Die eingefrorene Dialektik des politischen Systems am Beispiel der Beschneidungsdebatte
Im Streit um die Beschneidung (es könnte auch ums Kopftuch, ums Schächten oder um bekenntnisreligiösen Islamunterricht etc. gehen) treffen folgende weltanschaulich und politisch vermischten Lager aufeinander:
- Islamkritiker vs. Islamapologeten
- Allgemeine Religionskritiker vs. religiöse Glaubensgemeinschaften
- Verfechter einer laizistischen Demokratie vs. Anhänger von Religionsprivilegien und religiösen Sonderrechten.
Diese Gegensätze durchziehen die gesamte Gesellschaft und spalten auch die etablierten Parteien; Letztere in asymmetrische Teile. Was fehlt, ist eine adäquate Aufstellung der oppositionellen Kräfte entlang der umstrittenen Themen und Problemgegenstände. Deshalb obsiegt immer noch das Prinzip „Divide et impera (Teile und Herrsche).
Die oppositionellen parteiinternen Minderheiten (hier: Beschneidungsgegner) sind bislang nicht in der Lage oder nicht willens gewesen, den Dissens produktiv nach außen zu tragen und sich mit parteiexternen Kräften themenspezifisch zu verbünden. Parteiräson wirkt immer noch stärker als themenbezogenes Engagement. Damit bleibt ein Zustand verfestigt, den Herfried Münkler folgendermaßen beschrieben hat: „Das Versagen der Opposition bei der Formulierung alternativer Antworten läuft auf die Entmachtung des Volkes als Entscheider des Politikprozesses hinaus.“ (DER SPIEGEL 29/2012, S. 100).
Und tatsächlich ist die deutsche Politik durch postdemokratische Alternativlosigkeit gekennzeichnet. Fast alle Parteien stimmen in den wichtigen Fragen überein. Entsprechend gleichgeschaltet sind auch die Medien. Das gilt insbesondere für das Feld der Religions- und Integrationspolitik. Hier regiert oftmals und zunehmend eine Allparteienkoalition gegen die Bevölkerungsmehrheit.
Die Quittung ist eine Zahlenmehrheit von zum Großteil hoch politisierten parteienverdrossenen Nichtwählern.
Auch die Piraten bieten aufgrund ihrer programmatischen Konturlosigkeit und subkulturellen Eindimensionalität keinen wirklichen Lösungsansatz, sondern sind primär als ein Symptom der politischen Krise zu betrachten.
Immerhin knirscht es jetzt im alten Tanker SPD, der ebenso wie die übrigen Parteien durch eine große Zahl ethno-religiöser Interessenvertreter durchsetzt ist (früher hätte man gesagt: unterwandert), die untereinander und mit den „deutschen Freunden des Islam“ ein reaktionäres Netzwerk aus allerlei Stiftungen und anderen Seilschaftseinrichtungen bilden.
Beispiel: http://www.muslimische-akademie.de/kuratorium.htm
Auf der einen Seite der Barrikade erklärt Aydan Özugus, stellvertretende Vorsitzende der SPD, Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Kuratoriumsmitglied der Muslimischen Akademie in Deutschland und Schwester der Betreiber des Muslim-Marktes
http://de.wikipedia.org/wiki/Yavuz_%C3%96zoguz
Folgendes:
„Der Staat darf einem jüdischen oder muslimischen Kind seine religiöse Identität, zu der wesentlich die Zugehörigkeit zur jeweiligen Glaubensgemeinschaft gehört, nicht verweigern.
Das Urteil des Kölner Landgerichts darf auch nicht zum Anlass für abwertende Urteile gegenüber der jüdischen und der islamischen Religion werden. Die Stellungnahme der laizistischen Sozialdemokraten zum Urteil des Kölner Landgerichtes weise ich deshalb entschieden zurück. Sie ist inakzeptabel und stellt keine offizielle Position der SPD dar. Zum Grundrecht auf Religionsfreiheit gehört das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln.“
Daraufhin die Anwort der Laizistischen Sozis von der gegenüberliegenden Seite der Barrikade:
„Es ist erschreckend, wie leichtfüßig viele Parteiführungen, und leider auch die SPD-Spitze, die Religionsfreiheit von Eltern über das fundamentale Recht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit und auf religiöse Selbstbestimmung stellt und dabei die schwerwiegenden Bedenken zahlloser Fachmediziner, Juristen, Kinderschutzorganisationen und auch die Haltung einer Mehrheit der Bevölkerung beiseite wischt.“
Sehr richtig! Nur: Wenn sich die Parteispitze nicht beeindrucken und umstimmen lässt, was dann? Zurück in die kommandierten Parteischützengräben?
Oder wäre hier, bei solch gravierenden Themen und Differenzen, nicht doch eher ein Aufbruch zu einem breiten Bündnis für säkulare Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt angebracht?
Osnabrück, 27. Juli 2012