrechtswidrigen Inhalten. Während der herrschende politisch-mediale Apparat jede Form von Islamkritik systematisch diskriminiert und darüber hinaus Islamisierungstendenzen staatlich umfassend fördert und begünstigt, dominieren in unterschiedlichen weltanschaulichen Sektoren der Gesellschaft islamkritische Einstellungen. Es kann deshalb auch von daher nicht wirklich überraschen, dass zahlreiche islamkritisch Eingestellte soviel Selbstachtung besitzen, dass sie es unterlassen, Parteien zu wählen und ein System zu unterstützen, deren Vertreter sie als „Rassisten“, „Fremdenfeinde“, „Islamophobe“ etc. beschimpfen. Die mediale Ausgrenzung und wahrheitswidrige Verleumdung islamkritischer Positionen („Feindbild Islamkritik“; vgl. Krauss 2010) führt letztendlich nur dazu, dass noch mehr Öl ins Feuer gegossen wird und das Hass- und Ablehnungspotenzial gegen das postdemokratische Herrschaftssystem weiter ansteigt. Manche antizipieren bereits eine kommende Revolte: „Ohne eine politische Führung, die über ein klares Konzept verfügt, ist der Umsturz nicht mehr abzuwenden. Es werden künftig unzählige gesellschaftliche Konflikte ausgetragen, die gerade nicht zu einem neuen Gesellschaftsvertrag führen, sondern uns ins Chaos stürzen“ (Ley 2012).

 

Zum Ergebnis der Bundestagswahl

Viel Oberflächliches und Unmittelbarkeitsfixiertes wurde über den Sieg von Angela Merkel publiziert. Und so blieb „an Tagen wie diesen“ folgender Tatbestand unbeleuchtet, der sich nahtlos in das zuvor Dargelegte einfügt:

Selbst ohne die 2.052.372 Zweitstimmen für die AfD (als einzig nennenswerte Protestpartei, die zur Wahl angetreten war) gab es mehr Nichtwähler und ungültige Zweitstimmen (18.201.509) als Wähler für die CDU/CSU (18.148.256).

Rechnet man Nichtwähler, ungültige Zweitstimmen und Zweitstimmen für die AfD zusammen, kommt man auf 20.253.881. (Das Lager der Nicht- und Protestwähler, dem man eventuell noch die knappe Million Zweitstimmen für die Piraten hinzufügen könnte.)

CDU/CSU und FDP, also das abgewählte Regierungslager, kamen zusammen auf 20.230.561 Zweitstimmen.

SPD, Linkspartei und Grüne, das gerupfte Lager der parlamentarischen Opposition, erzielten 18.609.174 Zweitstimmen. Für diese Parteien hat sich weder der zu platte Umverteilungs- und Sozialpopulismus noch die proislamische Anbiederung an muslimische Wähler und Beschneidungsbefürworter rentiert.

Die Allergie von islam- und bescheidungskritischen Wahlberechtigten gegenüber diesem Anbiederungskurs wiegt schwerer. Hinzu kommt die Unterstützung von SPD und Grünen für die Eurorettungspolitik sowie die Unglaubwürdigkeit und Unausgegorenheit ihrer Gerechtigkeitsdiskurse.

Während die Linkspartei auch im Westen noch weiter zurückging, hat sie in Ostdeutschland viele Stimmen verloren und zu einem guten Teil an die AfD abgeben müssen. Das ist ein interessanter Nebenaspekt. Außer der zerbröselten FDP hat die Linkspartei die meisten Stimmenanteile verloren und sackte von 11,9 auf 8,6 Prozent. Damit schnitt sie aber immerhin noch stärker ab als die weit überschätzten Grünen.

 

Die AfD – neuer Hoffnungsträger oder Illusionsobjekt?

Als Reaktion auf die Aussage der Kanzlerin, zur Eurorettungspolitik der von ihr geführten Regierung gäbe es keine Alternative, hatte sich erst vor kurzer Zeit die „Alternative für Deutschland“ formiert. Mit 4,7% konnte diese neue Partei aus dem Stand einen Achtungserfolg erzielen. In Anbetracht der verfehlten und tendenziell ruinösen Euro-Rettungspolitik ist es aber gar nicht wirklich überraschend, dass Teile der Nichtwähler, in erster Linie allerdings ehemalige FDP- und Linksparteiwähler, der AfD ihre Stimme gaben.

Zudem profitierte die AfD von der ungedeckten Illusion, sie könne und wolle auch die Rolle eines Sammelbeckens für  islamkritische Kräfte übernehmen. Diese Funktion wird die AfD mit ihrer jetzigen Ausrichtung und mit ihrem derzeitigen Führungspersonal aber weder ausfüllen wollen noch ausfüllen können. Dass die neue Partei auf das Überlaufen von Mitgliedern der „Freiheit“ (eine gescheiterte Partei von antislamischen Akteuren rechts von der CDU/CSU) reserviert bis ablehnend reagiert und so etwas wie eine Gesinnungsüberprüfung für Neumitglieder eingeführt hat, kann man ihr einerseits nicht verübeln. Andererseits zeigten sich AfD-Funktionsträger weniger abgrenzungsbereit gegenüber rechten Burschenschaften und kokettierten ganz im Stile der etablierten Parteien mit Teilnahmen am muslimischen Fastenbrechen. Solche Aktionen sollten zukünftig vermieden werden, wenn man im Sinne des Parteinamens glaubwürdig bleiben will.

Der harte Kern der AfD dürfte wohl klug genug sein, eine Zerreißprobe wegen der Aufnahme von rechtskonservativen Islamkritikern zu vermeiden und hat deshalb gute Chancen, nach der Europawahl im nächsten Frühjahr ein paar Abgeordnete ins Europaparlament zu schicken. Als monothematische Partei mit ihrem jetzigen weltanschaulich-politisch diffusen Profil wird es die AfD aber sehr schwer haben, sich längerfristig im Parteienspektrum zu behaupten und größere Teile der multidimensional frustrierten Nicht- und Wechselwähler auf sich zu ziehen.

 

Grundvoraussetzungen einer progressiven Krisenlösung

Um die „postdemokratische“ Legitimationskrise zu überwinden, wären folgende Voraussetzungen zu schaffen.

  1. Erforderlich wäre zunächst die Neugründung einer säkular-demokratischen Partei des gesellschaftlichen Fortschritts, die folgende programmatische Schwerpunkte setzt bzw. in Angriff nimmt:
  2. Die Zurückdrängung und Brechung der neoliberal vorangetriebenen Kapitaldominanz in Schlüsselsektoren der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge wie dem Gesundheitssystem, dem Energiesektor, dem Verkehrssystem, der Post, dem Wohnungsangebot u. a. (Stopp und Revision des Privatisierungswahns!)
  3. Konsequente Bekämpfung und Illegalisierung der im Zuge der Marktradikalisierung erneuerten Methoden der Mehrwertabpressung (Missbrauch der Leiharbeit; nicht bezahlte Überstunden; menschenunwürdige Entlohnung und Unterbringung von „Vertragsarbeitern“, Verwandlung von Vollzeitarbeitsplätzen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse; gezielte Abwälzung von Lohnkosten auf das Sozialtransfersystem /“Aufstocken“ etc.)
  4. Absage an die Eurorettungspolitik und die Demontage nationalstaatlicher Souveränitätsrechte durch die EU. Für ein Europa der Aufklärung – Kein Europa des Großkapitals.
  5. Vollendung der Säkularisierung in Deutschland durch Abschaffung des Staatskirchenrechts; Trennung von Religion und Staat insbesondere auch im Bildungswesen; Überwindung der Privilegierung religiöser gegenüber nichtreligiösen Weltanschauungen; Beseitigung des missbräuchlichen Deckungsschutzes der „Religionsfreiheit“ als Alibi für die Festsetzung und Ausbreitung grund- und menschenrechtswidriger Sozialmilieus (vgl. dazu Krauss 2013).
  6. Grundlegung einer neuen Zuwanderungs- und Integrationspolitik mit einer differenzierten „Willkommenskultur“: Offene Türen für qualifizierte, bildungsorientierte und integrationswillige Immigranten, die sich den Leitideen der kulturellen Moderne anpassen bzw. diese befürworten; Beendigung der Alimentierung, rechtlichen Duldung und offiziellen Ignorierung bis Verharmlosung von Zuwanderern mit einem antiemanzipatorischen, reaktionär-menschenrechtsfeindlichen Einstellungs- und Bewusstseinsprofil bis hin zur erweiterten Reproduktion krimineller Gegenmilieus mit eigener „Paralleljustiz“.
  7. Nachhaltige Umwälzung der öffentlichen Debattenkultur über den Islam: Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam auf emanzipatorisch-menschenrechtlicher Grundlage muss nicht nur erlaubt sein, sondern sollte zur fortschrittlich-demokratischen Staatsräson werden[2]. Moderne, an den Ideen der Aufklärung orientierte, säkular-demokratische Gemeinwesen können sich schon aus Selbsterhaltungsgründen keine „Neutralität“ gegenüber totalitären Weltanschauungen leisten, auch dann nicht, wenn diese in einem religiösen Gewand auftreten (vgl. Krauss 2003).
  8. In Anlehnung an das Schweizer Modell wären mehr direkt-demokratische Verfahren und Abstimmungsmöglichkeiten in das politische Regulierungssystem einzuführen.
  9. Im Interesse der Verbesserung der öffentlichen politischen Debatten- und Entscheidungsfindungskultur müsste die mediale Infotainmentberieselung (Vermischung von Politik und Unterhaltung zum Beispiel in chaotischen und oberflächlich bleibenden Talkshows) zurückgeschraubt und durch das chancengleiche Aufzeigen von alternativen politisch-programmatischen Positionen ersetzt werden. Das würde allerdings gravierende Veränderungen in der Verfügungsmacht über die Massenmedien erfordern. (Mehr Macht der Gebührenzahler über das öffentlich-rechtliche Mediensystem und Schaffung neuer, öffentlich-rechtlich kontrollierter – statt an privatkapitalistische und intransparente lobbyistische Interessen gekoppelte – Printmedien).
  10. Da Demokratie letztendlich von der Teilhabemotivation und -kompetenz der Gesellschaftsmitglieder lebt, müsste viel mehr in politische und gesellschaftswissenschaftliche Bildung und Aufklärung statt in religiöse Gesinnungserziehung und kulturalistische Scheinintegrationsprojekte investiert werden.

Aktuell jedenfalls befinden wir uns in folgender misslichen Lage: Auf der einen Seite steigt die gesellschaftliche Problemkomplexität und damit das Anforderungsniveau an das politische Reflexionsvermögen. Auf der anderen Seite sinken sowohl die subjektiven Bildungsvoraussetzungen als auch die demokratischen Überzeugungspotenziale. „Wenn 100 Prozent einer Bevölkerung von den Grundwerten und Prinzipien der ‚kulturellen Moderne’ bzw. einer säkular-demokratischen Gesellschaftsordnung überzeugt sind, dann ist es egal, wie sie sich ethnisch zusammensetzt. Aber wenn der eine Teil einer Bevölkerung an die menschenrechtlich fundierte Demokratie glaubt und der andere nicht, spielt es eine große Rolle, ob der menschenrechtlich-demokratische orientierte Teil 90 oder nur 60, 50 oder 45 % der Bevölkerung auf sich vereint“ (Krauss 2008, S.441).

 

Literaturangaben:

Arnim, Hans Herbert von: Das Europa-Komplott. Wie EU-Funktionäre unsere Demokratie verscherbeln. München und Wien 2006.

Crouch, Colin: Postdemokratie. Frankfurt am Main 2008.

Decker, Frank; Lewandowsky, Marcel; Solar, Marcel: Demokratie ohne Wähler? Neue Herausforderungen der politischen Partizipation. Bonn 2013.

Krauss,Hartmut: Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen ‚prämoderner’ Herrschaftskultur und kapitalistischer ‚Moderne’. Osnabrück 2003.

Krauss , Hartmut: Islam, Islamismus, muslimische Gegengesellschaft. Eine kritische Bestandsaufnahme. Osnabrück 2008.

Krauss, Hartmut (Hrsg.): Feindbild Islamkritik. Wenn die Grenzen zur Verzerrung und Diffamierung überschritten werden. Osnabrück 2010.

Krauss, Hartmut: Der Islam als grund- und menschenrechtswidrige Weltanschauung. Ein analytischer Leitfaden. Osnabrück 2013.

Ley, Michael: Die kommende Revolte. München 2012.

Schäfer, Armin: Krisentheorien der Demokratie: Unregierbarkeit, Spätkapitalismus und Postdemokratie. In: Der moderne Staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Mangement, Heft 1/2009, S. 159-183.

Streeck, Wolfgang: Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2012. Berlin, 2. Auflage 2013.

Oktober 2013

 

[1] „Durchschnittlich antworten vier von fünf Befragten des Eurobarometers, dass sie Parteien nicht vertrauen“ (Schäfer 2009, S. 175).

[2] Zu überwinden ist auch der unhaltbare rechtliche Zustand, dass islamkritische Positionen als Spielart religions- und ideologiekritischer Einstellungen hemmungslos als „rassistisch“, „fremdenfeindlich“ ,„islamophob“ etc. diskriminiert werden dürfen. Auch auf diesem Gebiet wäre eine neue politische und rechtliche Bewertungs- und Ahndungskultur durchzusetzen.

 

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