Islamdebatte in Deutschland- Zur Anatomie einer komplexen Diskursverwirrung
Vorbemerkung
Nach der Sarrazin-Debatte, dem Schweizer Minarett-Verbot und dem knapp misslungenen Terroranschlag auf den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard sind relevante Teile der herrschenden Medien dazu übergegangen, es angesichts wachsender islamkritischer Stimmungen und Einstellungen in den westeuropäischen Bevölkerungen nicht nur bei relativ erfolgloser volkspädagogisch-islamophiler Propaganda zu belassen. Nunmehr haben sie sich dazu entschlossen, die Flucht nach vorn anzutreten und wie ein ideologischer Sturmtrupp der OIC mit offener Hetze und demagogischen Haltet-den-Dieb-Methoden gegen Islamkritiker zu Felde zu ziehen. Auf diese Weise wird zumindest objektiv ein geistiges Klima erzeugt, das die in Lauerstellung befindlichen radikalislamischen Kräfte dazu anstachelt und ermuntert, ihre Praxis der Einschüchterung, der Mordaufrufe und Denunziationen etc. zu intensivieren und ihre reaktionär-aggressiven Umtriebe zu steigern. Ein aktuelles Beispiel bildet in diesem Kontext der Versuch, die kritische Anwendung psychoanalytischer Begriffe auf den Islam zu kriminalisieren, wie das Vorgehen eines Muslimfunktionärs gegen den Bielefelder Soziologieprofessor Heinz Gess demonstriert.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gut organisierte und in den Print- und audiovisuellen Medien komfortabel positionierte Gang islamophiler Demagogen nicht nur über einen „Stürmer“, sondern gleich über ein ganzes Arsenal von Gazetten verfügt, vermittels derer sie ihren ideologischen Spam verbreiten. (Halbwegs Informierte mit intakter Gedächtnisfunktion wissen, welche „Zentralorgane“ und Feuilletonchefs der Islamapologetik gemeint sind.) Folgt man der ebenso perfiden wie wahnwitzigen Konstruktion dieser Meinungsmacher, dann ist nicht etwa ein radikaler Muslim in das Haus von Kurt Westergaard eingedrungen, sondern ein Aktivist von PI hat einen Muslimfunktionär mit Axt und Messer bewaffnet in dessen heimischen „Panikraum“ getrieben. Nicht etwa ein holländischer Filmemacher wurde von einem radikalen Muslim auf offener Straße ermordet, sondern ein extremistischer Moscheebaugegner hat einen Fememord an einem notorisch-proislamischen Leitartikler begangen. Nicht Robert Redeker lebt im Untergrund, sondern Tariq Ramadan etc.
Nachdem die „Waffen der Kritik“ im Grundsatz mittlerweile genügend in Anschlag gebracht und zumindest im Internet hinreichend multipliziert worden sind (wer will, kann die einschlägigen Analysen leicht auffinden und lesen und sich die entsprechende Grundlagenliteratur auch in gedruckter Form problemlos beschaffen), müsste nun in absehbarer Zeit die islamkritische Bewegung in Deutschland im Rahmen einer neuen Kritischen Islamkonferenz über eine praktisch-organisatorische Neuaufstellung und verbesserte Handlungsstrategie und -Taktik zielführend debattieren.
Zuvor ist aber noch einmal die bislang verfehlte Islamdebatte in Deutschland zu rekapitulieren. Dieser Fragestellung widmet sich der folgende Text.
Einleitung
Die in Deutschland geführte Islamdebatte ist seit geraumer Zeit nicht nur auf die schiefe Bahn, sondern in eine verhängnisvolle Sackgasse geraten. Ausschlaggebend war und ist hier in erster Linie die Ersetzung einer systematischen und sorgfältigen Problemanalyse durch die Errichtung von „politisch korrekten“ Tabuzonen. Hinzu kommen stereotype Diffamierungsrituale einer mächtigen und medial hochgerüsteten Lobby, die immer dann auf den Plan tritt, wenn sich einzelne Tabuverletzer dem verordneten Meinungsdiktat widersetzen und missliebige Kritik artikulieren.
Als Hauptakteure dieser „Islamlobby“ treten nicht nur die Verbände und Organisationen der orthodoxen und islamistischen Muslime in Deutschland in Erscheinung, sondern insbesondere auch jene staatstragenden politischen Kräfte, die ihnen in Form der Einrichtung einer Islamkonferenz den roten Teppich ausrollen, für die Akzeptanz nicht nur von Moscheebauten, sondern generell der islamischen Halal- und Herrschaftskultur werben und damit nicht zuletzt auf Wählerstimmen aus muslimischen Zuwanderermilieus schielen.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam liegt auch nicht im Geschäftsinteresse jener einflussreichen Großunternehmen mit ihren üppigen Stiftungs- und Spendengeldern, die Großaufträge und Geschäfte mit muslimischen Handelspartnern und Kapitalanlegern abschließen wollen bzw. abgeschlossen haben. Ein besonders trauriges Kapitel sind hier die ökonomischen Verflechtungen zwischen dem deutschen Kapital und der iranischen Gottesdiktatur (vgl. Küntzel 2009 und Grigath/Hartmann 2008).
Darüber hinaus spielen sich immer wieder lautstarke Netzwerke aus den Reihen der Migrationsindustrie sowie des christlichen und jüdischen Dialogkartells als Beschützer des Islam und Pauschalverleumder seiner Kritiker auf. Und zu guter Letzt verbrüdert sich sowohl die antimarxistisch-poststalinistische „Linke“ als auch die NPD mit den antiwestlichen Islamisten[1].
Islamkonforme Zurichtung der Massenmedien
Da nun aber innerhalb der einheimischen Bevölkerung kritische Einstellungen und Meinungstendenzen dennoch massenhaft verankert sind[2], wird durch diese neofeudale Reglementierung der Öffentlichkeit zunehmend eine kalte Bürgerkriegsstimmung zwischen den mehrheitlichen, aber in ihren Artikulationsmöglichkeiten beschnittenen Kritikern einerseits und den minoritären, aber öffentlich überrepräsentierten Verteidigern des Islam andererseits erzeugt. Als zentraler Bestimmungsfaktor, der den Konflikt permanent reproduziert, hat sich so die folgende duale Leitideologie herausgebildet:
- Die populär-dogmatische Verbreitung eines politisch erwünschten euphemistischen Bildes über die islamische Herrschaftskultur in Kombination mit
- der Diffamierung, Beleidigung und Irrationalisierung islamkritischer Positionen zwecks systematischer Einschüchterung.
Den vorläufigen Höhepunkt der islamapologetischen Hasskampagne gegen IslamkritikerInnen, bildet die Gleichsetzung von Antisemitismus mit Islamkritik unter dem demagogischen Stichwort „Islamophobie“.
Wer angesichts dieser proislamischen Deutungs- und Bewertungshoheit an seinen kritischen Einstellungen festhält, kann nur von Ressentiments, Vorurteilen, diffusen Ängsten etc. getrieben sein und muss dementsprechend als irrational stigmatisiert werden. Das bedeutet: Eine kritische Einstellung gegen den Islam kann niemals vernünftig begründet sein, sondern ist immer als ein Ausdruck von Fehlwahrnehmung, geistiger Verwirrung und Zurückgebliebenheit anzusehen. Die an Stelle inhaltlicher Auseinandersetzung tretende Pathologisierung von Kritikern ist ein dem nationalsozialistischen und stalinistischen Totalitarismus entliehenes Verleumdungselement der Islamverteidigung.
Eine herausragende Verantwortung für die beständige Bewirtschaftung dieser politisch korrekten Islam-Ideologie tragen die durch mächtige politische und ökonomische Interessenverbände gesteuerten postdemokratischen Massenmedien mit ihren herrschaftlich gefilterten Zugangschancen und verzerrenden Darbietungsformen, in denen zum Beispiel in Talkshows und dekadenten Feuilletons die komplexen gesellschaftlichen Problemkonstellationen zumeist unstrukturiert „zerredet“ werden. An die Stelle von sachlicher Information und dem Themengegenstand angemessener „Aufklärung“ ist längst eine realitätsverzerrende Pseudokommunikation getreten.[3]
Im Endeffekt hat sich so eine zugleich oberflächlich „überinformierte“ und nachhaltig desorientierte Öffentlichkeit herausgebildet, die über alles redet, aber nichts mehr versteht, d. h. einzuordnen und begründet zu bewerten vermag. Genau diese Form der spätmodernen Öffentlichkeit, die an kritischer Urteilskraft spürbar eingebüßt hat und von Schulabschlussjahrgang zu Schulabschlussjahrgang zunehmend einbüsst, verkörpert nun aber die passgenaue Entsprechung zur zunehmend problemlösungsunfähig gewordenen Politik.
Im Falle des chronischen Krisenmanagements unserer „eingesessenen“ spätkapitalistischen Lebens- und (Nicht-)Arbeitsverhältnisse mit ihren immer noch vergleichsweise komfortablen Transferzahlungspolstern mag das noch einige Zeit gut gehen. In Anbetracht des globalen Aufmarsches der islamischen Herrschaftskultur als zusätzlicher (auch innenpolitisch wirksam werdender) Destabilisierungs- und Regressionsfaktor wohl kaum. Hier erweisen sich Verzicht auf analytische Klarheit, zum Prinzip erhobene Zusammenhangsblindheit, Fehleinschätzung, Realitätsabwehr etc. – vor dem Hintergrund einer weitgehend „abgeschliffenen“ aufklärungshumanistischen Leit- und kritisch-emanzipatorischen Bildungskultur – als unmittelbar selbstbeschädigend und krisenverschärfend.
Einerseits sind wir tagtäglich mit einer ebenso riesigen wie komplexen Nachrichten- und Informationsfülle konfrontiert, die unverkennbar das aggressive und repressive Herrschafts- und Beharrungsvermögen islamisch motivierter und geprägter Akteure in Erscheinung treten lassen: Terroranschläge, Selbstmordattentate, antiwestliche und antijüdische Hasspropaganda, interkonfessionelle Massaker zwischen (sunnitischen und schiitischen) Muslimen, Auswüchse eines rigiden (religiös regulierten) Patriarchalismus in Gestalt von Ehrenmorden, Zwangsheiraten und autoritärer Bevormundung, djihadistische Aufmärsche und Kundgebungen, die Existenz breiter radikalislamischer Massenbewegungen und staatsislamistischer Diktaturen, die – wie im Falle zunächst des Irans – nach atomarer Bewaffnung streben. Dennoch wird diese kolossale Faktenmenge in den meisten Fällen sofort wieder auf der Kommentarebene durch wirklichkeitsverschleiernde Dogmen und tabuisierende Diskurse bzw. ideologische Ablenkungsmanöver dementiert und somit der Zusammenhang bzw. das Verknüpfungsverhältnis zwischen den Grundinhalten des Islam und den anskizzierten Phänomenen zerrissen[4]. Damit spielt diese dominante Form der „Berichterstattung“ – wenn auch in manchen Fällen nicht bewusst – den arbeitsteiligen Protagonisten der islamischen Herrschaftskultur unmittelbar in die Hände:
Da sich die Gesamtauswüchse der islamischen Gewalt- und Aggressionsagenda natürlich dennoch auch in der Weltnachrichtenlage niederschlagen, hatte der UN-Menschenrechtsrat in Genf Ende März 2007 auf Antrag der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) eine Resolution für ein weltweites Verbot der öffentlichen Diffamierung von Religionen verabschiedet. Mit der Resolution, in der neben dem Islam keine andere Religion erwähnt wird, soll verhindert werden, den Islam mit Terrorismus, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Verbindung zu bringen. Die Resolution wurde mit 24 zu 14 Stimmen bei neun Enthaltungen angenommen. Neben europäischen Staaten stimmten auch Kanada, Japan und Südkorea dagegen. Diese kritisierten insbesondere die einseitige Ausrichtung der Entschließung auf den Islam und dass die Resolution nicht auf die Problematik der Meinungsfreiheit eingehe.
Ganz offensichtlich handelt es sich bei dieser Resolution um den gelungen Versuch, eine UN-Institution im Interesse einer islamischen Kampagne zur Wahrheitsbeugung zu instrumentalisieren. Herausgekommen ist dabei ein perfider „Maulkorberlass“, der in Anknüpfung an das aggressive Beleidigtsein anlässlich der dänischen Mohammed-Karikaturen darauf abzielt, Kritik am Islam als „Diskriminierung“ zu diskriminieren.
Etwa gleichzeitig hatten Muslime in Deutschland auf einer Pressekonferenz darüber geklagt, dass die Medien „Angst vor dem Islam schüren“. Anstatt selbstkritisch darüber nachzudenken, inwieweit nicht vielmehr die Handlungen und Aussagen zahlloser Glaubensbrüder und -schwestern eben genau diese Angst als gut begründbare Reaktion nahe legen, wurde einmal mehr die sorgsam einstudierte Rolle des Opfers eingenommen (was übrigens die Ablehnungsbereitschaft nur noch forciert). „Das Bild vom Islam in den Medien entspricht nicht meiner Religion“, kritisierte zum Beispiel eine nabelschauende Lehrerin, die auf den Namen Ulli Fatima Aischa Dabelstein hört.
Nach der „Haltet-den-Dieb-Methode“, wonach nicht der Verursacher, sondern der Überbringer der Nachricht der eigentliche Übeltäter sei, entrüstete sich auch der Erfurter „Islamwissenschaftler“ Kai Hafez darüber, dass über Muslime erheblich konfliktorientierter berichtet würde als über die meisten anderen Themen. Dass dieser Berichterstattung die objektiv-reale Tatsache einer großen Zahl islamischer Gewalt- und Konfliktakteure und damit ein angemessenes Darstellungsverhältnis zugrunde liegen könnte, kam diesem „Wissenschaftler“ gar nicht erst in den Sinn[5].
Ein zentrales Motiv dieser mittlerweile noch forcierten Drucksetzungskampagne für eine „islamkonforme“ Berichterstattung ergibt sich aus der muslimischen Scham- und Ehrekultur, bei der es nicht darum geht, ob etwas wahr oder zutreffend ist, sondern ob es dem eigenen Ansehen nützt oder schadet. Hinzu kommt der innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgeprägte Hang zu einer selbstgerechten Verschwörungstheorie. Leider ist nicht nur zu befürchten, sondern schon seit längerer Zeit zu beobachten, dass viele ohnehin bereits auf Konsens ausgerichtete Medienleute aus falscher Rücksichtnahme diesem Druck folgen und vorauseilende Selbstzensur üben.
Doch damit nicht genug. Darüber hinaus hat sich eine Front von verbissenen Haltet-den-Dieb-Fundamentalisten der Islamverteidigung etabliert, die mit ihren gezielten Diffamierungskampagnen den islamischen Mordaufrufern, Bedrohern und Denunzianten[6] nicht nur in die Hände arbeiten, sondern diese mit ihrer unsäglichen Realitätsverzerrung und Gleichsetzung von Antisemitismus und Islamkritik obendrein zu ihrem kriminellen Tun nachhaltig ermuntern. Dabei verfügt diese Gang islamophiler Demagogen nicht nur über einen „Stürmer“, sondern gleich über ein ganzes Arsenal von Gazetten, vermittels derer sie ihren ideologischen Unrat verbreiten. (Halbwegs Informierte mit intakter Gedächtnisfunktion wissen, welche „Zentralorgane“ und Feuilletonchefs der Islamapologetik gemeint sind.) Folgt man der ebenso perfiden wie wahnwitzigen Konstruktion dieser Meinungsmacher, dann ist nicht etwa ein radikaler Muslim in das Haus von Kurt Westergaard eingedrungen, sondern ein Aktivist von PI hat einen Muslimfunktionär mit Axt und Messer bewaffnet in dessen heimischen „Panikraum“ getrieben. Nicht etwa ein holländischer Filmemacher wurde von einem radikalen Muslim auf offener Straße ermordet, sondern ein extremistischer Moscheebaugegner hat einen Fememord an einem notorisch-proislamischen Leitartikler begangen u.s.w. Mittlerweile ist diesen „ideologischen Rassisten“ des „Islamophobie“-Vorwurfs jedenfalls jede verlogene Wirklichkeitsverdrehung zuzutrauen[7].
Fünf desorientierende Diskursmuster der Islamdebatte
Die islamkonforme Zurichtung der Massenmedien wird negativ komplettiert durch ein ganzes Bündel von ebenso hartnäckigen wie falschen Prämissen, interessenpolitischen Dogmen, desorientierenden Vermischungen und unbelegten Eigenschaftszuschreibungen bzw. schönfärberischen Vorurteilen und Vorausbewertungen. Dabei stechen insbesondere die folgenden defekten Diskursmuster hervor, die einen kritisch-rationalen Argumentationsaustausch bereits im Ansatz verhindern:
1) „Der Islam ist eine Religion“.
2) „Der Islam ist friedlich und tolerant“.
3) „Den Islam gibt es nicht“.
4) Beständige Vertauschung der Ebenen „Islam“ und „Muslime“.
5) Paradoxe Umkehrung ins Gegenteil auf der tradierten und in vielerlei Hinsicht veralteten „Rechts-Links-Achse“: Wer den Islam kritisiert, ist per definitionem „rechts“. Wer ihn stattdessen vor Kritik in Schutz nimmt, ist „gut“ und „menschlich“; also Angehöriger der moralischen Lichterkette, die aus den „politisch Korrekten“ im Land besteht.
Zu 1: „Der Islam ist eine Religion“
Die einfache Bezeichnung des Islam als „Religion“ ist eine völlig unzureichende, weil viel zu unscharfe und deshalb eher eine verschleiernde und desorientierende als eine aufklärende Bestimmung.
Überhaupt ist festzustellen, dass der Begriff „Religion“ ohne nähere inhaltliche Klärung und Differenzierung viel zu vage, unbestimmt und bedeutungswidersprüchlich ist, als dass man ihn in einem wissenschaftlich-analytischen Kontext sinnvoll benutzen könnte[8].
In vordergründiger bzw. oberflächlicher Weise wird ‚Religion’ herkömmlich als Glaube an eine metaphysische Instanz bzw. transzendente, das menschliche Erfassungsvermögen überschreitende Seinssphäre bezeichnet, auf die man sich in zirkulären, individuell und/oder gemeinschaftlich ausgeübten Riten und Praktiken bezieht. Tatsächlich aber erschöpft sich diese spezifische/religiöse Bewusstseins- und Verhaltensweise nicht im einfachen Glauben an die Existenz einer metaphysischen Instanz (unschuldig-realitätswidriger Religionsbegriff). Vielmehr wird realiter aus dieser unbewiesenen Existenzbehauptung ein absolut gültiger Vorschriftenkatalog sowie eine sich darauf gründende Ordnungslehre und Ethik abgeleitet und mit einer postmortalen Verheißungslehre kombiniert. Damit ist der religiöse Glaube an ein übergeordnetes Sein stets zugleich untrennbar mit dem Anspruch auf irdisch-gesellschaftliche bzw. zwischenmenschliche „Richtlinienkompetenz“ behaftet und treibt so aus sich eine wertende und herrschaftliche Grenzziehung bzw. Ungleichstellung zwischen den „Rechtgläubigen“ und den Anderen hervor. Dieser gesellschaftliche Normierungsdrang gilt insbesondere für die drei monotheistischen Weltanschauungen[9].
Mit der Vermassung nichtreligiöser Bewusstseins- und Verhaltensformen[10] infolge des europäischen neuzeitlichen Rationalismus und der Aufklärungsbewegung sowie der dadurch beschleunigten Verwissenschaftlichung des Mensch-Welt-Zusammenhangs wurde die absolute Deutungsmacht der religiösen Instanzen nachhaltig aufgebrochen und eine humanistisch-innerweltliche Weltanschauung und Moralauffassung kreiert[11]. Übersehen wurde und wird dabei, dass diese menschheitsgeschichtlich herausragende soziokulturelle Revolution auf Europa beschränkt blieb, während im überwiegenden Teil der nichtwestlichen Welt die Dominanz religiöser Bewusstseins- und Verhaltensformen bis heute anhält.
Angesichts des unhintergehbaren gesellschaftlich-weltlichen „Normierungstriebs“ der Träger religiöser Bewusstseins- und Verhaltensformen sowie dieser bedeutsamen historischen Umwälzung mit der Generierung einer neuen menschlichen Wirklichkeitsauffassung ist es begrifflich und wissenschaftsmethodisch angezeigt, zwischen transzendent-religiösen und immanent-rationalen Weltanschauungsformen zu unterscheiden: Immanent-rationale Weltanschauungssysteme gewinnen ihre Aussagen, Werte und Normen aus der Beschaffenheitsanalyse des sich historisch entwickelnden Mensch-Weltzusammenhangs (Mensch-Gesellschaft-Natur); transzendent-religiöse Weltanschauungssysteme gewinnen ihre Aussagen hingegen vermittels der fiktionalen Setzung/Behauptung einer göttlichen (Ursprungs-)Instanz oberhalb bzw. außerhalb der menschlichen Daseinswirklichkeit auf spekulativ-irrationale Weise. Daraus resultiert der Gegensatz zwischen wissenschaftlicher Weltanschauung und religiösem Glauben, der in Gestalt der säkular-demokratischen (pluralistischen) Verfassungsordnung eine zivilisierte Bewegungsform gefunden hat. Notwendige Voraussetzung dafür war die revolutionäre ‚Brechung’ der absolutistischen Deutungs-, Wertungs- und Normierungsherrschaft des religiösen (christlichen) Glaubens als ein Kernmerkmal der westeuropäisch-modernen Kultur (‚kulturelle Moderne’).
Demgegenüber hat es im Herrschaftsgebiet des Islam keine durchsetzungsfähige Aufklärungsbewegung gegeben, welche die absolute Geltungsmacht des orthodoxen Islam systemisch einzuhegen und wirkungsvoll einzudämmen vermochte. Auch die infolge des westlichen Kolonialismus an die Macht gelangten säkular-nationalistischen Regime waren weder Willens noch in der Lage, eine an die Wurzeln gehende soziokulturelle Modernisierungsrevolution durchzuführen, sondern bedienten sich vielmehr islamischer Herrschaftsattribute und -strukturen zur Erhaltung und Erweiterung der eigenen Machtpositionen. So blieb die absolute Geltungs- und Normierungsmacht des orthodoxen Gesetzesislam im Wesentlichen ungebrochen und bestimmt bis heute das Alltagsbewusstsein und -handeln breiter Massen in den islamischen Ländern. Dabei ist nun aber grundsätzlich zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nicht lediglich um spirituelle und rituelle „Glaubenspraxis“ handelt (Glaubensbekenntnis aufsagen, Beten, Pilgern, Fasten und die Almosensteuer entrichten), sondern um die Einhaltung eines alle „weltlichen“ Lebensbereiche umfassenden Regelkanons, die untrennbarer Bestandteil des islamischen „Gottesdienstes“ ist. Damit erweist sich der Islam als eine religiös artikulierte, normativ festgeschriebene, vormoderne Ordnungsideologie, deren integrale Prinzipien mit einer säkular-menschenrechtlichen Lebensordnung massiv kollidieren.
Es sind somit nicht etwa die theologisch-spekulativen oder aber die philologisch-orientalistischen Aspekte, die den Islam als hochkomplexe Erscheinung in der Ära der postrealsozialistischen Weltgesellschaft ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt haben. Als die letztendlich ausschlaggebende Dimension des Islam hat sich vielmehr die aus ihm hervorgehende ‚Begründung’, Legitimierung und gewaltgestützte Verteidigung/Wiederherstellung eines kulturhistorisch spezifischen Systems zwischenmenschlicher Herrschaftsbeziehungen erwiesen[12]. Seine operative Wirksamkeit erhält dieses offenbarungsreligiöse Behauptungs- und Begründungssystem in Form einer normativ-autoritären Ethik, die als ein allumfassender Regel- und Pflichtenkatalog in Erscheinung tritt:
„Der Islam war schon immer totalitär. Er beherrschte praktisch jeden Gedanken und jede Handlung der Gläubigen. Für dieses Verhältnis stand symbolisch zum Beispiel das Hersagen der Bismillah auch während der unwichtigsten Tätigkeit ebenso wie die allumfassende Bedeutung der Überlieferungen. Jegliche Handlungen, selbst diejenigen, die äußerst fundamentalen biologischen Bedürfnissen entsprechen wie Defäkation oder Koitus, wurden durch religiöse Vorschriften bestimmt. Selbst gesellschaftliche Handlungen, die in anderen Kulturen für außerhalb der Religion stehend angesehen werden, seien sie technischer, wirtschaftlicher oder künstlerischer Natur, wurden in das System integriert und religiös ausgelegt. Jegliche Handlung, Einrichtung, selbst jeglicher Gedanke, der dem System fremd war, wurde entweder abgelehnt oder, wenn dies nicht möglich war, eingegliedert und islamisiert“ (Rodinson, zit. n. Gopal 2006, S. 411f.).
Diese kritisch-westliche Sicht trifft sehr genau das orthodox-islamische Selbstverständnis: „Der Islam beinflußt den Muslim, ob er sich bewegt oder ruht, er beeinflußt das, was er insgeheim und was er öffentlich tut, was er für sich und was er sichtbar tut, er beeinflußt sein Stehen und Sitzen, sein Schlafen und Wachen, er beeinflußt sein Essen und Trinken, seine Kleidung und seinen Schmuck, er beeinflußt seinen [Habitus beim] Verkauf und Kauf, seine Tauschgeschäfte und Transaktionen, er beeinflußt seine Anstrengung und seine Erholung, seine Freude und seine Traurigkeit, seine Gelassenheit und seinen Zorn, er beeinflußt ihn im Unglück wie im Glück, bei Krankheit wie bei Gesundheit, in [Situationen] der Schwäche und der Stärke, er beeinflußt ihn als Reichen und Armen, als jungen und als alten [Menschen], als bedeutsamen und als gemeinen [Mann], er beeinflußt sein Wohnen und sine Familie, seinen [Umgang mit] Freund und Feind, Frieden und Krieg, er beeinflußt ihn als einzelnen und in der Gemeinschaft, als Herrscher und Beherrschten, als Wohlhabenden und als Habenichts. Es gibt also kein Verhalten, das man sich vernünftigerweise vorstellen kann, und keine Situation, in der der Mensch sich befinden kann, ohne dass der Islam den Muslim beeinflußt und sein Verhalten so festlegt, wie es (der Islam) vorsieht.
Wer folglich denkt, der Islam sei [nur] ein Glaube und nicht auch ein System (eine Ordnung=nizām), ist töricht und weiß nichts vom Islam“ (Abd al-Qadir `Udah, ein konservativer Anhänger der ägyptischen Muslimbrüder. Zit. n. Antes 1991, S. 59).
Zu 2: „Der Islam ist friedlich und tolerant“
Bei der Aussage, der Islam sei friedlich und tolerant, handelt es sich nicht einfach nur um eine tiefe Beleidigung der kritischen Vernunft, sondern wohl um eine der unverschämtesten Fehlbehauptungen der neueren Zeit. Mit Ausnahme der Holocaustleugnung ist der Wahrheit nur selten so stark ins Gesicht geschlagen worden.
Betrachten wir zunächst den Koran, das heilige Buch des Islam, das als unmittelbar offenbartes Gotteswort gilt und deshalb für die Gläubigen jederzeit und überall absolute Gültigkeit besitzt. Dieser Status impliziert, dass die Aussagen des Korans jedwedem subjektiven Deutungsvoluntarismus grundsätzlich entzogen bleiben – es sei denn, man riskierte einen häretischen Revisionismus, der seinerseits dann einen unversöhnlichen Bruch gegenüber dem orthodoxen Mehrheitsislam markieren würde und entsprechende Konsequenzen auszufechten hätte. Im Näheren handelt es sich dabei um einen Text, der imperialen Herrschaftsanspruch und kriegerische Gewaltbereitschaft zur Verbreitung des Islam ebenso einschließt wie eine durchgängige, auf Unterwerfung abzielende, Kampfansage an diejenigen, die sich Allah nicht hingeben wollen, nämlich die Ungläubigen[13]. Folgende Zitate[14], die nur um den Preis umfassender kognitiver Selbsteliminierung bagatellisiert, entwichtigt und verharmlost werden können, verdeutlichen diesen Sachverhalt:
„Sie wünschen, daß ihr ungläubig werdet, wie sie ungläubig sind, und daß ihr (ihnen) gleich seid. Nehmet aber keinen von ihnen zum Freund, ehe sie nicht auswanderten in Allahs Weg. Und so sie den Rücken kehren, so ergreifet sie und schlagt sie tot, wo immer ihr sie findet; und nehmet keinen von ihnen zum Freund oder Helfer“ (Sure 4, 89).
„Sind aber die heiligen Monate verflossen, so erschlaget die Götzendiener, wo ihr sie findet, und packet sie und belagert sie und lauert ihnen in jedem Hinterhalt auf“ (Sure 9, 5).
„Kämpfet wider jene von denen, welchen die Schrift gegeben ward, die nicht glauben an Allah und an den Jüngsten Tag und nicht verwehren, was Allah und sein Gesandter verwehrt haben, und nicht bekennen das Bekenntnis der Wahrheit, bis sie den Tribut aus der Hand gedemütigt entrichten. Und es sprechen die Juden: Esra ist Allahs Sohn.‘ Und es sprechen die Nazarener: ‚Der Messias ist Allahs Sohn.‘ Solches ist das Wort ihres Mundes. Sie führen ähnliche Reden wie die Ungläubigen von zuvor. Allah, schlag sie tot! Wie sind sie verstandeslos!“ (Sure 9, 29, 30).
„Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt. … Und hätte Allah gewollt, wahrlich, er hätte selber Rache an ihnen genommen; jedoch wollte er die einen von euch durch die anderen prüfen. Und diejenigen, die in Allahs Weg getötet werden, nimmer leitet er ihre Werke irre. Er wird sie leiten und ihr Herz in Frieden bringen. Und einführen wird er sie ins Paradies, das er ihnen zu wissen getan. … Und viele Städte, stärker an Kraft als deine Stadt, welche dich ausgestoßen hat (Mekka), vertilgten wir, und sie hatten keinen Helfer!“ (Sure 47, 4-6, 13).
„Und kämpft gegen sie, bis … nur noch Gott verehrt wird (bzw. die Religion Allah gehört, H. K.)!” (Sure 2, 193)
„Siehe, schlimmer als das Vieh sind bei Allah die Ungläubigen, die nicht glauben.“ (Sure 8, 55).
Zudem werden Nicht-Muslime in zahlreichen Versen pauschal diskreditiert und mit schrecklichen Strafen bedroht. Dementsprechend wird an zahlreichen Stellen mit einer an Sadismus grenzenden Metaphorik die qualvolle Bestrafung der Ungläubigen beschworen und ausgemalt:
„Verbrennen wird das Feuer ihre Angesichter, und die Zähne werden sie in ihm fletschen“ (Sure 23, 106).
„Nehmet ihn und fesselt ihn! Alsdann im Höllenpfuhl lasset brennen ihn! Alsdann in eine Kette von siebenzig Ellen Länge stecket ihn! Siehe, er glaubte nicht an Allah, den Großen, und sorgte sich nicht um die Speisung des Armen. Drum hat er heute hier keinen Freund und keine Speise außer Eiterfluß, den nur die Sünder verzehren“ (Sure 69, 30-37).
Islamwissenschaftler haben gezählt, dass die Verbalwurzel ‚qtl’ «töten», im Koran 187-mal vorkommt, davon 25-mal im Imperativ. Die Wurzel ‚db’ «strafen/Strafe», ist im Koran über 400-mal belegt. Die Lehre von der Überlegenheit des Islam über alle anderen Religionen ist fester Bestandteil des Glaubenbildes in seiner orthodoxen Mehrheitsauslegung und lebenspraktisch unter einer breiten Mehrheit der Muslime weltweit verwurzelt.
Gerade für das muslimische Glaubensbekenntnis gilt nun aber, dass der Koran nicht subjektiv interpretiert/reflektiert werden darf, sondern – wie gesagt und immer wieder betont werden muss – als unmittelbare und ewig gültige „Verbalinspiration“ Allahs hinzunehmen ist. So heißt es ganz unmissverständlich im Koran (Sure 10, 15): „Nicht steht es mir frei, ihn (den Koran, H. K) abzuändern aus eigenem Antrieb.“ Deshalb hilft es nichts, wenn nun die in defensiven Abgrenzungszwang geratenen muslimischen Gemeinschaften ihre vorgeblich gemäßigte, liberale, humane etc. Auslegung des Koran (die eigentlich gar keine sein darf) – gegenüber den kritisch gewordenen Nichtmuslimen im westlichen Ausland – als den „wahren Islam“ verkünden und alle anderen („fundamentalistischen“) Interpretationen für „nichtislamisch“ erklären. Dabei übergehen sie, dass die von ihnen reaktiv verpönten „fundamentalistischen“ Glaubensbrüder und Glaubensschwestern ihrerseits für sich beanspruchen, als die „wahren Gläubigen“ zu gelten und sich in diesem intramuslimischen Streit um die „wahre Gläubigkeit“ immerhin auf folgenden Koranvers berufen können:
„Und nicht sind diejenigen Gläubigen, welche (daheim) ohne Bedrängnis sitzen, gleich denen, die in Allahs Weg streiten mit Gut und Blut. Allah hat die, welche mit Gut und Blut streiten, im Rang über die, welche (daheim) sitzen, erhöht. Allen hat Allah das Gute versprochen; aber den Eifernden[15] hat er vor den (daheim) Sitzenden hohen Lohn verheißen“ (Sure 4, 95)[16].
Ein unfriedlich-intolerantes Kernmerkmal des Islam ist darüber hinaus das absolute Fehlen von negativer Religionsfreiheit, d. h. die massive Bestrafung von Glaubensabfall (Apostasie). So sind sich alle islamischen Rechtsschulen darin einig, dass der Abfall vom islamischen Glauben Verrat an Gott und der islamischen Gemeinschaft bedeutet und mit dem Tod des Abtrünnigen geahndet werden muss. Als maßgeblich werden folgende überlieferten Prophetenworte angesehen: „‚tötet den, der seine Religion wechselt!’ und ‚Das Blut eines Muslims (zu vergießen) ist nicht erlaubt, außer in einem der drei (Fälle): der verheiratete Ehebrecher, Leben um Leben, und der seinen Glauben Verlassende und von der Gemeinschaft sich Trennende.’“[17] Tatsächlich wird diese Strafe auch heute noch in einer ganzen Reihe von islamischen Ländern praktiziert, insbesondere in den islamischen Kernländern Iran und in Saudi-Arabien, aber auch im Sudan, Pakistan, Afghanistan, Somalia, Jemen und Mauretanien. Auch in Ländern, in denen die Todesstrafe für Apostasie offiziell nicht mehr vorgesehen ist, werden Glaubensabtrünnige in Form von Selbstjustiz umgebracht, ohne dass der Staat dagegen vorgeht. Aber selbst dann, wenn die Todesstrafe für Glaubensabfall nicht mehr in Kraft ist[18], werden Apostaten in islamischen Ländern massiv sanktioniert, zum Beispiel durch Entzug der Staatsbürgerschaft (Libyen), Freiheitsstrafen (Malaysia), Zwangsscheidung und Eigentumsentzug. Hinzu kommt, dass geschriebenes Gesetz und angewandtes Recht in islamischen Ländern nicht deckungsgleich sind. So können Zuwiderhandlungen gegen Gottes Gebote auch dann bestraft werden, wenn sie im säkularen Strafgesetzbuch gar nicht näher definiert sind. „Durch die sīyāsa šar’īya (Schariapolitik) ist ein Richter nämlich befugt, Schariarecht nach den Erfordernissen des öffentlichen Interesses auszulegen. Die richterliche Befugnis zur Strafe wird so zu einer Ermessensfrage, die gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstösst“ (Wick 2009, S. 133).
Der einflussreiche Geistliche Dr. Jusuf al-Qaradawi, der die intellektuelle bzw. geistige Apostasie, d. h. Islamkritik, als neue und besonders gefährliche Form des Glaubensabfalls gebrandmarkt hat[19], führt in einem Rechtsgutachten zur Frage, ob ein Muslim eine Nicht-Muslimin, insbesondere eine Jüdin oder Christin, heiraten darf, Folgendes aus:
„Als Abgefallener [vom Islam] gilt jeder, der den Islam verlässt, um sich dem Kommunismus, Realismus, Christentum, Judentum, Buddhismus, der Baha’i-Religion oder anderem zuzuwenden. Es ist auch jeder, der den Islam verlassen hat und zu keiner anderen Religion übergetreten ist. Der Islam zwingt keinen Menschen zur Konversion zum Islam. Ein Mensch, der jedoch freiwillig Muslim geworden ist, darf den Islam nicht wieder verlassen. Es gibt Regelungen für das diesseitige wie jenseitige Leben für den Abfall vom Islam. Einer, der vom Islam abfällt, wird in die Hölle fahren. Alle seine guten Werke nützen ihm nichts: ‚Wer sich aber von euch von seinem Glauben abbringen läßt und als Ungläubiger stirbt – das sind diejenigen, deren Taten wertlos sein werden in dieser Welt und im Jenseits – werden die Bewohner des Feuers sein, und darin werden sie ewig verweilen.’ (Sure 2, 217). Einige der Regelungen für das Diesseits bei Abfall vom Islam beinhalten, dass der Abgefallene keinerlei Hilfe oder Unterstützung von seiner muslimischen Gemeinschaft bekommen darf. Ein Muslim darf keine Ehebeziehung mit einer Abgefallenen führen, das gleiche gilt für eine Muslima und einen Abgefallenen. Wer eine Abgefallene heiratet, hat eine ungültige Ehe geschlossen. Falls eine Ehepartnerin nach der Eheschließung vom Islam abfällt, muss sie von ihrem muslimischen Ehemann zwangsweise getrennt werden. Über diese Regelung sind sich alle muslimischen Religionsgelehrten einig, d. h. sowohl diejenigen, die die Hinrichtung als Strafe für den Abfall vom Islam vorschreiben – dies ist die Mehrheit [arab. al-djumhur] – als auch diejenigen, die nur die [lebenslängliche] Haftstrafe für eine vom Islam abgefallene Frau vorschreiben. Dies sehen die Anhänger der hanafitischen Rechtsschule [einer der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islam] bei Abfall vom Islam vor.“[20]
Bezogen auf die immer wieder ins Spiel gebrachte Sure 2, 256 „Es sei kein Zwang im Glauben“[21] ist nun grundsätzlich festzustellen, dass diese Aussage im Verhältnis zu den zahlreichen konterkarierenden Schmäh- und Drohversen sowie offenen Gewaltaufrufen gegen Ungläubige im besten Falle eine bloße Träne im Meer darstellt. Schon im folgenden Vers heißt es wieder: „Die Ungläubigen aber – ihre Schützer sind die Taghut (die Götzen der heidnischen Araber, H. K.); sie führen sie aus dem Licht in die Finsternisse; jene sind des Feuers Gefährten und verweilen ewig in ihm“. Tatsächlich galt Sure 2, 256 für zahlreiche klassische Exegeten als abrogiert, d. h. durch spätere offenbarte Suren und Verse aufgehoben und wurde auch in der imperialen Herrschaftspraxis der islamischen Expansionsphase systematisch missachtet. Erst in Reaktion auf westliche Islamkritik wurde der Vers von „modernen“ Exegeten als probates Abwehrargument bemüht, ohne allerdings die antitolerante Tötungsdrohung im Falle des Religionssaustritts oder die grundsätzliche Nichtgleichberechtigung von Muslimen und Nichtmuslimen auch nur im Ansatz in Frage stellen zu können und zu wollen. Unmittelbar praktisch bedeutet die Aussage deshalb nicht mehr, als dass man einen Nichtmuslim nicht durch unmittelbare Gewaltanwendung zum Islamübertritt (Konversion) zwingen kann, sondern ihm die Wahl lässt, entweder als untergeordneter Dhimmi (Bürger zweiter Klasse, wenn es sich um einen christlichen oder jüdischen „Schriftbesitzer“ handelt) unter islamischer Vorherrschaft zu leben oder als Ungläubiger (heute: Religionsfreier) entweder zu fliehen oder im Kampf getötet zu werden. Angesichts dieser limitierten Möglichkeitskonstellation kann es dann zu einer „freiwilligen“ oder sagen wir besser: arrangierten Konversion kommen. Somit beinhaltet der Verzicht auf unmittelbaren Zwang zur Konversion nicht etwa das Attribut der Milde oder Güte, sondern entspricht vielmehr einer Strategie der Vermeidung von bzw. Vorbeugung gegen Heuchelei: In Anlehnung an die Tradition urteilt deshalb Jusuf al-Qaradawi:
„Hypocrisy is more dangerous than open disbelief. This fact will be clearly discerned when one reflects back to the great danger which the leader of Madinah’s hypocrites, `Abdullah ibn Ubayy, posed to Islam. The Madinah’s hypocrites were more threatening to Islam than Abu Jahl and the pagans of Makkah. It is for this that the Qur’an specified only two verses for dispraising the disbelievers at the beginning of surat al-Baqarah, while hypocrites were given a share of thirteen verses in the same surat.”[22]
Zudem ist zu berücksichtigen, dass jeder Konvertit zum Islam einen Ausfall von Kopfsteuereinnahmen (gizya) nach sich zog, die von den christlichen und jüdischen Schriftbesitzern in den unterworfenen Gebieten gezahlt werden musste.
Zu 3: „Den Islam gibt es nicht“
Die Islamapologetik ist durch einen zentralen logischen Widerspruch gekennzeichnet, der weithin die öffentliche Debatte prägt: Zum einen wird der Islam – wie soeben kritisch behandelt – ganz allgemein als eine wesenshomogene „Religion des Friedens, der Toleranz und Nächstenliebe“, also als eine harmonisch in sich geschlossene Gegebenheit präsentiert. Zum anderen wird dann in direkter Reaktion auf islamkritische Aussagen die These aufgestellt, dass es den Islam gar nicht gebe, weil dieser ja in zahlreiche unterschiedliche konfessionelle und regional-kulturelle Varianten zerfalle. Einerseits also die Unterstellung einer positiven Wesenshomogenität, andererseits aber die Behauptung einer absoluten Heterogenität. Doch handelt es sich hierbei nicht nur um einen aussagelogischen Widerspruch. Auch für sich betrachtet sind beide Standardbehauptungen unhaltbar. Die Legende vom durch und durch friedlichen, toleranten, gerechten etc. Charakter des Islam widerspricht ganz und gar den glaubensinhaltlichen, historischen und gegenwartsgesellschaftlichen Tatsachen. Und die Leugnung der Existenz des Islam im Singular zerreißt den untrennbaren Zusammenhang von Allgemeinem und Besonderem, dem auch die islamische Herrschaftskultur unterliegt. So wird die ‚übergreifende’ Normierungskraft und Orientierungsrelevanz von Koran, Sunna und islamischem Recht durch lokale/regionale Unterschiede zwar modifiziert, aber beileibe nicht beseitigt. Zwar gibt es Unterschiede, die niemand leugnet, aber eben auch hervorstechende glaubensdogmatische Übereinstimmungen und Konvergenzen zwischen den streng gläubigen Muslimen, die aus der übergreifend-allgemein wirksamen Weltanschauung resultieren.
Zudem käme wohl niemand ernsthaft auf die Idee, zu sagen, man dürfe nicht mehr vom Kapitalismus als ökonomischer Grundstruktur einer Gesellschaft sprechen, weil es unterschiedliche kapitalistische Länder gäbe, die sich in vielen historischen, sozialen, kulturellen etc. Aspekten von einander unterscheiden. Ebenso käme niemand ernsthaft auf die Idee, nicht mehr vom Faschismus, Rechtsextremismus oder Maoismus zu sprechen, obwohl unterschiedliche (und obendrein auch noch zerstrittene) faschistische, rechtsextremistische oder maoistische Gruppen existieren. Und es wird sogar weiterhin vom Wald geredet werden, obwohl es doch nach der Logik der Islamapologetik nur noch Bäume geben dürfte.
Zu 4: Beständige Vertauschung der Ebenen „Islam“ und „Muslime“
Sowohl in der der medialen Berichterstattung als auch in den Diskursen der Islamapologetik werden – ob unbewusst oder ganz bewusst zwecks gezielter Irreführung, sei hier dahin gestellt – beständig die Bezugsebenen „Islam“ und Muslime“ vertauscht. Mithilfe dieses semantischen Tauschmanövers wird unterstellt, dass Kritik am Islam immer gleichzeitig bedeuten würde, sämtliche Menschen zu kritisieren, die als Kinder eines muslimischen Vaters geboren worden sind und bislang noch nicht ihren Austritt aus dem Islam erklärt haben. Tatsächlich aber bezieht sich eine kritisch-wissenschaftliche Analyse auf den Islam als ein objektives religiös-weltanschauliches System von Behauptungen, Normen, Vorschriften, Handlungsaufforderungen etc., das ein kulturspezifisches Gefüge zwischenmenschlicher Herrschaftsbeziehungen vor- und festschreibt. Die wesentlichen Manifestationsformen dieses objektiven Systems sind 1) der Koran; 2) die Sunna des Propheten Mohammed, seiner engsten Umgebung und der frühmuslimischen Gemeinde (Hadithsammlung), 3) das primär aus Koran und Sunna abgeleitete islamische Recht (Scharia) in Form von vier Rechtsschulen und 4) die dominanten Auslegungsdogmen der Religionsgelehrten in engstem Verweisungszusammenhang zu den vorgenannten Quellen. In der konkret-historischen Praxis hat dieses objektive Bedeutungssystem die Form regionalspezifischer Ausgestaltungsvarianten angenommen und Auslegungskonflikte (zum Beispiel zwischen Sunniten und Schiiten) in sich aufgenommen, ohne in diesen modifizierten Formen seinen Grundcharakter als vormoderne Herrschaftsideologie einzubüßen. Da der Islam religiöses Glaubenssystem, gesellschaftliche Ordnungslehre, Alltagsethik, Sozialisations- und Erziehungsgrundlage in einem ist, ist er per se „politisch“, d. h. auf die umfassende soziale Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen ausgerichtet.
Vom Islam als einem objektiven Bedeutungssystem strikt zu unterscheiden sind dann die subjektiven Einstellungen und Verhaltensweisen konkreter Muslime. Entscheidungstheoretisch betrachtet können sich diese zum Beispiel entweder rigoros und dogmatisch („fundamentalistisch“) an die objektiven Vorgaben halten, diese nur pratiell befolgen, diese ignorieren (ohne das nach außen zu zeigen), sich öffentlich distanzieren (austreten) oder aber einen subjektivistisch interpretierten „Self-Made-Islam“ kreieren, der die „gefährlichen“, „anstößigen“, „problematischen“, „unliebsamen“ Aussagen einfach voluntaristisch ausblendet und so tut, als sei dieser subjektivistisch konstruierte Islam der „eigentliche“ Islam. Aus herrschaftskritisch-wissenschaftlicher Perspektive wäre es jedenfalls verfehlt, aus Rücksicht auf vermeintlich „unpolitische Self-Made-Muslime“ bzw. unreflektierte „Mitläufer“ des Islam die Kritik an der islamischen Herrschaftskultur und ihrer strenggläubigen Protagonisten zu verwässern oder abzubremsen.
Der primäre ‚Block’, auf den sich Islamkritik bezieht, ist demnach der orthodoxe und radikal aktualisierte („islamistische“) Islam einschließlich seiner streng gläubigen Akteure. Es ist davon auszugehen, dass deren Zahl beträchtlich ist[23], so dass der Hinweis auf die Existenz „moderater“ Muslime zwar beachtet werden muss, aber die Kritik weder außer Kraft zu setzen noch abzuschwächen vermag. Vielmehr wäre zu klären, was denn nun genau unter einem „moderaten Islam“ zu verstehen ist, von dem der türkische Ministerpräsident Erdogan, eine durchaus schwerwiegende Meinungsinstanz in Bezug auf die in Deutschland befindlichen türkischstämmigen Muslime, bereits erklärt hat, dass es ihn gar nicht geben könne. Auch dürften wohl nicht die westlichen Islamkritiker die primär zu überzeugenden Ansprechpartner für die moderaten Muslime sein, sondern vielmehr die gelehrten und autoritativen Glaubensbrüder in Ägypten, Saudi-Arabien, im Iran und Pakistan[24]. Nicht zuletzt aber ist es gänzlich verfehlt bzw. abwegig, mit Hinweis auf die Existenz diverser „Reformer“ die kritische Reflexion und Bewertung des orthodoxen Mainstream-Islam zu unterlaufen oder gar außer Kraft setzten zu wollen. Zwar mag es subjektivistische Umdeutungen und „Schönungen“ von vereinzelten Islam-Gläubigen geben, wie man sie auch gegenüber andersartigen totalitären Ideologien vornehmen kann, aber das ändert nichts am objektiv überprüf- und bewertbaren Aussage- und Regelsystem um das es hier geht.
Darüber hinaus wird immer wieder ausgeblendet, dass gerade der Islam als offenbarungsreligiöses Behauptungssystem keine beliebige Interpretation zulässt. So gelten die auf Mohammed herabgesandten Suren des Korans al unmittelbares, ewig und überall gültiges Gotteswort. Hinterfragendes und situativ relativierendes (historisch-kritisches) Interpretieren gilt im vorherrschenden orthodox-konservativen Gesetzes-Islam als Blasphemie. Entsprechend heißt es in einem Hadith: „Die beste Rede ist das Buch Gottes. Das beste Vorbild ist das Vorbild Muhammads. Und die schlechtesten aller Dinge sind die Neuerungen, die in die Religion eingeführt werden. Und was versprochen wurde wird eintreten – ihr könnt euch dem nicht entziehen“ (al-Buhari 1991, S. 485).
Auch im Koran selbst werden eigenmächtige Textauslegung sowie Neuerungen in Brauch und Gesetz kategorisch ausgeschlossen und damit das normative Gesamtgefüge des Islam gegenüber „Reformen“ grundsätzlich versiegelt.
Zudem muss bezweifelt werden, ob die Neuauslegung von grundrechtswidrigen bzw. antimenschenrechtlichen Aussagen, Normen, Vorschriften etc. am Wesen dieser Aussagen etc. etwas grundsätzlich zu ändern vermag, wenn sie nicht gänzlich deren Bedeutungsgehalt verkehren will. In diesem Fall wäre dann aber nicht eine Neuinterpretation, sondern eine Außerkraftsetzung angebracht. Welche Aussicht auf mehrheitliche Anerkennung oder Durchsetzbarkeit hätte aber eine solche Neuinterpretation oder Außerkraftsetzung?
Vor diesem Hintergrund ist die Zahl von „Reformern“ in der islamischen Herrschaftssphäre relativ klein. Dasselbe gilt für ihren Anhang und ihre muslimische Leserschaft. D.h. die relativ kleine Schar von unrepräsentativen Reformern ist innerhalb der Umma weitestgehend isoliert und lebt im Grunde von den taktischen Inszenierungen und Ablenkungsmanövern westlicher Islamapologeten.
Zu 5: Verkehrung der Islamdebatte auf der Rechts-Links-Achse
Als heftig umkämpfte weltanschaulich-politische Richtungsbegriffe reflektieren die Bezeichnungen „rechts“ und „links“ im Wesenskern zwei gegensätzliche Grundauffassungen, wie sie sich nach der Überwindung der feudalen Gesellschaftsordnung in Europa im Anschluss an die französische Revolution herausgebildet haben. Im Zentrum steht hierbei das subjektive Verhältnis zu vorgegebenen (überlieferten) Strukturen zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse:
„Rechts“ bezeichnet das subjektive Interesse an der Aufrechterhaltung/Bewahrung (Konservierung) bzw. Wiederherstellung oder gar Vertiefung und Perfektionierung überlieferter zwischenmenschlicher Herrschafts- bzw. hierarchisch-ständisch gegliederter Sozialbeziehungen, „angestammter“ Vormachtpositionen und Privilegien etc. einschließlich des darauf gerichteten Ensembles herrschaftsbegründender und legitimierender Ideologien, Ethiken, Moralkonzepte etc. In klassischer Form geht es hierbei um die Verteidigung/Restauration einer prämodernen Herrschaftsordnung mit einer religiös-absolutistischen Legitimationsideologie. Mit dem Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus und der Etablierung expansiver kapitalistischer Systeme (Kolonialismus, Imperialismus) treten dann – an die Stelle ständisch-feudaler Herrschaftsideologie und neben die religiöse Legitimation – ‚Nation’, ‚Ethnie’ und ‚Rasse’ als neue herrschaftsfundierende Konzepte.
„Links“ bezeichnet hingegen das subjektive Streben nach der Überwindung/Veränderung der vorgefundenen Herrschaftsverhältnisse im Interesse der individuellen und kollektiven Emanzipation bzw. Befreiung aus beherrschten, unterdrückten, chancenungleichen etc. Lebenspositionen vermittels der Generierung und Aneignung neuer/kritischer geistig-moralischer Leitkonzepte und praktisch-kritischer Tätigkeitsformen. Von herausragender Bedeutung war hier die Entwicklung einer aufklärungshumanistischen Weltanschauung im Kontrast zur traditionellen christlich-feudalen Legitimationsideologie der Adelsherrschaft. Am treffendsten und tragfähigsten hat Karl Marx den „linken Impetus“ auf den Begriff gebracht: „Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (MEW 1, S. 385)[25].
Es sind insbesondere folgende historischen Großereignisse („Kulturbrüche“) gewesen, die das klassische Rechts-Links-Schema nachhaltig erschüttert und verkompliziert haben:
1) Der Formwandel des antifeudalen Bürgertums zunächst zur herrschenden und dann zur kolonialistischen, imperialistischen und kriegstreibenden (reaktionären) Bourgeoisie.
2) Das Faschistisch-Werden des deutschen Kapitalismus und damit die komplette Negation/Ausmerzung der „kulturellen Moderne“ innerhalb eines konkreten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftssystems[26]. (Ähnliches gilt für Italien und Japan.)
3) Die Stalinisierung der russischen Revolution und der kommunistischen Bewegung und damit auch hier die weitgehende Negation/Ausmerzung der „kulturellen Moderne“ innerhalb einer zunächst „links“ inspirierten Bewegung.
4) Der Zusammenbruch des „Realsozialismus“, der das desaströse Scheitern eines antiemanzipatorischen („rechten“) Versuchs des Aufbaus einer postkapitalistischen Gesellschaftsordnung unter unterdurchschnittlich entwickelten Bedingungen markiert.
Diese objektive Dominanz „rechter“ Entwicklungen im konkret-historischen Prozess seit der Französischen Revolution wird nun – im Rahmen der postrealsozialistischen ‚Globalisierung’ seit dem Ende des Kalten Krieges – noch einmal erheblich verstärkt: Denn der „Einbruch der kapitalistischen Moderne“ in nichtwestliche Herrschaftsregionen führt nicht primär zu progressiven („linken“) Gegenbewegungen, die sich das revolutionäre Sozialerbe in Gestalt der ‚kulturellen Moderne‘ zumindest partiell aneignen und gegen die neuen Herrschaftsverhältnisse zur Geltung bringen, sondern ruft primär reaktionär-antimodernistische Protestbewegungen hervor, die ihren bedrohten bzw. abhanden gekommenen ‚prämodernen‘ Privilegien nachtrauern und ihre traditionelle Herrschaftskultur vornehmlich im Gewand radikal-religiöser Bewegungen[27] verteidigen (Antikapitalismus von „rechts“ bzw. reaktionärer „Antiimperialismus“).
Vor diesem Entwicklungshintergrund sind wir nun mit folgender paradoxen Konstellation konfrontiert: Als spezifische Verkörperung und normative Festschreibung einer vormodern-religiösen, mittelalterlich-feudalen und patriarchalischen Sozialordnung mit ihren vielfältigen Herrschaftsbeziehungen und hierarchischen Strukturen repräsentiert die islamische Herrschaftskultur eine autoritär-reaktionäre Erscheinung par excellence. Ihre Protagonisten und Reproduzenten denken und handeln wie „Rechte“ sans phrase. Sie sind radikale Verfechter einer religiösen Ideologie der Ungleichwertigkeit, die auf eine herrenmenschliche Unterwerfung der Ungläubigen (Nichtmuslime) abzielt. Dennoch sind es – neben wirtschaftlichen und politischen Utilitaristen und Opportunisten mit einem kurzsichtig-egoistischen Interessenhorizont – zumeist „Linke“, die den Islam verteidigen und oftmals „Rechte“, die ihn kritisieren. Woher kommt das?
Zunächst einmal ist in aller Klarheit festzuhalten, dass diejenigen, die sich heute als „links“ etikettieren und deshalb in einer oberflächlichen Mediengesellschaft von außen auch so „angerufen“ werden, mit dem klassischen herrschaftskritisch-emanzipatorischen Impetus, wie er im Marxschen Theorieprogramm und konzentriert im kategorischen Imperativ zum Ausdruck gebracht wird, nichts mehr zu tun haben. Insofern kann man die Rechts-Links-Achse im Grunde bei Seite legen. Tatsächlich handelt es sich bei der fälschlicherweise so genannten „Linken“ um eine Ansammlung von Kulturrelativisten, Multikulturalisten und Poststalinisten, deren weltanschaulich-politische Positionen im schroffen Gegensatz zur klassischen Marxschen Theorie stehen. Sie sind weder an einer kritisch-emanzipatorischen Analyse und Bewertung nichtwestlicher Herrschaftskulturen noch am Begreifen der aktuellen Verflechtungsdynamik von Kapitallogik und chinesischen, indischen, islamischen (arabischen, iranischen und türkischen etc.) Herrschaftsverhältnissen wirklich interessiert. Was sie antreibt, sind vielmehr folgende Beweggründe:
1) Das Absuchen der Wirklichkeit nach vordergründigen Bestätigungen für ihr veraltetes ideologisches Weltbild vom allmächtigen und einzig bösartigen westlichen Kapitalismus.
2) Die Pflege eines positiv-rassistischen Vorurteils, das Angehörige nichtwestlicher Kulturen per se als Verkörperung des Guten, wenn auch etwas Zurückgebliebenen und Unselbständigen (auf jeden Fall: nicht Eigenverantwortlichen) ansieht und deshalb in sozialfürsorgliche Obhut nimmt, dass heißt an ihnen ein vormundschaftssüchtiges Helfer- und Beschützersyndrom auslebt.
3) Der antimarxistische, im Grunde reaktionär-konservative Verzicht auf die kritische Bewertung zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse und repressiver Praxen, wenn es sich dabei um eine „andere“, nichtwestliche Lebenskultur handelt.
4) Die Ausprägung eines deutungspathologischen Reflexes, der jedwede Kritik von Deutschen an Nichtdeutschen mit fast schon krimineller Verleumdungsenergie a priori, also unhängig von der Überprüfung der inhaltlichen Tragfähigkeit der geäußerten Kritik, als „rassistisch“ und „fremdenfeindlich“ denunziert.
5) Die Tendenz zur Verbrüderung mit nichtdeutschen (antiamerikanischen und antijüdischen) Reaktionären, insbesondere islamistischen Kräften, nach der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“.
In dem Maße, wie sämtliche etablierten Parteien, die überwiegende Mehrheit der Medien, die „Linke“, die christlichen Kirchen, die Gewerkschaften, die staatlichen Organe der Migrationsindustrie und ihre Auftragnehmer bis hin zur abhängigen Auftragswissenschaft gegenüber breiten Einstellungsströmungen innerhalb der einheimischen Bevölkerung ein proislamisches Kartell bilden, das sich obendrein auch noch als „volkspädagogischer“ Vormund aufspielt (und somit den Unmut noch verschärft), tragen diese unterschiedlichen Kräfte eigentätig zur Herausbildung eines Repräsentationsdefizits bzw. einer eklatanten Vertretungslücke bei, in die „populistische“ Kräfte hineinstoßen. D. h.: Die systematische Desartikulation, ja Diffamierung islamkritischer Einstellungen der Bevölkerungsmehrheit ruft fast schon gesetzmäßig das Aufkommen zum Teil tatsächlich zwielichtiger politischer Kräfte hervor, indem sie bislang marginalisierten Rechtskräften die willkommene Gelegenheit bietet, sich zum Anwalt tatsächlich verkannter Interessen und Einstellungen aufzuschwingen.
Im Unterschied zum Beispiel zu Österreich (FPÖ), der Schweiz (SVP) und Holland (PVV von Geert Wilders) ist es in Deutschland aufgrund der Existenz einer vergleichsweise agilen, aber dafür um so intensiver diskreditierten und überdies heillos zerstrittenen neonazistischen Rechten nicht gelungen, eine annähernd einflussstarke rechtspopulistische Partei aus der Taufe zu heben. Immerhin gelang es aber der von ehemaligen Republikanern initiierten und im rechtsextremistischen Dunstkreis angesiedelten PRO-Bewegung bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am 30. August 2009 landesweit 46 Mandate in den Kreistagen, Stadträten und Bezirksvertretungen zu erringen. In Köln erzielte sie 5,36% der Stimmen.
In Anbetracht dieser fatalen Konstellation sind nun folgende Aspekte besonders hervorzuheben:
1) Bei den rechtspopulistischen „Antiislamisierungskräften“ handelt es sich nicht um Akteure, denen es in Wahrheit um Kritik des Islam und der durch ihn generierten Herrschaftskultur geht, sondern um taktische Ausbeuter islamkritischer Einstellungen im Interesse der eigenen rechtsreaktionären Einflussgewinnung. So verriet Markus Beisicht, der Mitbegründer und Vorsitzende von Pro Köln und Pro NRW in einem Interview mit der „Jungen Freiheit“, dem salonfaschistischen Organ der Neuen Rechten, die eigentliche Intention:
„Das Thema Islamisierung drückt die Menschen und es liegt uns politisch nahe, also haben wir es uns ausgesucht. Wir haben nach Inhalten Ausschau gehalten und waren anfangs selbst überrascht, welche außerordentliche Resonanz wir mit dem Thema gefunden haben. Gerade in Großstädten kann man damit punkten! Wir haben die Marktlücke besetzt, und es ist uns der Einbruch in Schichten gelungen, die wir sonst nicht erreicht hätten.“[28]
2) Die durch eigene Tabuisierungspolitik und apologetische Dogmatik zum Teil selbst mit verursachte Existenz sowie das Wirken rechtspopulistischer „Antiislamisierungskräfte“ wird nun wiederum von den „Freunden des Islam“ als willkommenes Alibi benutzt, islamkritische Positionen – oftmals mit willfähriger Unterstützung der Medien – pauschal zu delegitimieren und ins politisch-moralische Zwielicht zu rücken. Diese pauschale Diffamierungspropaganda verstärkt nun aber auf der anderen Seite den sich latent aufstauenden Unmut innerhalb der Bevölkerung und bietet den Rechtspopulisten somit erweiterten Bewegungsspielraum, indem diese nun obendrein auch noch genüsslich gegen die paradoxe Spezies der „linken Islamverteidiger“ zu Felde ziehen können. Auf diese Weise bilden rechte Pseudo-Islamkritiker und pseudolinke Islamverteidiger eine ebenso fatale wie aberwitzige Legitimationssymbiose, die eine rationale Debatte kaum noch möglich macht.
3) Schon die enorme Diskrepanz zwischen den sehr geringen Wählerstimmen für die Pro-Bewegung und dem wirklichen Ausmaß lagerübergreifender islamkritischer Positionen innerhalb der einheimischen Bevölkerung zeigt, wie verfehlt die pauschale Verleumdung dieser Einstellungen als „fremdenfeindlich“, „rassistisch“, „islamophob“ etc. ist. Der überwiegenden Mehrheit der einheimischen Bevölkerung geht es, jenseits fortbestehender pluralistischer Überzeugungsdifferenzen, um die Verteidigung errungener säkular-demokratischer Standards und Grundrechte sowie um die Bewahrung einer nichtislamischen Lebenswelt gegenüber einer islamischen Herrschaftskultur, die mit guten Gründen sowie anhand zahlreicher Fakten als menschenrechtsfeindlich, antiemanzipatorisch und vormodern-rückschrittlich angesehen wird[29]. Wer – wie zahlreiche Politiker und Medienleute – den Menschen diese überzeugungsbasierte Erfahrungsverarbeitung in arroganter Manier als „von diffusen Ängsten getrieben“ wegschulmeistern will, stellt sich damit selbst ins Abseits der faktenblinden Ignoranz.
Genau genommen erweist sich damit das klassische Rechts-Links-Schema im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Islam-Komplex als zunehmend problematisch. Zum einen ist der Islam in seiner orthodoxen Kerngestalt normative Grundlage einer vormodernen, autoritären und repressiven Herrschaftskultur. Ihn zu verteidigen ist aus einer herrschaftskritisch-emanzipatorischen Perspektive eindeutig „rechts“. Auch dann, wenn Islamverteidiger auf den Plan treten, die sich selbst als „links“ etikettieren und es Islamkritiker gibt, die den Islam von der Position einer unkritischen Verteidigung des „christlichen Abendlandes“ ausgehend ablehnen. Zum anderen ist es schon deshalb gänzlich verfehlt, Kritik am Islam als „rassistisch“ zu bezeichnen, weil „islamisch Sein“ weder ein biologisches noch ein ethnisches Merkmal ist, sondern ein überethnisches weltanschaulich-normatives Gesinnungsmerkmal, das auch auf zum Beispiel deutschstämmige Konvertiten zutrifft. Auch „Fremdenfeindlichkeit“ passt hier nicht, da nicht das schlichte „Fremd-“ oder „Anderssein“ an sich als Stein des Anstoßes fungiert, sondern der Grund der Kritik eine gravierende, rational begründ- und kommunizierbare Normen- und Wertedifferenz ist. Der Islam wird aufgrund seiner Behauptungen, grundrechtswidrigen Normen, Ansprüche, Repressionspraktiken etc. abgelehnt. Auch die große Zahl von islamistischen Terroranschlägen im Namen Allahs oder aber die Vielzahl von Ehrenmorden sind natürlich als reale bzw. faktenbasierte Auslöser von Ablehnungsreaktionen von ganz anderer Qualität als etwa die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion als Grundlage der Erzeugung von Ressentiments. Schon aus diesem Grunde kommt es einem geistig-moralischen Schurkenstück gleich, wenn von einigen pseudowissenschaftlichen Banausen Islamkritik mit Antisemitismus gleichgesetzt wird.
Darüber hinaus gibt es unter denjenigen Deutschen, die außer anderen Nichtdeutschen auch Muslimen feindlich begegnen, Rassisten und Fremdenfeinde. Aber diese Ablehnung hat dann nichts mit deren zufälliger Islamgläubigkeit zu tun, sondern lediglich mit deren Merkmal, ‚nichtdeutsch’ zu sein. Die Träger dieser fremdenfeindlichen, aber nicht islamkritischen Gesinnung würden auch Ex-Muslime und islamkritische Oppositionelle aus islamisch geprägten Ländern angreifen.
Die fatale Dominanz „politisch-korrekter“ Überwachungskartelle innerhalb der medialen Öffentlichkeit hat es bislang noch vermocht, durch Errichtung von Tabuzonen und die Lancierung der beschriebenen desorientierenden Diskusmuster eine umfassend-systematische Kritik an der islamischen Herrschaftskultur zu blockieren. Damit tragen die Akteure dieses proislamischen Empörungskäfigs[30] entscheidend dazu bei, die dringend notwendige Verteidigung der Grundprinzipien der westeuropäischen kulturellen Moderne (bzw. der säkular-demokratisch und menschenrechtlich normierte Lebensweise) angesichts des Aufmarsches religiös inszenierter neototalitärer Bewegungen zu sabotieren. Nur durch die beständige Wiederherstellung einer fortschrittlich-emanzipatorischen Bildungs- und Wertekultur sowie einer dadurch vermittelten positiven Identität[31] in breiten Bevölkerungsschichten wird es aber möglich sein, zukünftig Rückfälle in antihumanistische Tyrannei und religiös verblendete Barbarei zu verhindern, wie sie heute insbesondere in islamischen Kernregionen mit expansiver Bevölkerungsentwicklung zu beobachten ist. Sowohl der faschistische als auch der stalinistische Zivilisationsbruch haben deutlich gemacht, dass die einmal erreichte Niveaustufe der kulturellen Moderne kein irreversibler Selbstläufer ist. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, eine neue Bewegung zu formieren, um eine abermalige Dezivilisierungskatastrophe – diesmal in Gestalt des islamistischen Neototalitarismus – mit allen Mitteln zu verhindern.
Literatur:
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Feuerbach, Ludwig: Gesammelte Werke, Band 4 (Pierre Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit), Berlin 1967.
Gess, Heinz: Kollektive Zwangsneurose Islam oder Straftatbestand Islamophobie?
http://www.kritiknetz.de/islamismus/577-kollektive-zwangsneurose-islam-oder-straftatbestand-islamophobie
Gopal, Jaya: Gabriels Einflüsterungen. Eine historisch-kritische Bestandsaufnahme des Islam. 2. erweiterte Auflage Freiburg 2006.
Grigath, Stefan; Hartmann, Simone Dinah (Hrsg.): Der Iran. Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer. Innsbruck 2008.
Hasemann, Armin: Zur Apostasiediskussion im modernen Ägypten. In: Die Welt des Islam. International journal for the study of modern islam. Volume 42. Leiden, Brill 2002, S. 72-121.
Juergensmeyer, Mark: Die Globalisierung religiöser Gewalt. Von christlichen Milizen bis al-Qaida. Hamburg 2009.
Krauss, Hartmut: Kulturelle ‚Moderne’, kritischer Marxismus und eine radikal-humanistische Antwort auf den religiösen Fundamentalismus. In: HINTERGRUND IV-2001, S. 5-27.
Krauss, Hartmut: Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen ‚prämoderner’ Herrschaftskultur und kapitalistischer ‚Moderne’. Osnabrück 2003.
Krauss, Hartmut. Grenzen der medialen Schönfärberei. Zum Islambild der einheimischen Bevölkerung. In: MIZ Nr. 2/2006, S. 28-30.
Krauss, Hartmut: Zum kritisch-emanzipatorischen Gehalt der Marxschen Theorie als Ausweis ihrer Zukunftsfähigkeit. In: HINTERGRUND IV-2007, S. 19-44.
Küntzel, Mathias: Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft. Berlin 2009.
Miersch, Michael. Die Linke und der Dschihad. In: Aufklärung und Kritik. Sonderheft 13/2007, S. 285-290.
Pamuk, Orhan: Frieden oder Nationalismus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. Oktober 2005, S. 8.
Sloterdijk, Peter: Aufbruch der Leistungsträger. In: Cicero. Magazin für politische Kultur. Ausgabe November 2009. Zitiert nach: http://www.cicero.de/97.php?ress_id=6&item=4370
Sternhell, Zeev: Faschistische Ideologie. Berlin 2002.
Tellenbach, Silvia: Die Apostasie im islamischen Recht. Homepage der Gesellschaft für Arabisches und Islamisches Recht (GAIR) e.V. (www.gair). Deutsche Fassung vom März 2006.
Wick, Lukas: Islam und Verfassungsstaat. Theologische Versöhnung mit der politischen Moderne? Würzburg 2009.
(Osnabrück im Januar 2010)
[1] Vgl. zum Beispiel Miersch 2007 und HINTERGRUND II-2009: „Der Iran und die deutsche Rechte“ sowie „Der Iran und die ‚Linke’“. S. 13 – 24.
[2] Vgl. Krauss 2006. (Im Internet unter http://www.glasnost.de/autoren/krauss/islambild.html.) Auch die Schweizer Volksabstimmung über Minarette, bei der die Gegner eine Mehrheit von 57,5% in scharfer Frontstellung zu den herrschenden Medien und der politischen Klasse errangen, ist als Schlaglicht im Hinblick auf die Massenverankerung islamkritischer Einstellungen anzusehen. Zur Einstellungslage in Frankreich vgl.http://www.eussner.net/artikel_2009-12-04_02-28-32.html.
[3] Die „islamkorrekte“ Formierung der Medien zeigt(e) sich exemplarisch in Folgendem:
1) in der verzerrenden und in weiten Teilen realitätswidrigen Schönfärberei , wie sie im Mai 2009 der ZDF-Dreiteiler über die Geschichte des islamischen Morgenlandes vermittelte;
2) in Form der Installierung eines islamischen Wortes zum Freitag im ZDF und im SWR;
3) in der absolut überzogenen und unausgewogenen Berichterstattung über den Sherbini-Mordprozess in Dresden (November 2009) im Verhältnis zu den zahlreichen Prozessen gegen islamische Ehrenmörder mit erheblich geringerer medialer und komplett ausbleibender politischer Fokussierung;
4) im weitestgehenden Verzicht auf eine Berichterstattung über die von fortschrittlichen Kräften im Frühsommer 2008 veranstaltete Kritische Islamkonferenz;
5) im fast völligen medialen Ausschluss einheimischer fortschrittlich -demokratischer Islamkritiker im Verhältnis zur überproportionalen Beteiligung von konservativen Funktionären der Islamverbände sowie proislamischen „Migrationsexperten“;
6) in der antidemokratischen Dämonisierung der Schweizer Volksabstimmung gegen Minarette;
7) in der Unterdrückung von Veröffentlichungen, die negative Fakten über Muslime beinhalten. Beispielhaft hierfür war die Rücknahme einer Studie, die belegte, dass antijüdische Gewaltakte in Europa nicht mehr nur von einheimischen Rechtsradikalen, sondern zunehmend von islamistisch ausgerichteten Migrantenjugendlichen begangen werden;
8) im Verzicht auf die Erwähnung des Herkunftshintergrundes von Gewaltkriminellen;
9) in der stereotypen Sprachregelung, dass Gewalttaten mit muslimischen Tätern und Integrationsdefizite von Muslimen selbstverständlich nichts mit dem Islam zu tun haben (dürfen) etc.;
10) im systematischen mediengestützten Diskriminierungsbestreben, Islamkritik per se als „rassistisch“ und „psychopathisch“ zu stigmatisieren, um auf diese Weise breite Teile der Bevölkerung einzuschüchtern und an freier Meinungsäußerung zu hindern;
11) im Verzicht auf die Informationsvermittlung, dass die Zahl der vom Verfassungsschutz registrierten deutschen Rechtsextremisten im Verhältnis zur Gesamtzahl der einheimischen Bevölkerung viel niedriger ist als die Zahl von Rechtsextremisten mit islamischen Hintergrund im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Muslime.
[4] Wenn es der Quote, dem Absatz und dem scheindemokratischen Mäntelchen dient, dürfen hin und wieder sogar einige wenige ausgewählte Höflinge und Günstlinge in den Medien den radikalapologetischen Islamverstehern widersprechen. Das ändert aber nichts an der tatsächlichen Hegemonialkonstellation der gedruckten und audiovisuellen Meinungsindustrie.
[5] Allerdings wird in diesen selbstgerechten muslimischen Legenden immer wieder der wirkliche Tatbestand unterschlagen, dass die Informationen über Gewalttaten mit islamischem Täterhintergrund in den deutschen Medien durchgängig (um nicht zu sagen: wie verabredet) mit dem stereotypen Hinweis verbunden werden, das jeweilige Geschehen habe nichts mit dem Islam zu tun.
[6] Vgl. hierzu Heinz Gess: Kollektive Zwangsneurose Islam oder Straftatbestand Islamophobie?
http://www.kritiknetz.de/islamismus/577-kollektive-zwangsneurose-islam-oder-straftatbestand-islamophobie
[7] Einer der geistigen Führer der niederträchtigen Gleichsetzungsthese (Islamkritik=Antisemitismus), der „Vorurteilsforscher“ Wolfgang Benz, ist mittlerweile als Schüler des Nazis Karl Bosl enttarnt worden. http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/ein_nazi_und_sein_schueler_karl_bosl_und_wolfgang_benz/
Wir hatten die auf der Erscheinungsoberfläche honorig anmutende Heimstatt von Benz, das Zentrum für Antisemitismus, schon vor einem Jahr als neuen Verleumdungshort demokratischer Islamkritik kenntlich gemacht. Vgl. HINTERGRUND IV-2008, S. 8-11 und http://www.kritiknetz.de/antizionismusundantisemitismus/206-einneuerhortderunredlichkeitanmerkungenzurwissenschaftlichenundmoralischenselbstdemontagedeszentrumsfuerantisemitismusforschung
[8] Ich stimme Smith und Juergensmeyer zu, die der Auffassung sind, dass man das Substantiv Religion (als Bezeichnung für eine nur behauptete/fiktive, aber weder objektiv noch intersubjektiv rational fassbare Gegebenheit) aus unserem Vokabular streichen und stattdessen nur noch das Adjektiv „religiös“ verwenden sollte (Juergensmeyer 2009, S. 47).
[9] Vgl. hierzu ausführlich Krauss 2003.
[10] Nach einer Mitteilung der Evangelischen Nachrichtenagentur leben in der EU 224,5 Millionen Katholiken, 115 Millionen Atheisten, 57,8 Millionen Protestanten, 39 Millionen Orthodoxe, 15,9 Millionen Moslems und 1,5 Millionen Juden. Formierte sich der atheistische Block, der quantitativ so stark ist wie die Protestanten, Orthodoxen, Muslime und Juden zusammen, zu einem Kollektivsubjekt mit robuster Identität und zielklarer Praxis, wäre eine rational-progressive Wende im Interesse einer postantagonistisch-humanistischen Zivilisation noch denkbar.
[11] Bahnbrechend war hier zunächst die von Pierre Bayle zum Ausdruck gebrachte moralische Gleichwertigkeit von Gläubigen und Nichtgläubigen (Atheisten). Diese geltend gemachte Position implizierte zugleich, dass „die Menschen im höchsten Grade sittenlos und doch zugleich vollkommen von der Wahrheit einer Religion, selbst der christlichen Religion, überzeugt sein können“ (Feuerbach 1967, S. 62).
[12] Vgl. hierzu ausführlich Krauss 2008.
[13] Auf die Frage: „Gelten Juden und Christen im Islam als Ungläubige?“ antwortete der einflussreiche islamische Geistliche Dr. Jusuf al-Qaradawi in einem Rechtsgutachten (Ende Februar 2002): „Das Wort ‚ungläubig’ beinhaltet mehrere Bedeutungen. Manchmal bedeutet es ‚Atheist’, d. h. es wird eine Person damit bezeichnet, die weder an Allah noch an den Gerichtstag glaubt. Dies gilt nicht für Juden und Christen. Juden und Christen gelten als Ungläubige, weil sie nicht an die Botschaft [Muhammads] glauben. Jeder, der nicht an die Botschaft Muhammads glaubt, ist ungläubig.“ Quelle: http://www.islaminstitut.de/Anzeigen-von-Fatawa.43+M52e9e3418ae.0.html
[14] Diese Zitate sind nicht etwa aus dem Zusammenhang gerissen, sondern stehen repräsentativ a) für den jeweiligen situativen Kontext und b) für die gesamte normative Grundaussagetendenz des Korans. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass kriegerische Unterwerfung von Andersgläubigen sowie deren Bedrohung und Schmähung eine modellsetzende und im Nachhinein geheiligte Praxis des Propheten Mohammed darstellen.
[15] D. h. den mit der Waffe Streitenden.
[16] Die Islamisten ihrerseits weisen kategorisch „die Behauptung derer zurück, die behaupten: Der Dschihad im Islam diene nur zur Verteidigung, und der Islam sei nicht durch das Schwert ausgebreitet worden. Diese Behauptung ist falsch; diejenigen, die sich auf dem Gebiet der Verbreitung der islamischen Botschaft (dacwa) hervorgetan haben, haben sie in großer Zahl widerlegt. Die Wahrheit ist in der Antwort enthalten, die der Gesandte Gottes gab, als er gefragt wurde, welcher Dschihad auf dem Wege Gottes der größte sei: Er sagte: ‚Derjenige der kämpft, damit das Wort Gottes den Sieg erhält, jener befindet sich auf dem Wege Gottes‘. Denn der Kampf im Islam geschieht, damit das Wort Gottes auf der Erde den Sieg bekommt, einerlei ob durch Angriff oder Verteidigung. Der Islam hat sich durch das Schwert ausgebreitet“ (Manifest der ägyptischen Dschihad-Gruppe. Zit. n. Meier 1994, S. 377.).
[17] Tellenbach 2006, S. 1.
[18] Erst unter dem externen Einfluss der europäischen Kolonialmächte kam die Todesstrafe für Apostasie seit Mitte des 19. Jahrhunderts tendenziell außer Gebrauch, wurde allerdings nie offiziell abgeschafft. „Die Doktrin behielt ihre Gültigkeit, doch traten de facto Gefängnis oder Verbannung an die Stelle der Todesstrafe“ Hasemann 2002, S. 109f.).
[19] http://www.islamonline.net/servlet/Satellite?cid=1119503545098&pagename=IslamOnline-English-Ask_Scholar%2FFatwaE%2FFatwaE
[20] http://www.islaminstitut.de/Anzeigen-von-Fatawa.43+M5334472c375.0.html
[21] Zu dieser Aussage schreibt Tilman Nagel – das Wort ‚Glauben’ als Ritualpraxis (din) fassend:„Indem man aus Vers 256 die Formulierung ‚…kein Zwang in der Ritualpraxis (din)’ herauslöst und so begreifen möchte, als lautete sie: ‚kein Zwang zu einem (bestimmten) Glauben’, gewinnt man einen Scheinbeleg für eine in der koranischen Botschaft angeblich enthaltene Religionsfreiheit. Weder sonst im Koran noch im Hadith oder in den Überlieferungen zur Prophetenvita findet man einen Hinweis darauf, dass Mohammed mit diesem Gedanken gespielt habe. Er sah sich vielmehr berufen, mit allen denkbaren Mitteln die Befolgung der von ihm für wahr erkannten Riten durchzusetzen, die, da erstmals von Abraham verkündet, älter als Judentum und Christentum seien und schon allein deshalb richtig (Sure3, 64f.).“ http://www.nzzch/2006/11/25/li/articleENPV0.html
[22] http://www.islamonline.net/servlet/Satellite?cid=1119503545098&pagename=IslamOnline-English-Ask_Scholar%2FFatwaE%2FFatwaE
[23] Betrachten wir hierzu ein paar empirische Daten:
Bei einer repräsentativen Meinungsumfrage unter 1.003 britischen Muslimen waren 36 Prozenten der 16-24-Jährigen der Meinung, dass Muslime, die sich einem anderen Glauben zuwenden, getötet werden sollten. 37 Prozent wollen lieber unter der Scharia als unter dem Common Law leben (vgl. Lau 2007, S. 781).
Die vom Bundesinnenministerium herausgegebene Studie „Muslime in Deutschland“ (2007) klassifiziert die Befragten in folgende vier Gruppen:
- „Fundamental orientierte“ Muslime: 40,6%. 2. „Orthodox-religiöse“ Muslime: 21,7%. 3. „Traditionell-konservative“ Muslime: 21,7%. 4. „Gering religiöse“ Muslime 18,8%.
Der Aussage „Der Islam ist die einzig wahre Religion“ stimmten 65,6% „völlig“ (53,4%) oder „eher“ (12,2%) zu. 45% sind der Meinung, „Nur der Islam ist in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen“ und 50,6% sind der Überzeugung „Auf lange Sicht wird sich der Islam in der ganzen Welt durchsetzen“.
In einer Vergleichsstudie zur Wertewelt der Deutschen, Deutsch-Türken und Türken (November 2009) wird festgestellt, dass 20% der Deutschen, 79% der Deutsch-Türken und 93% der Türken an die Hölle glauben. An die Evolutionslehre nach Darwin glauben 61% der Deutschen, aber nur 27% der Deutsch-Türken und 22% der Türken.
[24] Jamie Glazov hat eine interessante Anforderungsliste aufgestellt, die ein glaubwürdiger „moderater Islam“ erfüllen müsste:
[1] Repudiate Sura 9:29 of the Qur’an, which commands Muslims to fight Jews and Christians (“the People of the Book”) until they “pay the jizya [a non-Muslim poll tax] with willing submission, and feel themselves subdued.” The teaching is that, if they refuse to pay the jizya, Jews and Christians should be killed. Are Muslims ready to join the Million Muslim March and reject this as un-Islamic? Are they ready to completely negate Islamic law when it comes to the teaching of the necessity to subjugate Jews and Christians? [2] Collectively agree that a woman has a right to engage in a love life she chooses without having to fear for her life. In other words, to accept that women have the right to self-determination, including in the sexual realm, and that their lives must not be at stake in this matter. This reality is in many respects, and on many realms, at the heart of our terror war, as jihad is very much inspired by the impulse to keep women enslavedunder a system of gender apartheid. As Wafa Sultan, Hirsi Ali, Nonie Darwish, Brigitte Gabriel, Phyllis Chesler and others can tell you, jihadists are infuriated by women’s freedom in the West and see this as a grave threat to their misogynistic systems of totalitarian Puritanism. If Muslims at the Million Muslim March cannot agree on this principle of women having the right to be free, then they are in the end legitimizing violence against women and declaring Islamic ideology to be incompatible with the democratic system in which they live. And this reality, of course, explains why honor killings are perpetrated by Muslims throughout the world and why they are on a skyrocketing increase in America and in the West. [3] Reject the Islamic doctrine on apostasy, which holds that a Muslim has to be killed if he changes his religion. [4] Reject the Islamic doctrine that Muslims are obligated to turn the whole world into committed Muslims, by force and jihad if necessary. In other words, the Muslims who arrive at the Million Muslim March can prove their religion is one of peace by repudiating all the schools of Islamic jurisprudence that teach that it is part of the responsibility of the umma to subjugate the non-Muslim world through jihad. [5] State that Christians and other non-Muslim religions can freely proselytize in a Muslim land or community and remain unharmed. [6] Reject the Qur’an’s description of Jews being apes and pigs. (Suras 2: 62-65, 5:59-60, 7:166) http://frontpagemag.com/2009/11/13/the-million-muslim-march-by-jamie-glazov/[25] In Marx’ revolutionär-humanistischem Konzept muss der Lohnarbeiter, um seine Persönlichkeit zu verwirklichen, nicht nur den Staat stürzen und das Joch der kapitalistischen Fremdbestimmung/Entfremdung abschütteln, sondern – als unhintergehbare Prämisse – zunächst die „Gottesknechtschaft“ bzw. religiöse Selbstunterwerfung aufgeben. Zur Marxschen Konzeption – im Kontrast zum vulgarisierten Parteimarxismus – vgl. Krauss (IV)2001und Krauss (IV)2007.
[26] Als regressive Form einer gesellschaftlichen Krisenverarbeitung stand hinter dem Faschismus die Sehnsucht, „dem Leben einen neuen Sinn zu verleihen. Deshalb nahm der Faschismus, wenn man ihn gründlich betrachtet, den Charakter einer neuen Religion an, die vollständig mit einer eignen Mystik ausgestattet war und die die bestehende Welt insgesamt ablehnte“ (Sternhell 2002, S. 86). Vgl. auch das Kapitel „Faschismus und Religion“ in Krauss 2003, S. 89-105.
[27] Vgl. hierzu die Übersicht bei Juergensmeyer 2009.
[28] Zit. n. http://www.eussner.net/artikel_2009-04-03_02-02-33.html
[29] Aus einer herrschaftskritisch-wissenschaftlichen Perspektive ist es unhaltbar, das Bestreben der Bewahrung (Konservierung) einer autochthonen Lebenskultur gegenüber dem Eindringen einer Zuwanderungskultur, die in ihrem normativen Grundbestand eindeutig reaktionärer und antiemanzipatorischer beschaffen ist als die „angestammte“, als „rechts“ zu klassifizieren.
[30] Das Bild des Empörungskäfigs hat Peter Sloterdijk (2009) mit Verweis auf die Sarrazin-Debatte vom Herbst 2009 geprägt. In diesem Punkt folge ich ihm: Weil Sarrazin „so unvorsichtig war, auf die unleugbar vorhandene Integrationsscheu gewisser türkischer und arabischer Milieus in Berlin hinzuweisen, ging die ganze Szene der deutschen Berufsempörer auf die Barrikaden, um ihm zu signalisieren: Solche Deutlichkeiten sind unerwünscht. Man möchte meinen, die deutsche Meinungs-Besitzer-Szene habe sich in einen Käfig voller Feiglinge verwandelt, die gegen jede Abweichung von den Käfigstandards keifen und hetzen. Sobald einmal ein scharfes Wort aus einem anderen Narrenkäfig laut wird, bricht auf der Stelle eine abgekartete Gruppendynamik los. Dabei geht es zu, als gelte es, einen Wettbewerb in Empörungsdarstellung zu gewinnen: Wer schafft es, seine Konkurrenten an Würdelosigkeit beim Eifern und Geifern zu übertreffen? Einigermaßen fassungslos sieht man mit an, wie dann die Mechanismen der Trivialmoral in endlosen Schleifen abgespult werden – bis hinauf in die Spitzen der „Gesellschaft“.
[31] „In allen Romanen, die ich in meiner Jugend las, wurde Europa nicht über das Christentum definiert, sondern vielmehr über den Individualismus. Europa wurde mir auf attraktive Weise durch Romanhelden vermittelt, die um ihre Freiheit kämpfen und sich verwirklichen wollen. Europa verdient Anerkennung dafür, dass es auch außerhalb des Westens die Werte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gefördert hat“ (Pamuk 2005).