Wir schaffen Was?
Wie objektiv sind die Durchhalteparolen der Kanzlerin, z.B. in Bildungsfragen im Zuge der Flüchtlingskrise und in Zeiten einer irrational außer Kontrolle geratenen Willkommenskultur?
Im Folgenden eine Einschätzung und das Plädoyer eines nordrheinwestfälischen DAZ-Lehrers (Deutsch als Zweitsprache) über den Bildungsnotstand bei Schülern mit Migrationshintergrund in Zeiten der Flüchtlingskrise.
Damit Integration im Ansatz gelingen kann, müssen wir zuallererst die These der Kanzlerin „Wir schaffen das“(1), in die Reichweite des objektiv Möglichen rücken! Um konstruktiv bestmögliche Lösungen für alle Schüler und das Lehrpersonal zu erreichen, wäre es aber nötig, jenseits von Ideologien und ohne Denkverbote Probleme zu benennen und Chancen aufzeigen.
Gut gemeint bedeutet nicht automatisch gut gemacht und ist nicht immer zielführend.
Fast täglich wiederholen Politik und Medien das Mantra über die Notwendigkeit vom Erlernen der deutschen Sprache als eine der Schlüsselqualifikationen für ein Gelingen von Integration und Teilhabe. Aber ist es realistisch, mit den derzeitig vorhandenen Akteuren und Mitteln, diese immense integrative Herausforderung, als Folge der fehlgeleiteten Flüchtlingskrise, zu schultern?
Zwischen Kompetenz- und Anspruchsniveau
Neben naturgemäß nicht oder nur rudimentär vorhandenen Sprachkenntnissen in deutscher Sprache lässt sich aktuell bei den neuzugewanderten Schülern, verglichen mit gleichaltrigen, einheimischen deutschen Schülern, ein erhebliches Defizit im Bildungsniveau feststellen. Das vielfach angeführte Sprachdefizit stellt dabei nur einen sekundären Nachteil dar. Viel gravierender und folgenschwerer sind offensichtlich grundlegende kognitive und Kompetenzschwächen in fast allen(!) Regelfächern. Festzustellen ist ein Kompetenzunterschied, der nach ersten belastbaren Messungen und Beobachtungen im Schnitt etwa bis zu 3 Schuljahren im Vergleich zu den einheimischen, muttersprachlich deutschen Schülern entspricht. Dieser Befund trifft vor allem auf Schüler aus Teilen des Balkans wie Albanien und dem Kosovo, den Krisenländern des Nahen und Mittleren Ostens wie dem Irak und Afghanistan sowie den Maghrebstaaten zu. Das geringe Bildungsniveau in den bunt zusammengewürfelten DAZ-Klassen spiegelt sich in fast allen Haupt- und Nebenfächern wider. Durch die mühsame und zeitraubende Vermittlung von Basiswissen (Grundrechenarten, Grammatik, Lese- und Schreibkompetenz) bleibt solides Fachwissen zum Lösen komplexer, dem Alter entsprechender Aufgaben auf der Strecke. Funktioneller Analphabetismus und das damit verbundene Nichtlesenkönnen als Massenphänomen ist in den sogenannten „Willkommensklassen“ eine nicht zu leugnende Tatsache.
Die Realität in den „Willkommensklassen“ spiegelt nicht die tendenziös positiv gefärbte offizielle Darstellung der politisch Verantwortlichen und der Medien wider, nach der wir es vorgeblich überwiegend mit Kindern und Jugendlichen aus Akademikerfamilien zu tun hätten, die die Notwendigkeit von Bildung erkennen und Angebote ambitioniert nutzen würden. Vielfach und überwiegend stammen die Schüler, entgegen allen offiziellen Verlautbarungen, aus bildungsfernen Schichten mit völlig diametralen Wertestrukturen und Mentalitäten. Dass die aktuelle Flüchtlingsbewegung zukünftig zur Lösung des demografischen Problems und der Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme beitragen würden, ist eine Legendenbildung, die einem illusionären, gutmenschlichen Wunschdenken entspricht. Für die meisten „Flüchtlinge“ wird aufgrund der beschriebenen Defizite eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt versagt bleiben, und ein dauerhaftes Verharren in den sozialen Sicherungssystemen ist somit vorprogrammiert.
Im derzeitigen Schulalltag sind Aufmerksamkeitsdefizite, Apathie, mangelnde Disziplin und Ehrgeiz nicht zu leugnende Realitäten bei der überwiegenden Mehrzahl, der im Zuge der aktuellen Flüchtlingskrise immigrierten Neuankömmlinge.
Darüber hinaus wird die gesetzlich vorgeschriebene Anwesenheitspflicht in der Schule vielfach einfach unterlaufen. Selten wird, wenn überhaupt, dieser Verst0ß gegen das Schulgesetz aus Mangel an Durchsetzungswillen und Personal sanktioniert.
Natürlich verbieten sich auch hier Pauschalurteile, und jeder Einzelfall verdient eine differenzierte Betrachtung, aber zwischen Kompetenz- und Anspruchsniveau klafft eine nicht zu übersehende Lücke.
„Mindestens fünfzig Prozent sind entweder stark verhaltensauffällig oder haben solche Schwierigkeit den Lernstoff aufzunehmen, dass sie eigentlich eine besondere Betreuung bräuchten.“ (2)
In Zeiten von Inklusion und der Auflösung von Kompetenzzentren ist ein bildungspolitischer Richtungswechsel unabdingbar, um den Herausforderungen der Flüchtlingskrise begegnen zu können.
Inklusion und Flüchtlinge lassen Lehrer verzweifeln, denn sie werden in NRW von der rot-grünen Landesregierung im Regen stehen gelassen.
(…) „sonderpädagogische Förderung gemäß § 20 Absatz 5 Schulgesetz NRW“ endet mit Ablauf des Schuljahres 2013/2014.“ (3)
Jüngste Forderungen nach einer (vorübergehenden) Absenkung der Standards in Bildung und Ausbildung (Thomas de Maizière) (4) können nicht zielführend sein, und führen zwangsläufig zu einer weiteren Verflachung des Bildungsniveaus und verminderten Chancen für eine erfolgreiche Integration in den europäischen Arbeitsmarkt.
Zudem wird durch de Maizières abwegige Forderung die Innovationsfähigkeit der heimischen Wirtschaft in Konkurrenz zum globalen Arbeitsmarkt erheblich geschwächt und die Gesellschaft somit weiter gespalten. Die davon betroffenen Migrantengruppen werden zwangsläufig die technische und kulturelle Komplexität des Aufnahmelandes weniger erfolgreich bewältigen können als die einheimische Bevölkerung (5), und meine Befürchtung für die Zukunft ist, dass diese ihre Erfahrungen als Diskriminierung mit entsprechendem sozialen Konfliktpotenzial deuten könnten.
„Durch Migration steigt die oft positiv bewertete Diversität. Auf gesellschaftlicher Ebene hängt höhere Diversität aber mit mehr Einkommensungleichheit, Staatsfragilität, höheren Verbrechensraten und weniger Vertrauen zusammen.“ (5)
Auch divergierende religiös-kulturelle Auffassungen und Markierungen, als Abbild der unterschiedlichsten soziokulturellen (Immigrations-) Hintergründe zwischen den Immigranten-Gruppen, erschweren ein erfolgreiches gemeinsames Miteinander und stellen schon heute ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial sowie eine Belastung des Schulbetriebs dar.
Entgegen aller Beteuerungen seitens der Verfechter eines multikulturellen Gesellschaftsmodells sind ethnisch und altersmäßig gemischte, mit religiös-vormodern sozialisierte Migranten- bzw. Flüchtlingskindern zusammengewürfelte „Willkommensklassen“ kein zukunftweisendes Erfolgsmodell. Das vielfach beschworene Mantra seitens der politisch Verantwortlichen über den Erwerb der deutschen Sprache als Garant für eine erfolgreiche Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt greift da viel zu kurz und stellt nur eine Dimension der Herausforderungen dar.
Ein Versäumnis der rot-grünen NRW-Landesregierung liegt darin, dass weder Handlungsanweisungen über den Umgang mit Flüchtlingskindern in den Schulen noch die Bildungsziele klar definiert sind.
„Die Frage, wie neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im Bildungssystem aufgenommen werden können, ist jahrelang vernachlässigt worden. Jetzt fehlen die nötigen Informationen, Konzepte sind in Vergessenheit geraten“ (7)
Die Aussage des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums unter Federführung von Frau Löhrmann, dass für alle Flüchtlingskinder entsprechende dauerhafte DAZ-Plätze in den Regelschulen bereitgestellt werden, entspricht nicht dem aktuellen tatsächlichen Bedarf .Vielmehr wird an den Schulen eine Art Mogelpackung nach Rotations-Prinzip praktiziert mit einem viel zu kurzem Aufenthalt der Schüler in den DAZ-Klassen. Geplant ist nach jüngsten Verlautbarungen aus dem Ministerium, dass die Neuankömmlinge demnächst direkt in die Regelklassen eingegliedert werden sollen, was das Bildungsniveau insgesamt dramatisch absinken lässt und ein geregelter Unterricht dann kaum noch möglich sein wird.
Das ganze genannte Szenario spiegelt eine Praxis wieder, die dem akuten Lehrermangel und einem bildungspolitischen Blindflug der politisch Verantwortlichen geschuldet ist und keineswegs den bildungspolitischen Herausforderungen der Zeit und einer nachhaltigen Wissensvermittlung gerecht wird. Die von Frau Löhrmann angekündigten 300 zusätzlichen DAZ Lehrer für NRW in 2016 (6) können angesichts der Krise lediglich nur als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein angesehen werden.
„Bei rund 325.000 Schülern unter den Asylbewerbern würden aktuell über 20.000 Lehrer mehr benötigt“ (7)
Des Weiteren werden die Maßnahmen in den DAZ–Klassen der Regelschulen mit Lehrkräften bestritten, die im Vergleich mit ihren verbeamteten Kollegen mit finanziell und sozial deutlich schlechter abgesicherten Arbeitsverträgen ausgestattet sind und vielfach nur temporär beschäftigt werden. Die nach den Vorgaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) organisierten und von freien Trägern ausgeführten Integrationskurse werden laut einer Pilotstudie des GEW zu 90% von Beschäftigten mit prekären Honorarverträgen, also ohne jegliche soziale Absicherung für die Lehrkräfte durchgeführt (8). Hier produzieren akademisch gebildete, aber prekär Beschäftigte, ein weiteres, neues Prekariat mit Migrationshintergrund.
Versagen des Staates und der sogenannten Eliten
Die Aussage der Kanzlerin „Wir schaffen das“ ist vor diesem Hintergrund blanker Zynismus! Diese ohne Parlamentsbeschluss herbeigeführte gesellschaftliche Krise mit ungeahnten Folgen für die Aufnahmegesellschaft auf dem Rücken von Ehrenamtlichen und prekär Beschäftigten durchzupeitschen, ist ein Offenbarungseid. Neben dem Versagen der verantwortlichen Eliten in den Krisenländern, welche die Chancenlosigkeit der Menschen in Sachen Bildung und Zukunftsplanung und neben Krieg auch die ethnisch-religiös motivierte Vertreibung zu verantworten haben, gesellt sich nun, falls wir nicht entschieden gegensteuern, eine zweite, hausgemachte sozial- und gesellschaftspolitische Krise ungeahnten Ausmaßes hinzu.
(1) http://www.faz.net/aktuell/politik/angela-merkels-sommerpressekonferenz-13778484.html
(5) Prof. Heiner Rindermann, Professor für Pädagogische und Entwicklungspsychologie in Chemitz im Focus 43/2015, S. 42.
(8) jungle-world.com – Archiv -20/2006 – Dossier – Abwärts immer
(04.04.2017)