Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen.
364 Seiten. Deutsche Verlags-Anstalt. München 2010. 4. Auflage. 22,99 €. ISBN 978-3-421-04430-3.
Hartmut Krauss
Jenseits von euphorischer Zustimmung und hysterischer Verdammung.
Eine rational-kritische Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ (Auszug[1])
Inhalt
Vorbemerkung
- Demographische Entwicklung, spätkapitalistischer Arbeitsmarkt und Reproduktionsverhalten
- Struktur und Beschaffenheit der Armutspopulation im Rahmen des deutschen Sozialsystems
- Zur Kritik von Sarrazins erbbiologischer Rechtsfertigungsideologie sozialer Ungleichheit
- Erscheinungsformen und Ursachen des Bildungsrückgangs in Deutschland.
- Orthodox-islamische Sozialisation als Kernaspekt des Migrations-Integrations-Problems
Ausblick
Die Einwanderung streng gläubiger Muslime als Import einer ‚rechtsreaktionären’ Herrschaftskultur
Sarrazin vertritt keinesfalls – wie in den Medien häufig suggeriert – einen pauschal fremdenfeindlichen Diskurs, in dem Einwanderer generell abgelehnt werden. So akzentuiert er wiederholt die positiven Integrations- und Bildungsleistungen von asiatischen Migranten. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen ist aber seine folgende Feststellung durchaus zutreffend: „Aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes nehmen Konflikte, Reibungsverluste und Unzuträglichkeiten mit einem wachsenden Anteil muslimischer Migranten an der Bevölkerung progressiv zu“ (S. 367f.) Auch ist es durchaus nicht abwegig, muslimische Großfamilien im Sozialtransferbezug als Gewinner des deutschen Sozialsystems anzusehen.
Insgesamt aber geht es um folgenden langfristig wirksamen Trend: Während der einheimische (säkular-demokratisch sozialisierte) Bevölkerungsanteil demographisch unwiderruflich schrumpft, ist es durchaus von einschneidend negativer Bedeutung, wenn gleichzeitig der Anteil prämodern-islamisch sozialisierter/sozialisierender, bildungsschwacher und ökonomisch sowie kulturell desintegrierter Zuwanderer wächst.
Allerdings gewichtet Sarrazin hauptsächlich nur die sozialökonomische Kosten-Nutzen-Bilanz der islamischen Einwanderung, ohne gleichermaßen die soziokulturellen und politischen Folgen zu reflektieren. Ich möchte deshalb abschließend nur folgenden zentralen Aspekt aus dieser Problemebene umreißen:
Da die politische Klasse und die vorherrschenden Medien in Deutschland relativ gleichgeschaltet daran arbeiten, die Integrationsproblematik zwar thematisch aufzugreifen, aber gleichzeitig systematisch zu desartikulieren und zu verzerren, um die überwiegend islamkritisch eingestellte Bevölkerungsmehrheit „in Schach zu halten“, ist ein politisch-weltanschaulicher Hegemoniewechsel für eine adäquate Problembewältigung unabdingbar. Während der orthodoxe und islamistisch radikalisierte Islam eindeutig eine ultrareaktionäre, antiemanzipatorische und menschenrechtsfeindliche Formation bildet, gilt paradoxer Weise Kritik an der islamischen Herrschaftskultur in weiten Teilen der „Meinungsindustrie“ als „rechts“[2]. Tatsächlich aber wird damit die reale Verteilung von reaktionären Einstellungspotentialen innerhalb der Bevölkerung auf den Kopf gestellt. Denn im Vergleich zu einheimischen Deutschen, die hier nicht etwa als progressive Engel unterstellt werden, zeigt sich das deutlich höhere rechtskonservative Einstellungspotential bei türkischstämmigen Muslimen. So wurde in der „Ersten internationalen Studie zur Wertewelt der Deutschen, Deutsch-Türken und Türken“ zum Beispiel folgendes festgestellt:
„Ein Zusammenleben von Mann und Frau vor der Ehe lehnen 8% der Deutschen, aber 47% der TiD (Türken in Deutschland, H. K.) und 67 % der Türken ab. Beim vorehelichen Sex der Frau sind es 7% der Deutschen, 56% der TiD und 84% der Türken.“ 9% der Deutschen, aber 32% der TiD und 52% der Türken meinen, dass Kindererziehung Frauensache sei. „15% der Deutschen, 57% der TiD und 67% der Türken stimmen der Auffassung zu, dass berufstätige Frauen ihre Kinder vernachlässigen“. „5% der Deutschen, aber 48% der TiD und 68% der Türken sind der Meinung, dass die Eltern bei der Wahl des Ehepartners ein Mitspracherecht haben sollten.“ „Einen Schwangerschaftsabbruch beurteilen 54% der Deutschen, aber 77% der TiD und 92% der Türken als schlimm. Eine homosexuelle Beziehung von Männern lehnen 29% der Deutschen, aber 65% der TiD und 75% der Türken ab.“ „Eine deutsch-türkische Heirat innerhalb der Familie finden nur 14% der Deutschen und 19% der TiD eher unangenehm, aber 33% der Türken. Die religiöse Toleranz findet insgesamt ihr Ende, wenn es um ein mögliches Einheiraten in die eigene Familie geht: 28% der Deutschen fänden es unangenehm, wenn ein gläubiger Moslem in ihre Familie einheiraten würde. Dagegen fänden es 49% der TiD und 63% der Türken unangenehm, einen gläubigen Christen in die Familie aufnehmen zu müssen. Noch schlimmer wäre ein gläubiger Jude (Ablehnung bei 48% der TiD und 72% der Türken), der Gipfel wäre jedoch ein bekennender Atheist (Ablehnung von 69% der TiD und 87% der Türken).“
Dass einheimische Jugendliche signifikant deutlich weniger religiös, autoritär und antisemitisch eingestellt sind als muslimische Jugendliche ist im Übrigen – gerade in der Perspektive der zukunftsbezogenen Rechtsextremismusforschung – als ein sehr wesentliches Datum anzusehen: „Bezogen auf antisemitische Vorurteilsbekundungen äußern junge Muslime mit 15,7% die höchste Zustimmung. Bei den Nichtmuslimen mit Migrationshintergrund liegt diese Quote bei 7,4% und bei den einheimischen Jugendlichen bei 5,4%“ (Bundesministerium des Innern 2007, S. 275)[3]. Interessant wäre in diesem Kontext auch ein Vergleich bezüglich der deutschen Erinnerungskultur im Hinblick auf die nazistische Judenvernichtungspolitik einerseits und den türkischen Umgang mit der vorausgehenden Vernichtung der Armenier andererseits.
Hervorzuheben ist auch der Sachverhalt, dass das Personenpotenzial des einheimischen Rechtsextremismus absolut und vor allem proportional zur Bezugsgruppe (einheimische Bevölkerung insgesamt/islamisch geprägte Zuwanderer insgesamt) beträchtlich unter dem Personenpotenzial des zugewanderten islamistischen Rechtsextremismus liegt. So ist das einheimische rechtsextremistische Personenpotenzial 2009 auf rund 26.600 Personen gesunken (2008: 30.000 Personen). Demgegenüber lag das Personenpotenzial des islamistischen Rechtsextremismus 2009 bei 36.270 Personen (2008: 34.720 Personen). „Mit 30.340 Personen (2008: 28.580) bildeten wiederum die Anhänger türkischer Gruppierungen das größte Potenzial. Mitgliederstärkste Gruppierung blieb die türkische Organisation IGMG mit 29.900 (2008: 27.500) Mitgliedern“ (Verfassungsschutzbericht 2009, S. 215). Im Vergleich dazu haben NPD und DVU zusammen „nur“ 11.300 Mitglieder.[4]
Wie das Wiener Institut für Jugendkulturforschung bei der Befragung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund herausfand, lassen insbesondere zahlreiche Jugendliche mit türkischer und arabischer Herkunft ein extrem reaktionäres Einstellungsbild erkennen. So stimmten 25,2 Prozent der Migranten aus der Türkei und dem arabischen Raum dem Satz zu bzw. „sehr zu“ „Hitler hat für die Menschen auch viel Gutes getan“ – mit 53,4 Prozent sehen ihn vergleichsweise wenige kritisch.
Noch dramatischer ist der Antisemitismus, der durch den Nahost-Konflikt verstärkt wird: 45,6 Prozent der türkisch- bzw. arabischstämmigen Jugendlichen finden, dass „Juden nach wie vor zu viel Einfluss in der Weltwirtschaft haben“. Das sagen unter den Jugendlichen insgesamt „nur“ 15,5%.
Besonders ausgeprägt ist auch die Ablehnung von Homosexualität: Eine relative Mehrheit von knapp 36 Prozent der jungen Türken nennt Homosexualität „eine unnatürliche Lebensweise“.[5]
Die regierungsamtliche Auftragsstudie „Muslime in Deutschland“ (Bundesministerium des Innern 2007) gelangte hinsichtlich des Einstellungsgefüges der islamischen Zuwanderer zu folgendem Ergebnis:
1) „Fundamental orientierte“ Muslime: 40,6%.
2) „Orthodox-religiöse“ Muslime: 21,7%
3) „Traditionell-konservative“ Muslime: 19,0%
4) „Gering religiöse“ Muslime 18,8%.
- h.: Einem knappen Fünftel von gering religiös orientierten Zuwanderern aus islamischen Staaten steht eine überwältigende Mehrheit von streng-religiösen, traditionell-konservativen und fundamental-orientierten Muslimen entgegen, die in ihren Grundeinstellungen in großen Teilen als pro-islamistisch zu kennzeichnen ist und insgesamt einen starken importierten Block einer „religiös-islamischen Rechten“ darstellt[6].
Trotz der aktuellen Mehrheit eines reaktionär-konservativen Blocks von Einwanderern mit einem orthodox-islamischen Sozialisationshintergrund ist Sarrazins Forderung, „weitere Zuwanderung aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika generell zu unterbinden“ (S. 372), zurückzuweisen. Denn es ist grundsätzlich falsch, Einwanderer aus diesen Ländern/Regionen pauschal zu kulturalisieren und per se als integrationsresistente und streng gläubige Muslime zu klassifizieren. Tatsächlich befinden sich unter den Einwanderern aus islamischen Ländern auch islamgeschädigte Menschen, antiislamistische Oppositionelle mit einer säkular-demokratischen Grundorientierung, Ex-Muslime, verfolgte Christen etc. Für diese bildungsorientierten und integrationsbereiten Gruppen, die das Leben in einem säkularen Land mit einer Grund- und Menschenrechtsordnung gegenüber dem Leben in einem islamischen Gottesstaat oder unter der Diktatur eines repressiven Alltagsislam vorziehen und sich bewusst mit den Grundprinzipien der kulturellen Moderne identifizieren, sollte Deutschland ein offenes Land sein und bleiben. Anstatt nun genau diese Gruppen zu fördern und als Dialogpartner auszuwählen, begehen der deutsche Staat und die politische Klasse den großen Fehler, die orthodoxen Islamverbände zu hofieren und mit einer Islamkonferenz sowie einer ganzen Palette von demokratisch nicht legitimierten Islamisierungsmaßnahmen ausgerechnet die am schlechtesten integrierte, reaktionärste und anpassungsresistenteste Zuwanderergruppe zu belohnen. Demgegenüber wären die spätmodernen europäischen Gesellschaften einschließlich Deutschland gut beraten, gegen die herrschenden Funktionseliten einen offensiven säkular-demokratischen und menschenrechtlichen Grundkonsens durchzusetzen, der den zugewanderten Muslimen in Politik, Medien, Schulen, Gerichten etc. klar und deutlich erklärt: „Wir dulden hierzulande nur eine grundrechtskonforme Verhaltens- und Lebensweise. Einen Prozess der Islamisierung ‚auf leisen Sohlen’ und der Errichtung von islamisch codierten Kolonien werden wir nicht (länger) zulassen. Die Zeit der Verwechselung von Toleranz und Ignoranz ist vorbei“.
[1] Der ganze Text erscheint in HINTERGRUND IV – 2010.
[2] Zwar gibt es in Deutschland tatsächlich rechtsreaktionäre Kräfte, die den Islam als Konkurrenten um die herrschaftskulturell wünschenswerte Form einer autoritär-hierarchischen Gesellschaftsformierung befehden. Aber es ist eben gerade aus einer fortschrittlich-emanzipatorischen Perspektive grundsätzlich unhaltbar, nur diesen Aspekt einseitig zu fokussieren und dabei gleichzeitig außer Acht zu lassen, dass die Verfechter des orthodoxen und islamistisch radikalisierten Islam die quantitativ und qualitativ eindeutig größere Gefahr darstellen. D.h.: Der ideologisch-selektive und damit veraltete „Blick nach rechts“ leidet mittlerweile an einem realitätsverzerrenden „Grünen Star“.
[3] In Holland werden Juden von muslimischen (marokkanischen und türkischen) Jugendlichen bereits so massiv bedroht, dass sie um ihr Leben fürchten müssen. „Orthodoxe oder ‚bewusste’ Juden täten daher gut daran, zu emigrieren und die Niederlande zu verlassen, sagte der ehemalige niederländische EU-Kommissar Frits Bolkestein den orthodoxen Juden in den Niederlanden. ,Mit bewussten Juden meine ich die Juden, die durch ihr äußeres Erscheinungsbild als Juden erkennbar sind. Für sie gibt es hier keine Zukunft mehr wegen des wachsenden Antisemitismus vor allem unter marokkanischen und unter türkischen Jugendlichen. Und die Anzahl dieser antisemitischen Jugendlichen steigt ständig.’ Das sagt Bolkestein der Zeitung ‚De Pers.’“http://www.derwesten.de/nachrichten/Juden-in-Holland-fuerchten-um-ihr-Leben-id40
[4] Weitere Daten und Fakten zum reaktionären Einstellungs- und Verhaltenspotenzial von orthodoxen und islamistischen Muslimen siehe Krauss 2008 und 2010.
[5] Die Ergebnisse wurden am 5. November 2010 publiziert http://www.oe24.at/oesterreich/politik/25-2-finden-Hitler-gut/6467082
[6] Gemäß der Studie der GfK Austria GmbH „Integration in Österreich“ (2009) gaben 72 Prozent der befragten türkisch-muslimischen Zuwanderer an, dass die Befolgung der Gebote ihrer Religion für sie wichtiger sei als die Demokratie. 90 Prozent waren der Auffassung, der Staat sollte Fernsehen und Zeitungen kontrollieren, um Moral und Ordnung sicherzustellen. 48 Prozent waren der Ansicht, dass man an den vielen Kriminellen in Österreich sieht, wohin die Demokratie führt.