Rezension: Michel Houellebecq – Unterwerfung

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Michel Houellebecq

Unterwerfung

DuMont Buchverlag Köln 2015. 272 Seiten. Hardcover gebunden mit Lesebändchen. Originalverlag Flammarion 2015, Originaltitel: Soumission. Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek. 22,99 €

ISBN 978-3-8321-9795-7

 

Vielleicht ist das der umstrittenste Roman des Jahres 2015? Vielleicht ist das die Meinung von Menschen, die die Realität zu radikal finden, um sie wahrzunehmen? Eines ist aber sicher: wenn dieses Buch unwichtig wäre, keiner hätte sich darüber gestritten.

Wenn die Quantenphysik recht hat, und es gibt unendlich viele parallele Welten mit unendlich vielen alternativen Realitäten, dann ist die von Houellebecq eine von den wahrscheinlichsten. In seinem Roman „Unterwerfung“ verwendet Michel Houellebecq keine fiktiven Kulissen, erfundenen Geschichten und Fakten. Und diese verblüffende Ähnlichkeit zur Gegenwart macht diesen Roman fast zu einem politischen Essay. Sogar die Namen der meisten (Hintergrund-)Figuren aus der Politik wurden nicht verändert, sodass jeder Europäer sofort weiß, wo er sich befindet.

Der Literaturwissenschaftler François reist durch Frankreich mit Vorlesungen und Recherchen nach seinem Lieblingsautor Joris-Karl Huysmans. Dabei trifft er alte Bekannte und macht sich ein Bild über die politische Lage des Landes kurz vor der Präsidentenwahl. Unser Erzähler ist ein „alter Yuppie“: erfolgreich, Single, Hedonist und deklarierter Misanthrop mit ausgeprägtem Sinn für Nutten, Studentinnen, Ex-Freundinnen und alle anderen Sex-Gelegenheiten, die ihm begegnen. Houellebecq hat immer die Wichtigkeit von Sex in der Literatur unterstrichen und nutzt in seinen Romanen jede Möglichkeit für die Ausübung seiner meisterhaften erotischen Impressionen. Darüber hinaus ist die Verflechtung von Politik und Sex allgemein bekannt, daher wäre ein politisches Buch ohne Sex unvollständig. Die „Unterwerfung“ ist ja ein politisches Buch.

Die Lage in Frankreich hat sich diametral verändert: Die Salafisten haben eigene Universitäten, die Scharia wird eingeführt und die Muslimbruderschaft wird zur Partei, deren Gründer Mohammed Ben Abbes steht als Kandidat zur Präsidentenwahl. Die Sorbonne wird von den Saudis finanziert, Marokko sollte in die Europäische Union aufgenommen werden, und Arbeitslosigkeit ist kein Problem mehr, seitdem die Frauen vom Arbeitsmarkt in die Küche verdrängt wurden. Noch häufiger als heute werden Bomben gesprengt und heftige Auseinandersetzungen zwischen ethnischen, religiösen und politischen Gruppen sind an der Tagesordnung. Das sind nur einige der Errungenschaften des europäischen Liberalismus. Vor diesem Hintergrund erlebt unser Antiheld seine Metamorphose.

Sein Persönlichkeitsprofil ist die perfekte Allegorie des bedingungslosen, durchaus dekadenten Liberalismus, der eine neue gesellschaftliche Ordnung anstrebt und Chaos verursacht. Eine totale Individualisierung wird in die Regel mit genauso totaler Isolation bezahlt. Entweder ist das den Menschen nicht aufgefallen oder sie nehmen diesen Zerfall der Gemeinschaft in Kauf. Individualisierung pervertiert zu extremen Begleitformen wie Egoismus, Gleichgültigkeit, Nihilismus und Korrumpierbarkeit, die in der neuen liberalen Sprache unter dem Oberbegriff „Freiheiten“ übermittetn werden. Die Kollision einer offenen, defensiven Gesellschaft, die keine richtigen Grenzen akzeptiert und keine klaren Regel befolgt, mit einem offensiven und expansivem Islam, der aus repressiven Regeln besteht, muss zwangsläufig mit einer Übernahme enden. Und das ist die Botschaft des Buches, das neben Sarazzins „Deutschland schafft sich ab“ und den Büchern des HINTERGRUND-Verlages zur Pflichtlektüre des politischen Gutmenschentums gehören sollte.

Auch François wird leicht „übernommen“ und konvertiert zum Islam. Die neue, gut bezahlte Stelle an der Sorbonne ist für einen Mann wie François ein einmaliges Angebot. Die „Freizügigkeiten“ im Islam scheinen für Männer sehr attraktiv zu sein. Letztendlich ist der Islam eine typische Männer-Religion.

Der wahre Wert des Buches liegt meines Erachtens in seiner Nachwirkung. Nachdem das Buch gelesen wurde und man auf dem Sofa die Nachrichten verfolgt, stellt man mit Erstaunen fest, dass der „Unterwerfungsprozess“ keine Fiktion mehr ist und sich verselbstständigt hat. Das Erstaunen war vollständig, als die zauberhafte Sozialdemokratin und Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, Schwester eines islamistischen Brüderpaares und typische Vertreterin eines pseudointegrierten ethnoreligiösen Lobbyismus, ihre berühmte Aussage gemacht hat, man müsse bei der Verfolgung von Islamisten mit sehr großem Augenmaß vorgehen, damit es nicht heiße, es werde willkürlich in Moscheen eingedrungen. Solch desaströse Fälle von Besänftigung kommen immer häufiger vor im dekadent-liberalen, gutmenschlichen Lager. Und an diesen politischen Anfällen kann das Krankheitsbild der liberalen Soziopathen gemessen werden, was allein schon Alpträume verursachen kann.

Der sanfte, kaum merkbare Übergang von einer Buch-Fiktion zur Realität macht deutlich, dass der Wahnsinn oft erst dann für alle erkennbar wurde, wenn es zu spät ist und wie wichtig für uns Menschen klar definierte Grenzen sind. Und zwar alle Grenzen.

Die Islamisierung wird spöttisch bagatellisiert und ihre Gegner als ängstliche Idioten stigmatisiert. Houellebecq scheint sagen zu wollen: wenn ihr selber keine Lösung für eure Problemen findet, dann ist der Islam für euch gerade gut. Offensichtlich habt ihr nichts Besseres verdient, als sich ihm zu unterwerfen. Das ist die Botschaft des Buches an alle Mitläufer der marktliberalen „Offene-Welt-Politik“, die mit einem schwer vergleichbaren Fanatismus alles öffnen wollen, was auf der Welt geschlossen bleiben muss.

Michel Houellebecq ist es gelungen, abseits des Mainstreams finanziellen und künstlerischen Erfolg zu haben. Ungeliebt und gehasst von der politisch korrekten Konkurrenz arbeitete er unermüdlich an seinem Stil und erwarb sich damit große Beliebtheit unter den Lesern, die keine pseudolinken Autoren lesen. Und die gibt es in Frankreich im Übermaß.

Ryszard Kotonski (Januar 2017)

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