Herrschaftskritisch-emanzipatorische Islamkritik contra „antirassistische“ Verteidigung einer reaktionären Herrschaftskultur
Wie pseudolinke Antimarxisten den Islam verteidigen und mit ihren verleumderischen Rassismusvorwürfen den Rechtspopulisten Anhänger zuführen
I.
Im September wird der karnevalserprobte Veranstaltungsort Köln eine ganze Serie politisch-obskurer Spektakel erleben. So will vom 19. bis 21. September die rechtspopulistische Pro-Bewegung unter Beteiligung ausländischer Fremdenfeinde aus den Reihen der FPÖ, der französischen Front National (NL), des belgischen Flaams Belang, der italienischen Lega Nord u. a. einen Anti-Islam-Kongress abhalten. Gegen diese Veranstaltung ruft nun wiederum eine erprobte Querfront von Moscheebaubefürwortern, die von der CDU bis zur KPD/ML reicht, zu diversen Protestaktionen auf. Insgesamt betrachtet muss festgestellt werden, dass es sich bei der Mehrzahl dieser Gruppierungen, die sich gegen den „Anti-Islam-Kongress“ engagieren, um Akteure handelt, die ihrerseits Kritik an der islamischen Herrschaftskultur per se als „fremdenfeindlich“, „rassistisch“, „islamophob“ etc. diffamieren und sich zum Teil mit den Islamisten bis hin zu Ahmadinedschad, der Hamas und der Hisbollah verbrüdern. Dazu gehören die erdrückende Mehrheit der Linkspartei und ihrer traditionslinken Umfeldorganisationen, der starke kulturrelativistische und multikulturalistische Flügel der Grünen sowie große Teile der übrig gebliebenen „Dritte-Welt-Bewegung“. Für sie ist der „Anti-Islam-Kongress“ ein gefundenes Fressen, um ihre islamophile Demagogie auf Hochglanz zu bringen. Sich den Aktionen und Demonstrationen dieser Kräfte undistanziert anzuschließen, wäre geistig-moralisch geradezu selbstmörderisch und politisch-strategisch absolut unverantwortlich.
Angesichts dieser ‚Konfrontation der Verblendenten’ ist das Eingreifen einer dritten Kraft erforderlich, die sich sowohl gegen den deutschen und europäischen Rechtsextremismus als auch gegen den zugewanderten islamischen Rechtsextremismus (orthodox-islamischer Traditionalismus, Islamismus, türkischer Nationalismus/Graue Wölfe) richtet. Es gilt folglich sich einerseits entschieden gegen jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu wenden, andererseits aber auch alle Formen reaktionär-religiöser Herrschaft zu kritisieren. Das schließt insbesondere die islamische Herrschaftskultur ein.
Teile der europäischen Rechtsextremisten betrachten nun die Vertreter des orthodoxen Islam zum einen als unliebsamen Konkurrenten reaktionärer Herrschaftsformierung und zum anderen als „Störenfried“ einer territorialen ethnopluralistischen Herrschaftsaufteilung. Ihnen geht es also nicht um eine fortschrittlich-emanzipatorische Kritik – die durchaus legitim und erforderlich ist -, sondern um die politische Ausbeutung islamkritischer Einstellungen für ihre ultrareaktionären Ziele.
Es müsste also darum gehen, den reaktionären Gehalt der rechtsextremistischen „Anti-Islam-Ideologie“ herauszuarbeiten, ohne in eine undistanzierte Verteidigungshaltung gegenüber der islamischen Herrschaftskultur zu verfallen.
Unterlässt man diese gleichgewichtige Doppelabgrenzung gegenüber a) dem autochtonen Rechtsextremismus (der sich zum Teil auch mit dem Islamismus verbrüdert) und b) dem eingewanderten religiös-totalitären Rechtsextremismus, dann leistet man objektiv Schützenhilfe für die reaktionären Akteure der islamischen Herrschaftskultur. Die Abgesandten Erdogans, Milli Görüs und die MHP-Alamancis werden sich auch diesmal ins Fäustchen lachen, wenn die deutschen „Blockierer“ einseitig und voller Vehemenz gegen Pro-Köln und Co. demonstrieren, aber immer dann – wie zum Beispiel anlässlich des Auftritts von Erdogan und seiner reaktionären Anhängerschar – auf politisch-ideologische Tauchstation gehen, wenn gegen Islamisten, Ehrenmörder, Zwangsverheirater, Karikaturenschänder, muslimische Mordhetzer und Judenhasser etc. aufzumarschieren wäre.[1]
Das kritische intellektuelle Minimum für eine halbwegs angemessene Herangehensweise wäre zumindest das traditionskommunistisch erreichte Einsichtsniveau bzgl. der Konstitution der islamisch codierten Herrschaftsverhältnisse:
„In Bezug auf die zurückgebliebenen Staaten und Nationen, in denen feudale oder patriarchalisch-bäuerliche Verhältnisse überwiegen, muß man insbesondere im Auge behalten … die Notwendigkeit, die Geistlichkeit und sonstige reaktionäre und mittelalterliche Elemente zu bekämpfen, die in den zurückgebliebenen Ländern Einfluß haben; …. die Notwendigkeit, den Panislamismus und ähnliche Strömungen zu bekämpfen, die die Befreiungsbewegungen gegen den europäischen und amerikanischen Imperialismus mit einer Stärkung der Positionen der Khane, der Gutsbesitzer, der Mullahs usw. verknüpfen wollen.“ (Lenin Werke Band 32, S.137; Hervorhebung von mir, H. K.).
Auch Karl Marx, der bekanntlich nie Marxist sein wollte und heute sicher von Lafontaine und Paech für die nachstehende Aussage mit einem PO-Verfahren behelligt und von Claudia Roth vor ein Sondertribunal gezerrt würde, äußerte sich über den Islam und das diesem normativ eingeschriebene Freund-Feind-Denken klarsichtiger als die Armada heutiger kulturrelativistisch verzogener Migrationspädagogen und Sprecher der Integrationsindustrie:
„Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist ‚harby’, d. h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen. In diesem Sinne waren die Seeräuberschiffe der Berberstaaten die heilige Flotte des Islam.” (Marx-Engels-Werke, Band 10, S. 170; Hervorhebung von mir, H. K.).
Wenn sich die heutigen poststalinistischen Islamverteidiger auf Marx berufen, so handelt es sich hierbei lediglich um ein plumpes Täuschungsmanöver für Mitläufer der allerdümmsten Sorte.
II.
Mit dem historischen Übergang zu klassengesellschaftlichen und patriarchalischen Sozialstrukturen sowie der Herausbildung staatlicher Repressionsgewalten fand ein „Umbau“ der spontan-naturreligiösen Bewusstseinsformen in doppelfunktionale religiöse Ideologien statt: Zum einen wird nun das Religiöse „von oben“ eingesetzt als Instrument der Legitimierung der zwischenmenschlichen Herrschaftsverhältnisse. „Die sozialen Prinzipien des Christentums“, so Marx in einem Artikel in der Deutsch-Brüsseler-Zeitung 1847, „haben die antike Sklaverei gerechtfertigt, die mittelalterliche Leibeigenschaft verherrlicht und verstehen sich ebenfalls im Notfall dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas jämmerlicher Miene, zu verteidigen“ (zit. n. Post 1969, S. 190). Zum anderen fungiert das Religiöse als Mittel der (Selbst-)Vertröstung der Beherrschten, Erniedrigten und Unterdrückten auf ein erlösendes Jenseits bzw. als imaginärer Ausweg aus dem irdischen Jammertal. D. h. der durch irdische Leidenserfahrungen hervorgerufene Durst nach Erlösung öffnet das Subjekt für offenbarungsreligiöse Anrufungen „von außen“. Die Religion entpuppt sich damit als selbstentmächtigende Versöhnungsdroge mit der schlechten Wirklichkeit oder anders formuliert: „Religion schmückt die Kette der Unfreiheit nur mit phantastischen Trostblumen“ (Post 1969, S. 170). Folglich reklamiert Marx nicht nur wie Feuerbach die Vertauschung von Subjekt und Prädikat (Projektionsthese), sondern findet darüber hinaus eine Begründung für diese Verkehrung: Das falsche, verdrehte Bewusstsein entsteht aus dem falschen, verdrehten Zustand der Welt: Weil die Welt verkehrt ist, muss das Bewusstsein religiös werden. Der durch antagonistische Herrschaftsverhältnisse zerrissene Mensch erzeugt die Religion als letztendlich regressiv-irreleitendes Mittel der Widerspruchsbewältigung. In diesem Sinne ist die Religion „nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt“ (MEW 1, S. 379).
Die Überwindung der religiösen Entfremdung war für Marx und Engels folglich die conditio sine qua non der menschlichen Emanzipation und die Voraussetzung für die Aufhebung der wertzentrierten kapitalistischen Subjekt-Objekt-Verkehrung. Ohne Überwindung der Gottesreligion ist letztlich auch keine Überwindung der Marktreligion möglich. Andererseits gilt aber wohl auch: Solange die kapitalistischen Fetischformen das gesellschaftlich-durchschnittliche Bewusstsein beherrschen, ist auch keine Überwindung der (bürgerlich adaptierten) Gottesreligion möglich.
Heute nun, nach dem Übergang vom bipolaren Zeitalter des Ost-West-Gegensatzes zur Ära der globalen Verflechtung heterogener und multipolarer Herrschaftskulturen, zeigt sich, dass der europäische Übergang von der prämodernen Feudalgesellschaft zur kapitalistischen Gesellschaftsformierung ein historischer Sonderfall gewesen ist. Was wir jetzt – jenseits des Erfahrungshorizonts von Marx und Engels – beobachten, ist die Herausbildung und Entwicklung kapitalistischer Strukturen ohne aufklärungshumanistisch gespeiste bürgerliche Revolutionen bzw. die Verflechtung prämoderner Herrschaftskultur mit kapitalistischer (ökonomisch-technisch-bürokratischer) Modernität bei gleichzeitiger Abwesenheit grundlegender Aspekte der kulturellen Moderne. Das, was Marx und Engels als ‚diachronen’ Prozess der Abfolge zweier qualitativ unterschiedener Gesellschaftsformationen rekapitulierten, tritt uns heute gegenüber als ‚synchroner’ Prozess der Verflechtung prämodern-religiöser und/oder feudal-patriarchalisch-absolutistischer und kapitalistischer Herrschaftskultur.
Sowohl die bürgerlich-liberale Modernisierungstheorie als auch der ökonomistisch-mechanistische Parteimarxismus haben den Prozess der Säkularisierung als einen linear-gesetzmäßigen Vorgang betrachtet, der sich gewissermaßen ‚automatisch’ aus der gesellschaftlichen Durchsetzung technologischer, ökonomischer und bürokratischer Modernisierungsprozesse ergibt. Ungenügend begriffen blieb dabei die Eigenlogik und Ungleichzeitigkeit geistig-kultureller und ideologisch-weltanschaulicher Formierungsprozesse. Insbesondere wurde die Beharrungskraft nichtwestlicher prämoderner Herrschaftskulturen unterschätzt und die zivilisatorische Umgestaltungsmacht von außen eindringender Kapitalisierung überschätzt. So kam es vielfach zu einer bizarren Koexistenz von kapitalistischer Modernität und ‚prämoderner‘ Herrschaftskultur unter Vorenthaltung der ‚kulturellen Moderne‘. (Kulturelle Moderne = Gesamtheit der Institutionalisierungsleistungen der antifeudalen europäischen Aufklärungsbewegung mit ihrem Höhepunkt in der französischen Revolution: Trennung von Staat, Religion und Privatsphäre, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Idee des freien Individuums etc.). Zugleich wurde im Rahmen der politischen und wissenschaftlichen Diskurse des Ost-West-Konflikts bzw. des Systemgegensatzes zwischen Kapitalismus und Realsozialismus alles ‚Nichtwestliche’ und ‚Nichtsowjetische’ als zweitrangig und nebensächlich hingestellt bzw. begrifflich entwichtigt und marginalisiert und somit auch die autonome Prägekraft religiöser Geltungsmacht kategorial ausgeblendet. Der „US-Imperialismus“ wurde als ökonomisch-politisch-militärische Supermachtstruktur „rauf und runter“ analysiert, aber der Einbau des Religiösen in die amerikanische Herrschaftskultur blieb ausgeblendet oder wurde bestenfalls als merkwürdige Randerscheinung wahrgenommen. Ebenso blieb der Islam überwiegend ein folkloristisches Exotikum, umgeben mit der orientalistischen Aura von „Tausendundeiner Nacht“, während die Todesstrafe für Atheisten und Anhänger des Marxismus-Leninismus in Saudi-Arabien bestenfalls das Interesse von einigen ostdeutschen Dritte-Welt-Spezialisten erregte. Auch dieser epochenspezifischen Wahrnehmungstrübung ist es geschuldet, wenn der „Aufstieg des Religiösen“ nach 1989 zum Teil übertrieben wahrgenommen wird. Sowohl die amerikanischen Fundamentalisten als auch die Islamisten waren schon längst da. Auch in Russland, Indien und China sehen wir jeweils spezifische Verflechtungsformen zwischen kulturhistorisch überlieferter vormodern-autoritärer und neokapitalistischer Herrschaftskultur, ohne dass durchsetzungsfähige progressiv-emanzipatorische Akteure in Sicht wären.
III.
Wie ich in meinem Vortrag auf der Kritischen Islamkonferenz und meinem Buch „Islam, Islamismus, muslimische Gegengesellschaft“ (www.hintergrund-verlag.de) näher ausgeführt habe, ist der Islam nicht einfach nur ein privates Glaubenssystem, sondern eine umfassende Weltanschauung, politische Doktrin und Herrschaftsideologie. Betrachtet man seine zentralen Aussagen, Behauptungen, Normen und Wertungen, wie sie im Koran, in der Hadithsammlung und in der Scharia als göttlich festgelegte „Gesetzessammlung“ fixiert sind, dann stellt sich der Islam als ein spezifisches System der Erzeugung und Reproduktion zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse und der dazu passenden unterwerfungsbereiten Subjektivität dar. Seine operative Wirksamkeit erhält dieses offenbarungsreligiöse Behauptungs- und Begründungssystem in Form einer normativ-autoritären Ethik, die als ein allumfassender Regel- und Pflichtenkatalog in Erscheinung tritt. „Es gibt also kein Verhalten, das man sich vernünftigerweise vorstellen kann, und keine Situation, in der der Mensch sich befinden kann, ohne dass der Islam den Muslim beeinflusst und sein Verhalten so festlegt, wie es (der Islam) vorsieht. Wer folglich denkt, der Islam sei (nur) ein Glaube und nicht auch ein System (eine Ordnung = nizam), ist töricht und weiß nichts vom Islam“ (Abd al-Qadir `Udah, zit. n. Antes 1991, S. 59).
Gegenstand der kritischen Betrachtung ist folglich der Islam als objektives religiös-weltanschauliches System von Behauptungen, Normen, Vorschriften, Handlungsaufforderungen etc., das ein kulturspezifisches Gefüge zwischenmenschlicher Herrschaftsbeziehungen vor- und festschreibt. Davon strikt zu unterscheiden sind nun die subjektiven Einstellungen und Verhaltensweisen konkreter Muslime. Entscheidungstheoretisch betrachtet können sich diese zum Beispiel entweder rigoros und dogmatisch („fundamentalistisch“) an die objektiven Vorgaben halten, diese nur partiell befolgen, diese ignorieren (ohne das nach außen zu zeigen), sich öffentlich distanzieren (austreten) oder aber einen subjektivistisch interpretierten „Selfe-made-Islam“ kreieren, der die „gefährlichen“, „anstößigen“, „problematischen“, „unliebsamen“ Aussagen einfach voluntaristisch ausblendet und so tut, als sei dieser subjektivistisch konstruierte Islam der „eigentliche“ Islam. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass gerade der Islam als offenbarungsreligiöses Behauptungssystem keine beliebige Interpretation zulässt. So gelten die auf Mohammed herabgesandten Suren des Korans als unmittelbares, ewig und überall gültiges Gotteswort. Hinterfragendes und situativ relativierendes Interpretieren gilt im vorherrschenden orthodox-konservativen Gesetzes-Islam als Blasphemie. Entsprechend heißt es in einem Hadith: „Die beste Rede ist das Buch Gottes. Das beste Vorbild ist das Vorbild Muhammads. Und die schlechtesten aller Dinge sind Neuerungen, die in die Religion eingeführt werden. Und was versprochen wurde wird eintreten – ihr könnt euch dem nicht entziehen “ (al-Buhari1991, S. 485).
Auch im Koran selbst werden eigenmächtige Textauslegung sowie Neuerungen in Brauch und Gesetz kategorisch ausgeschlossen und damit das normative Gesamtgefüge des Islam gegenüber „Reformen“ grundsätzlich versiegelt.
Zudem muss bezweifelt werden, ob die Neuauslegung von grundrechtswidrigen bzw. antimenschenrechtlichen Aussagen, Normen, Vorschriften etc. am Wesen dieser Aussagen etc. etwas grundsätzlich zu ändern vermag, wenn sie nicht gänzlich deren Bedeutungsgehalt verkehren will. In diesem Fall wäre dann aber nicht eine Neuinterpretation, sondern eine Außerkraftsetzung angebracht.
Vor diesem Hintergrund ist die Zahl von Reformern in der islamischen Herrschaftssphäre relativ klein. Dasselbe gilt für ihren Anhang und ihre Leserschaft. D. h. die relativ kleine Schar von unrepräsentativen Reformern ist innerhalb der Umma weitestgehend isoliert.
Hinzu kommt, dass die Reformer in den islamischen Ländern systematisch unterdrückt, gegängelt, zwangsgeschieden und sogar getötet werden. Insofern ist der Verweis auf den Reformislam oftmals ein Ablenkungsmanöver, um vom aktuellen Kernsachverhalt abzulenken, nämlich von der sogar noch zunehmenden Vormachtstellung und ungebrochenen Deutungshoheit des reaktionären islamischen Establishments.
IV.
Der bevölkerungsexplosive ‚nichtwestliche‘ Teil der Welt ist folglich nicht einfach nur passives Material der vom Westen ausgehenden Globalisierung, sondern ein eigenständig-gegenläufiger Wirkraum mit einer beharrungsfähigen ‚einheimischen‘ Herrschaftskultur sowie entgegengesetzten Subjektivitäten und Handlungsenergien, die sich gleichfalls als globalisierungsfähig erweisen. Von einem dritten, kritisch-emanzipatorischen Standpunkt aus betrachtet, ist diese ‚antiwestliche‘ Widerständigkeit/Brechungskraft nicht per se als Ausdruck progressiver (solidaritätsheischender) Ambitionen zu werten, sondern als Indikator eines konkurrierenden ‚Willens zur Macht‘ bzw. zur reaktionären Herrschaftsbehauptung und -erweiterung. Wie man am Beispiel Saudi-Arabiens und der übrigen parasitären Erdölmonarchien ablesen kann, findet gerade im Rahmen des Globalisierungsprozesses eine zunehmende strukturelle und strategische Verflechtung von ‚moderner‘ und ‚prämoderner‘ Herrschaftskultur statt. Einerseits sind diese Länder fest und profitabel in das kapitalistische Weltwirtschaftssystem integriert, fungieren als Kapitalexporteure und Waffenimporteure, die Günstlingsbeziehungen zu westlichen Politikern und Kapitalisten aufbauen und unterhalten. Andererseits agieren sie als globaler Förderer und Finanzier orthodox-islamischer Indoktrination bis hin zu djihadistisch-terroristischen Strukturen. Dabei bilden ein komplexes Bankensystem sowie ein Netzwerk aus Firmen, politischen und pseudokaritativen Einrichtungen die zentralen Stützpfeiler dieses expansiven Islamismus. So wurde und wird ein beträchtlicher Teil der Profite aus dem Erdölgeschäft unmittelbar in die Unterstützung der multidimensionalen Aktivitäten islamistischer Kräfte einschließlich der palästinensischen Märtyrerindustrie reinvestiert.
Saudi-Arabien und die übrigen parasitären Erdölmonarchien sind nur ein, wenn auch relevantes, Beispiel für die wechselseitige Anpassungs- und Durchdringungsfähigkeit ‚moderner‘ kapitalistischer und traditionaler Herrschaftskultur zu Lasten der beherrschten und entmündigten Bevölkerungsgruppen. So zeigt sich im Globalisierungsprozess zunehmend, dass kapitalistische Profitwirtschaft auch und gerade im Rahmen nichtwestlich-vormoderner (neodespotischer) Herrschaftsstrukturen gedeiht, während andererseits die traditionalistischen Herrschaftseliten die Einführung kapitalistischer (Re-)produktionszusammenhänge gewinnbringend in ihr überliefertes Macht- und Legitimationsinstrumentarium einzuverleiben vermögen. Der ‚antiwestliche Reflex‘ ist hier weitestgehend nicht ökonomischer/antikapitalistischer Natur, sondern gegen die herrschaftslabilisierenden Grundinhalte der kulturellen Moderne (Menschenrechte, Demokratie, Säkularisierung, individuelle Emanzipation, Rechtsstaatlichkeit etc.) gerichtet.
Der bürgerliche Verrat an den Ideen, Prinzipien, Leitbegriffen der ‚kulturellen Moderne‘, die einen reichhaltigen Fundus für die Ausprägung einer postreligiösen humanistischen Moral und Werterziehung bereitstellen, hat nun aber seinerseits die Reaktivierung des Religiösen schubweise zur herrschaftsideologischen ultima Ratio werden lassen. So hat sich gerade aktuell herausgestellt, dass Neoliberalismus und konsumistische Massenkultur keine dauerhaft befriedigenden Antworten auf die menschlich-existenziellen Fragen nach Lebenssinn und -perspektive bereitzustellen vermögen. Deshalb auch die Bereitschaft breiter Teile der westlichen Herrschaftselite, das Religiöse aus kompensatorischen Gründen als Mittel der geistigen Desorientierung und Fehllenkung menschlicher Handlungsenergien zu reinstrumentalisieren. Wer an ein Jenseits glaubt, das irdische Leben entwichtigt, Selbstgenügsamkeit als selbstheiligenden Gottesdienst ansieht, Feindesliebe praktiziert, Mitleid und Narzissmus zu einem selbstgerechten ‚Gutmenschentum‘ verschmilzt etc. ist zum einen als praktisch-kritischer Kämpfer für eine Verbesserung der irdischen Lebenswirklichkeit nachhaltig suspendiert. Zum anderen fügt er sich demütiger und hinnahmebereiter in die vorgegebenen Herrschaftsstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse ein und ist gegenüber kritisch-humanistischen Gesellschafts- und Lebensentwürfen immunisiert oder doch zumindest überdurchschnittlich resistent.
In der Begegnung mit prämodern konstituierten nichtwestlichen Kulturen wird nun dieses nicht überwundene Potential zum einen durch Migrationsimporte ergänzt und reaktiviert, während zugleich die konsumistische Massenkultur und spätkapitalistische Warenästhetik in diese Kulturkreise destabilisierend eingespeist wird. Der exogenen (ökonomisch-technisch-bürokratischen) Modernisierung der nichtwestlichen Länder entspricht somit so etwas wie die exogene Irrationalisierung des Westens in Form zusätzlicher religiös-herrschaftskultureller Kontaminierung von außen. Da die neoliberal und kosmopolitisch ausgerichtete Spätbourgeoisie sich längst von der kulturellen Moderne verabschiedet hat und z. B. die Würde und die Rechte des Menschen nur noch durch die Brille der globalen Profitmaximierung und des ungestörten Warenkreislaufs betrachtet, hat sie aus ihrer ideologischen Not eine Tugend gemacht und kombiniert hedonistischen Konsumismus und (neo-religiöse) Indoktrination als zielgruppenspezifische Formen der geistig-kulturellen Herrschaftsausübung. Was wir heute in den noch nicht barbarisierten Teilen der Welt vorfinden, ist demnach der gleichzeitige Einsatz von Verführung/Verlockung in Gestalt der hedonistisch-konsumistischer Massenkultur des Habens für die zahlungskräftigen Konsumenten einerseits und die (neo-)religiöse Vertröstung/Irreführung/Bevormundung/Askese für die wachsende Überschussbevölkerung andererseits. Shopping-Center und Moschee, Kirche und Großdiskothek Rücken an Rücken.
V.
Wir stehen folglich vor der Notwendigkeit einer grundlegenden Renovierung des kapitalismuskritischen Denkansatzes: Indem das Kapital sich zunehmend globalisiert hat, ist es ‚postmodern’ geworden. Das bedeutet zum einen, das es sich nichtwestlichen Herrschaftskulturen gegenüber öffnet und mit diesen strategische Allianzen auf ökonomischem, militärischem. politischem etc. Gebiet eingeht. Dazu gehört natürlich auch ein ausgeprägter soziokultureller Verharmlosungsdiskurs bzgl. des antiemanzipatorischen Charakters dieser neuen Bündnispartner. Zum anderen verhält es sich damit praktisch zunehmend nihilistisch gegenüber den Grundinhalten der eigenen, westlich „gewachsenen“, antifeudalen/antimittelalterlichen Leitkultur und bürdet den einheimischen Bevölkerungen die sozialen Folgekosten dieser neuen globalen Herrschaftsstrategie in Gestalt von Zuwanderungsghettos, Parallelgesellschaften, Sozialdemontage, höheren Abgabelasten etc. auf. Dabei nutzt die postmoderne Elite das klassische Rechts-Links-Schema, um Verwirrung zu stiften und praktisch-kritische Widerstandsimpulse zu ersticken. Wer sich der neuen kapitalistischen Verbündungsstrategie mit nichtwestlich-despotischen Herrschaftsträgern und deren religiösen „Leitkulturen“ widersetzt und den wachsenden Migrationsimport zusätzlicher reaktionärer Denk- und Verhaltensweisen kritisiert, wird als „rassistisch“, „fremdenfeindlich“, „rechtslastig“, „islamophob“ etc. gebrandmarkt. Wer demgegenüber als willfähriger Handlanger und Schönredner eingewanderter Repressionskulturen und deren totalitären Ideologien fungiert, gilt – in moralischer Ausbeutung eines noch nachwirkenden naiv-unkritischen Internationalismusideologie – als „fortschrittlich“, „aufgeschlossen“ bzw. als „toleranter Gutmensch“. Damit hat sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der verbliebenen Linken von Marx’ kategorischem Imperativ verabschiedet, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx 1988. S. 385).
Im Einzelnen sind drei Grundvarianten dieser selbstzerstörerischen Verkennung und Verharmlosung des nichtwestlichen religiösen Neototalitarismus erkennbar:
1) Die Verformung des Rassismusbegriffs in eine ‚Diffamierungskeule’. Jede sachlich-inhaltlich begründete Kritik an reaktionären und repressiv-antiemanzipatorischen Verhaltens- und Denkweisen von Migranten, Muslimen, Ausländern, Nichtdeutschen etc. wird reflexartig unter den Generalverdacht des ‚Rassismus’ und der ‚Fremdenfeindlichkeit’ gestellt. Dabei handelt es sich nicht nur um einen ideologischen Abwehrmechanismus, sondern zugleich um eine Legitimation zur Gewaltanwendung. Zum Beispiel wurden AktivistInnen der Aktion 3. Welt Saar auf dem Europäischen Sozialforum 2003 in Paris massiv beschimpft, tätlich angegriffen und von Ordnern ausgesperrt, als sie ein mehrsprachiges Flugblatt für das Existenzrecht Israels verteilen wollten[2]. Gleichzeitig fungierte der Nadelstreifen-Islamist Tariq Ramadan auf diesem Forum als Starredner. Mit der Rassismuskeule in der Hand entarten hier offensichtlich Teile der ‚Straßenlinken’ und ihre Schreibtischtäter zu politisch-ideologischen Bodyguadrs der Islamisten und ihrer antijüdischen Hetze.
2) Die Stilisierung des Islamismus und anderer antiwestlich-reaktionärer Bewegungen/Regime zu Bündnispartnern im „antiimperialistischen Kampf“. Nach der stupiden Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ wird der aus einem prämodern-religiösen Herrschaftsinteresse artikulierte Hass auf den Westen als „antiimperialistischer Protest“ missdeutet, ohne die ihm zugrunde liegende fortschrittsfeindlich-repressive Zielsetzung zu berücksichtigen. Ein Beispiel hierfür ist die distanzlose Kumpanei poststalinistischer Kommunisten mit dem despotischen Regime des Hitler- und Stalinschülers Saddam Hussein sowie die aktuelle Schönfärbung der im Irak agierenden Terrorbrigaden zu „Widerstandskämpfern“. Was sind das für „Widerstandskämpfer“, die hauptsächlich unzählige friedliche Landsleute umbringen, den Wiederaufbau des Landes zerbomben und durch ihre blutigen Aktionen die amerikanisch-englische Besatzung verlängern helfen?[3] Dort, wo diese „Widerstandskämpfer“ die Kontrolle übernommen haben, wurde umgehend eine schariatische Schreckensherrschaft nach dem Vorbild der Taliban eingeführt.
3) Die Eliminierung humanistisch-aufklärerischer Bewertungsmaßstäbe im Sinne eines ‚postmodernen’ Kulturrelativismus. Das Kernmerkmal des postmodernen Kulturrelativismus ist die Setzung eines dogmatischen Denk- und Reflexionsverbots: Fremde Kulturen sind in ihrer und wegen ihre ‚Andersheit’ tabu. Deshalb dürfen sie nicht herrschaftskritisch analysiert und bewertet werden. An sie darf nie ein „äußerer“ Maßstab in Form verallgemeinernder Begriffe und emanzipatorischer Werte herangetragen werden, denn ein solches Herangehen würde ihre ‚Identität’ und ‚Integrität’ verletzen. Angemessen und „korrekt“ ist nur ein „hermeneutisches Heranlauschen“ an die Fremdkultur unter möglichst weitgehender Verdrängung des erworbenen eigenen Urteilsvermögens. Mit dieser Fetischisierung von Andersheit und Differenz wird eine hermetische Apologetik konstruiert, die den Herrschaftsinteressen und Täuschungsabsichten reaktionärer ‚Fremdkulturen’ unmittelbar in die Hände spielt und gleichzeitig die dafür notwendige subjektive Selbstaufgabe normativ vorgibt. Eine Ideologie der prototalitären Kumpanei und Selbstkasteiung/Selbstzerstörung par excellence. Drastisch, aber treffend hat Tibi (1999, S. 165) diesen postmodernen Rückfall hinter die Errungenschaften der kulturellen Moderne charakterisiert: „Wenn im islamischen Sudan Frauen durch Beschneidung ihrer Klitoris in ihrer Sexualität entmündigt werden, dann ist das für Kulturrelativisten keine Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit, sondern schlicht ein Ausdruck anderer Sitten, vergleichbar der inhumanen Verschleierung der Frauen. …. In Wirklichkeit bedeutet Kulturrelativismus jedoch nicht Toleranz gegenüber anderen Kulturen, sondern moralische Trägheit und Entlastung von jeglicher Verantwortung, etwa für die Verletzung von Menschenrechten.“
Angesichts dieses selbstzerstörerischen Verfalls der Linkskräfte ist eine neue Fortschrittsbewegung erforderlich, die auf der Basis einer Leitkultur des säkularen Humanismus und des Aufklärungsdenkens für eine herrschaftsfreie Vergesellschaftung eintritt und sich dabei ihrer multifrontalen Stellung bewusst ist. Denn eine humanistisch-aufklärerische Leitkultur ist heute einem konzentrischen Vernichtungsangriff aus entgegengesetzten Richtungen ausgesetzt. Marktradikale Neoliberale mit ihrer Vergötzung anarchisch-destruktiver Wirtschaftsmechanismen als „kreative Zerstörung“, Wiederbeschwörer konservativer Wertorientierungen mit ihrem Streben nach Reinstallierung einer entmündigenden Untertanen- und Gehorsamskultur, postmodernistische Zeitgeistmonteure mit ihrer fadenscheinigen Sabotage kritisch-wissenschaftlicher Denk- und Analysemethoden, religiöse Fundamentalisten mit ihrer neototalitären Verteufelung der menschlichen Emanzipation und eben auch poststalinistische Linke mit ihrer verbildeten, einfach-negatorischen und pseudofortschrittlichen Antihaltung im Sinne eines „entmodernisierten“ Radikalismus bilden eine Gemengelage geistig-moralischer Destruktivkräfte, die einer Neuaneignung sozial- und subjektemanzipatorischer Perspektiven auf jeweils spezifische Art entgegenstehen[4].
VI.
Wenden wir uns abschließend noch jenem tapferen Internet-Anonymus zu, der mir in seiner Eigenschaft als Beschützer islamischer Befindlichkeiten bösen „Kulturalismus“ vorwirft, weil ich es wage, den Zusammenhang zwischen folgenden Aspekten anzusprechen:
- a) islamisch-patriarchalische Unterdrückung und Fremdbestimmung der Frauen (will der Anonymus diesen Sachverhalt ernsthaft bestreiten?),
- b) dadurch induzierte relativ hohe Geburtenrate (wird dieser Tatbestand wirklich angezweifelt?)
- c) gezielte Stabilhaltung orthodox-islamischer Sozialisationsverhältnisse (wird das angesichts zum Beispiel der Erdogan-Rede oder der Ergebnisse der jüngsten Muslim-Studie oder aber angesichts des Ausmaßes von Zwangheiraten tatsächlich in Abrede gestellt) und
- d) bewusste Instrumentalisierung dieses Wirkungskontextes als expansives biopolitisches Herrschaftsinstrument durch radikalislamische Kräfte.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass die islamisch-patriarchalisch unterworfene Frau durch erwiesene Fruchtbarkeit, also durch die Geburt vieler Kinder (vor allem Söhne) im Rahmen ihrer repressiven Fremdbestimmtheit die Möglichkeit erhält, einen Zuwachs an Ehre und Anerkennung zu erzielen. So heißt es bei dem bedeutenden islamischen Gelehrten Al-Gahzali:
„Eine Matte in einem Winkel des Hauses ist besser als eine Frau, die nicht gebiert. (oder) Die Beste unter euren Frauen ist jene, die viele Kinder gebiert (al-walid) und dem Manne viel Liebe bezeigt (al-wadud)“ (Akashe-Böhme 2006, S. 72)
Vor diesem Hintergrund verfolgt zum Beispiel die IGMG im Kern zwei Hauptziele:
1) als Teil bzw. „Außenposten“ des türkischen Islamismus die Beseitigung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei und die Errichtung einer auf Koran und Schari‘a basierenden totalitär-islamistischen Gesellschaftsordnung; und
2) als Bestandteil des westeuropäischen ‚Migrationsislamismus‘ den Auf- und Ausbau einer möglichst abgeschotteten, islamistisch reglementierten und kontrollierten Parallelgesellschaft als Basis für eine sukzessive Islamisierung der deutschen Gesellschaft.
Auf einer Veranstaltung des IGMG-Gebietes Schwaben am 4. Juni 2001 in Neu-Ulm referierten vor 15.000 Teilnehmern der damalige IGMG-Vorsitzende Erbakan, sein damaliger Stellvertreter Karahan sowie die frühere Abgeordnete der islamistischen Refa Partisi (RP) im türkischen Parlament, Merve Kavakçi. Dabei rief Erbakan im Sinne seiner Kampagne zur Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit den Anwesenden zu:
„Ich will deutsche Muslime sehen! Durch die Heirat von deutschen Muslimen mit türkischen Staatsangehörigen und dem Familiennachzug aus der Türkei könnte das Potential von deutschen IGMG-Anhängern rasch wachsen. In einem Zeitraum von fünf Jahren sei so das Ziel zu erreichen, eine erfolgreiche islamische Wahlpartei in Deutschland zu gründen. Voraussetzung für eine Teilnahme an Wahlen sei allerdings die deutsche Staatsangehörigkeit. Auch Karahan sprach von einer islamischen Partei in Deutschland, die in wenigen Jahren den Einzug in den Berliner Reichstag schaffen könne. Denn in Deutschland hielten sich etwa 7 Millionen Moslems legal oder illegal auf. In etwa fünf Jahren werde diese Zahl auf rund 11 Millionen anwachsen. Und in weiteren fünf Jahren etwa 16 Millionen betragen Dann sei man bereits so stark wie die ehemaligen Einwohner der DDR“ (vgl. Tibi 2002, S. 269f.).
Je mehr orthodox sozialisierte Muslime, umso besser die Chancen für die erweiterte Reproduktion islamisch regulierter und kontrollierter Herrschaftsräume. Je größer das Potential reaktionärer Muslime, das sich dem Potential der einheimischen Reaktionäre hinzugesellt, umso schlechter das Kräfteverhältnis und damit die Ausgangsbedingen für eine fortschrittliche Gesellschaftsveränderung. Die islamophile Apologetik unter dem Deckmantel des „Antirassismus“ trägt nicht nur zur Verschleierung dieser Tendenzen bei, sondern vergrößert auch den Spielraum für rechtspopulistische Propaganda bei begründet unzufriedenen Teilen der Bevölkerung und wirkt damit in doppelter Hinsicht kontraproduktiv.
VII.
Fazit: Die Herausbildung einer emanzipatorischen Kritik an der Konstitution und expansiven Praxis der islamischen Herrschaftskultur, wird aktuell durch folgende Gegenkräfte nachhaltig blockiert und erschwert:
1) Durch einflussreiche Kreise innerhalb der westlichen Herrschaftselite, die aus unterschiedlichen (ökonomischen, politischen und religiösen) Interessen mit den islamischen Herrschaftsträgern kollaborieren und für eine „islamkorrekte“ Berichterstattung in den Medien sorgen, um die muslimischen „Geschäftspartner“ nicht zu verärgern.
2) Durch die Träger einer kulturrelativistischen und islamophilen Ideologie in den Parteien und Medien, im Justizapparat, im Bildungssystem und der Integrationsindustrie.
3) Durch die proislamistischen Kräfte der degenerierten poststalinistischen Linken, die Islamkritik per se als „rassistisch“, „fremdenfeindlich“, „islamophob“ etc. diffamieren und sich damit als ideologischer Steigbügelhalter einer reaktionären Herrschaftsformation erweisen.
4) Durch jene Abteilungen innerhalb des europäischen Rechtsextremismus, die im Geiste der Nazis einen engen Schulterschluss mit den antijüdischen Kräften des Islam suchen und die iranische Gottesdiktatur um Spendengelder anbetteln wie zum Beispiel die NPD.
Dieser „Querfront“ der „Freunde des Islam“ steht nun eine mehrheitliche Strömung innerhalb der einheimischen Bevölkerung gegenüber, die auf der Grundlage von multiplen Alltagserfahrungen und einer sich verdichtenden Nachrichtenlage eine islamkritische Einstellung ausgebildet hat, die sich nicht einfach in unwissenschaftlich-polemischer Manier als Ansammlung von „Ressentiments“ und „Vorurteilen“ abtun lässt. Aufgrund der vorherrschenden Diffamierung und Desartikulation von Islamkritik in den Medien, aber auch durch die tonangebenden Kräfte in den Parteien, Kirchen, Verbänden etc. hat sich bei großen Teilen dieser sich nicht vertreten fühlenden Mehrheit eine allergische „Politikverdrossenheit“ und eine abgrundtiefe Abneigung gegen das proislamische Establishment und die „kulturrelativistische“ (multikulturalistische) und „proislamistische“ Linke ausgebildet.
In diese interessenpolitische Kluft zwischen proislamischer Elite und kulturrelativistisch dominierter (abwiegelnder) Öffentlichkeit einerseits und islamkritischer Stimmung und Unzufriedenheit der einheimischen Bevölkerungsmehrheit anderseits stoßen nun rechtspopulistische Kräfte mit einer „Anti-Islam-Ideologie“, die folgende inhaltliche und wirkungsfunktionale Merkmale aufweist:
- a) Der Islam wird nicht auf der Grundlage einer menschenrechtlich-demokratischen und emanzipatorischen Herrschaftsanalyse kritisiert, sondern auf der Basis eines christlich-abendländischen Rechtskonservatismus und Nationalismus als unliebsamer Herrschaftskonkurrent im Kampf um die knappen Güter der spätkapitalistischen Reichtumsverteilung, Ressourcenaneignung und konservativen Gesellschaftsgestaltung abgewehrt und auf sein Herkunftsterritorium verwiesen (reaktionärer interethnischer und interreligiöser Wettbewerb um die „wahre“ konservative Herrschaftsgestaltung).
- b) Da die etablierte Politik islamkritische Positionen überwiegend unterdrückt, marginalisiert, desartikuliert oder sogar diffamiert und keine „wählbare“ islamkritische Alternative auf fortschrittlicher Grundlage in Sicht ist, wendet sich ein Teil der politikverdrossenen Bevölkerung aus Protest diesen rechtspopulistischen „Anti-Islam-Kräften“ zu, ohne selbst unbedingt „rechts“ zu sein. Der Aufstieg dieses Rechtspopulismus ist deshalb zu einem guten Teil die logische Konsequenz aus der proislamischen Dominanz innerhalb der globalistischen (postmodernen) Herrschaftselite und der ihr dienenden politischen Klasse. Als zusätzliches Sahnehäubchen dieses Unzufriedenheit auslösenden Blocks fungiert dann schließlich noch die sich als „Bodyguard der bedrängten Muslime“ aufspielende „antirassistische Straßenlinke“
- c) Das Auftreten der rechtspopulistischen Anti-Islam-Kräfte liefert nun wiederum das willkommene Abgrenzungs- und Rationalisierungsmaterial, um Islamkritik per se in die rechte Schmudellecke zu stellen und sich öffentlichkeitswirksam in der eigenen proislamischen und damit angeblich „antirassistischen“ Gutmenschlichkeit zu sonnen. Dialektischer Nutznießer dieser Kollision rechter Anti-Islam-Propaganda und einseitig „antirassistisch“-proislamischer“ Gegenreaktion sind somit in jedem Fall die Protagonisten der islamischen Herrschaftskultur, also die Vertreter des zugewanderten muslimischen Rechtsextremismus.
[1] Hier ist eine Klarstellung angezeigt:
In manchen Sumpfgebieten des Internets und diversen Mailinglisten wird die falsche Behauptung kolportiert, ich sei von der Konferenz „ Feel the difference“ ausgeladen worden.
Tatsächlich verhält es sich so, dass ich mich dieser Veranstaltung nicht etwa aufgedrängt habe, sondern von den Veranstaltern – womöglich als islamkritisches Feigenblatt – eingeladen wurde. Schon in meiner Antwort auf das Einladungsschreiben habe ich darauf hingewiesen, dass ich für eine Veranstaltung, die primär auf eine Verteidigung bzw. Verharmlosung der islamischen Herrschaftskultur sowie tendenziell auf die Diffamierung von Islamkritik als „rassistisch“ hinausläuft, nicht der richtige Referent bin. Zudem schlug ich den Veranstaltern die Einbeziehung islamgeschädigter Zuwanderer zum Beispiel aus den Reihen des in Köln ansässigen Zentralrats der Ex-Muslime vor.
Die Einlader machten auf mich den Eindruck, dass sie zwar gewillt sind, sich von den hardcore-Antifas aus dem Lager der antiimperialistischen Hamasschutzstaffeln abzugrenzen, aber im Hinblick auf eine präzise Konstitutionsanalyse der islamischen Herrschaftskultur noch eine Menge Nachholbedarf haben. Das spiegelt sich auch in ihrem Einladungsflugblatt zur Konferenz, wo u. a. das Trugbild eines „unpolitischen Islam“ propagiert wird. Entsprechend korrumpierbar sind sie auch für die islamtheoretisch halbseidenen Zurufe aus den diversen „antifaschistischen“ und „antirassistischen“ Szeneblogs und dürften deshalb mit ihrer Veranstaltung für diese Gruppen im Endeffekt auch nur als nützliche Idioten fungieren.
Nachdem die Veranstalter organisatorisch relevante Anfragen von mir einfach unbeantwortet ließen und zwischenzeitlich ihr endgültiges Programm mit einem eindeutigen Überhang islamophiler Demagogen als Referenten und zum Teil realitätswidrigen Themenstellungen veröffentlichten, war der Fall für mich allerdings erledigt. Warum sollte ich noch „ordentlich“ absagen, wo mir doch noch nicht einmal meine Anfragen (zum Beispiel nach dem Zeitrahmen meines Vortrags) beantwortet worden waren?
Was das Zustandekommen meines Beitrags in dem Sammelband „Gegen die feige Neutralität“ anbelangt, der nun a posteriori als Ausladungsfake bemüht wird, hatte ich bereits folgendermaßen Stellung genommen:
„Prof. Armin Geus em. (Giordano-Bruno-Stiftung) hatte mich um einen Beitrag für einen islamkritischen Sammelband angefragt. Ohne die Liste der Koautoren zu kennen, hatte ich ihm meinen Artikel ‚Eine kurze Betrachtung der islamischen Herrschaftskultur und des aktuellen Radikalislam’ zugesandt. Liest man diesen Beitrag, dann ist der Verdacht einer Annäherung an Rohrmoser, Mynarek, Stolz und Röhl kompletter Unsinn; auch wenn mir deren vorab nicht bekannte Ko-Autorenschaft durchaus Unbehagen bereitet. Allerdings sind außer mir auch Ralph Giordano, Hiltrut Schröter, Tilman Nagel, Siegfried Kohlhammer, Michael Miersch und Daniel Pipes vertreten, so dass man die Veröffentlichung nicht pauschal bewerten bzw. nur in eine bestimmte Ecke stellen kann. Leider ist es nun mal so, dass die Front zwischen den Freunden und den Kritikern des Islam nicht sauber an der Achse des klassischen Links-Rechts-Schemas verläuft. Dennoch sehe ich die Möglichkeit der Schaffung eines Übergewichts fortschrittlich-demokratischer Kräfte der Islamkritik. Die Kritische Islamkonferenz war hierzu ein guter Anfang.“
Zwar war es ein zukünftig zu vermeidender Fehler meinerseits, auch unter Zeitdruck die Identität der Koautoren nicht im Voraus zu klären. Aber dieses Versäumnis ändert nichts an der Tragfähigkeit meiner Islamkritik und an der Niederträchtigkeit jener, die diesen Fehler nutzen wollen, um die vom mir vertretene Islamkritik zu sabotieren.
[2] Vgl. das Interview mit Klaus Blees, Vertreter der Aktion 3. Welt Saar, in der Zeitschrift Exzess, Ausgabe 23 2005, S. 10 -12.
[3] Bedenkenswert ist die folgende Überlegung von Frank A. Meyer, geäußert in „Cicero“ – Magazin für politische Kultur – vom 23.11.2004: „Das ist die Falle, in der die traditionelle Linke steckt: Ihr dogmatischer Antiamerikanismus – der kleinste und krudeste gemeinsame Nenner möglichst vieler Menschen auf allen Kontinenten, also eine Basis, die das abhanden gekommene Proletariat zu kompensieren scheint. Der Islam mit seinen islamistischen Einpeitschern trägt zu dieser Streitmacht mehr als eine Milliarde Muslime bei. Endlich fühlt man sich der drangsalierenden Macht des globalen Kapitals gegenüber wieder stark.“ Khomeinis Schergen haben im Iran am Beispiel der Tudeh-Partei freilich bereits blutig demonstriert, wohin dieser strategische Wahn der Verbrüderung mit der islamischen Herrschaftskultur führt.
[4] Im Lichte der Marxschen Entfremdungstheorie handelt es sich hier um die fatale Verflechtung des spätbürgerlichen Kapitalfetischs mit dem global reaktivierten Religionsfetisch einerseits und dem postmodernistisch inszenierten Differenzfetisch andererseits. Wer diese regressive Fetischsynthese nicht als die aktuell zentrale theoretisch- und praktisch-kritische Herausforderung begreift, sollte seine Tagträumereien über einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ besser ad acta legen.