Der Islam in kritisch-materialistischer Perspektive

 In Analyse der islamischen Herrschaftskultur

Ganz unter dem Eindruck von Feuerbachs „Wesen des Christentums“ stehend, hatte Marx an der Jahreswende 1843/1844 geschrieben: „Für Deutschland ist die Kritik der Religionim wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“ (Marx 1988a, S. 378). Ist der erste Teil des Satzes dem Überschwang des historischen Augenblicks geschuldet, so ist der zweite Teil nicht nur von herrschaftstheoretischer Fundamentalbedeutung, sondern auch von brennender Tagesaktualität. Es lohnt sich also erneut, das Wesen des Religiösen – hier: am Gegenstand des Islam – in kritisch-emanzipatorischer Perspektive zu sondieren.

 

Einleitung: Kategorial-methodische Ansatzpunkte in der Marxschen Religionskritik

Im Hinblick auf ihre räumliche und zeitliche Verortung waren Marx und Engels ‚Denker des Übergangs‘, die den spezifischen Transformationsprozess des europäisch-abendländischen Feudalismus zur bürgerlich-industriekapitalistischen Gesellschaft reflektierten. Der Übergang von der allseitig religiös über- und durchformten prämodernen Ständegesellschaft zur modernen, d.h. säkularisierten, auf unpersönlich-sachlichen Abhängigkeitsverhältnissen beruhenden Klassengesellschaft erscheint ihnen hier als diachroner Vorgang, der drei wesentliche revolutionäre Seiten aufweist:

1) Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals und die Herausbildung des klassendialektischen (Re-)Produktionsverhältnisses von Kapital- und Lohnarbeit im Zuge der ‚industriellen Revolution‘ (Englische Revolution)

2) Die politische Entmachtung des geistlichen (kirchlich-religiösen) und weltlichen Feudaladels (Französische Revolution)

3) Die Auflösung der gottzentrierten Weltanschauung sowie der religiös dominierten ideologischen Denk- und Bewusstseinsformen im Zuge wissenschaftlicher, politischer und alltagskultureller Aufklärungsprozesse und -bewegungen (Philosophie der Aufklärung, deutscher Idealismus, Feuerbachsche Religionskritik etc.).

Alle Emanzipation“, so Marx (1988b, S. 370), „ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst.“ Das bedeutet insbesondere auch: Bei aller Kritik an der kapitalistischen Entfremdung sowie den Aporien der kapitalistischen Systemreproduktion bleibt „die Kritik der Religion“ (samt der mit ihr verbundenen prämodernen/feudalen Herrschaftskultur) „die Voraussetzung aller Kritik“ (Marx 1988a, S. 378). Infolgedessen ist für Marx und Engels der Prozess der Auflösung und Beseitigung prämoderner Herrschaftsverhältnisse in all ihren Ausprägungs- und Legitimationsformen ein emanzipatorisch not-wendiger Akt der Höherentwicklung zwischenmenschlicher Vergesellschaftung, eine unhintergehbare Prämisse der globalen menschlichen Emanzipation. Die kapitalistische Gesellschaftsentwicklung stellt somit gegenüber allen prämodernen, religiös legitimierten und auf persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen basierenden Herrschaftsverhältnissen eine historische Progressionsstufe dar. Ein Bündnis zwischen emanzipatorisch-kapitalismuskritischen und reaktionär-antikapitalistischen (religiös-feudalen) Kräften ist deshalb in jeder Hinsicht ausgeschlossen.

Mit Blick auf das „Wesen des Christentums“ hatte Feuerbach die Religion als die Reflexion des menschlichen Wesens in sich selbst aufgedeckt und damit ihr verkehrtes und unwahres Wesen herausgearbeitet: „Gott ist der Spiegel des Menschen.“(Feuerbach 1984, S. 127) D.h. „Gott“ ist die Projektionsfläche, auf die die Menschen ihre eigenenWesenseigenschaften projizieren, diese damit zugleich von sich lostrennen und sich auf diese Weise von sich selbst entfremden. (Religion als Entzweiung der Menschen mit sich selbst). Der menschliche Gottesglaube wird damit kenntlich gemacht als eigene Erfindung des Menschen zwecks geistig-emotionaler Selbststabilisierung: Der Mensch erzeugt unbewusst eine transzendentale Scheinwelt, um die Strapazen und Unvollkommenheiten des Diesseits zu ertragen.

Über Feuerbachs Projektionsthese hinausgehend fragt Marx nach dem gesellschaftlichen Grund für diese Projektion und sieht diese in den ökonomischen und politischen Entfremdungsverhältnissen klassengesellschaftlicher Strukturen, die im kapitalistischen Warenfetischismus auf die Spitze getrieben werden[1]: D.h. Marx geht es nicht nur um den Nachweis der Irrationalität/Vernunftwidrigkeit des Gottesglaubens an sich, sondern um die Aufdeckung der gesellschaftlichen Ursache des „Gotteswahnsinns“. Was treibt die Menschen dazu, ihre eigenen Bestimmungen auf transzendente Wesen zu projizieren? Die Antwort lautet im Kern: Indem der Mensch Gott erfindet und auf ihn sein Wesen projiziert, dichtet er ihm auch einen Gesetzeswillen an, der seinen irdischen Herrschaftsinteressen als Legitimationsgrundlage dient. Zugleich projiziert er auf ihn seine Erlösungshoffnung im Sinne von Kants gottesdienstlichem Gunsterwerbungsglauben[2].

Das von Feuerbach gelegte Fundament der irreligiösen Kritik besagt nach Marx (1988a, S. 378) „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ Dabei akzentuiert Marx aber gegenüber Feuerbach, dass es nicht der abstrakte Mensch ist, der die Religion bzw. den monotheistischen Gottesglauben schafft, sondern der konkret-historisch situierte Mensch, der mit diesem Gottesglauben zugleich seinen gesellschaftlich-konkreten Herrschaftswillen als auch seinen Erlösungs- und Heilswillen in religiöser Verkleidung zum Ausdruck bringt. (Verbindung der Projektionsthese mit der realen Herrschaftsfunktion und imaginären Erlösungsfunktion des Religiösen.) „Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Weltsind.“ (ebenda). Die Religion ist demnach der verzerrte Ausdruck sowohl der sozialen und geistig-moralischen Zerrissenheit der konkret-historisch vergesellschafteten Menschen als auch der Widersprüchlichkeit der staatlichen Ordnung[3].

Insbesondere auch deshalb ist der Kampf gegen die Religion mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. Dabei ist allerdings – gerade in Anbetracht der Herrschaftstheorie des reifen Marx – herauszuheben, dass das Jammertal der vormodernen Herrschaftsverhältnisse immer auch durch religiöse Deutungs- und Normierungsmacht bzw. weltlich-politische Machtausübung der religiösen Eliten und Institutionen mitgeprägt ist. Die Zählebigkeit bzw. die Beharrungskraft des Religiösen (als dialektisches Verhältnis zwischen objektiver Weltanschauung und Subjektivität) entspringt aus ihrer Multifunktionalität als a) „Seufzer der bedrängten Natur“, b) „Opium des Volkes“ und c) normative Legitimation zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse (zwischen Rechtgläubigen und Anders- sowie Nichtgläubigen, göttlich berufenen Herrschern und Untertanen, Männern und Frauen, Frommen und Ketzern, Orthodoxen und Abtrünnigen etc.). In Sorge um das Seelenheil und zwecks Vermeidung der ewigen Verdammnis werden die Aufforderungen zur gehorsamen Untertänigkeit angstbesetzt befolgt und der gesetzesreligiöse Vorschriftenkanon eingehalten. Somit besteht die Wirkkraft des Religiösen aus dessen wesensmäßiger Ambivalenz als gleichzeitig dargebotenes Trostmittel/Heilsideologie einerseits (Religion als entsubjektivierende Versöhnungsdroge mit der schlechten Wirklichkeit) und herrschaftsreproduzierendes Normensystem/Legitimationsideologie andererseits. Das elementare Bedürfnis nach Seelenheil bietet somit den subjektiven Angelpunkt für die legitimationsideologische Funktion des Religiösen. Marx verdeutlicht diesen grundlegenden Sachverhalt anhand der „sozialen Prinzipien des Christentums“:

„Die sozialen Prinzipien des Christentums haben die antike Sklaverei gerechtfertigt, die mittelalterliche Leibeigenschaft verherrlicht und verstehen sich ebenfalls im Notfall dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas jämmerlicher Miene, zu verteidigen. Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Notwendigkeit einer herrschenden und einer unterdrückten Klasse und haben für die letztere nur den frommen Wunsch, die erstere möge wohltätig sein. (…) Die sozialen Prinzipien des Christentums erklären alle Niederträchtigkeiten der Unterdrücker gegen die Unterdrückten entweder für gerechte Strafe der Erbsünde und sonstigen Sünden oder für Prüfungen, die der Herr über die Erlösten nach seiner unendlichen Weisheit verhängt. Die sozialen Prinzipien des Christentums  predigen die Feigheit, die Selbstverachtung, die Erniedrigung, die Unterwürfigkeit, die Demut, kurz alle Eigenschaften der Kanaille, und das Proletariat, das sich nicht als Kanaille behandeln lassen will, hat seinen Mut, sein Selbstgefühl, seinen Stolz und seinen Unabhängigkeitssinn noch viel nötiger als sein Brot“ (Marx 1959, S. 200).

Was Marx über Feuerbach hinausgehend einfordert, ist demnach die Überführung der aus der Religionskritik hervorgehenden Ent-Täuschung in die praktisch-kritische Veränderung der Wirklichkeit, in der sich die religiöse Herrschaftslegitimation und Trostsuche beständig regeneriert. ‚Emanzipation‘ als Akt gesellschaftlicher und individueller Befreiung realisiert sich demnach in Gestalt der Überwindung zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse einschließlich der ihr anhaftenden (religiösen) Legitimationsideologien. Und so endet die Kritik der Religion mit der Lehre; „daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx 1988a, S. 385).

Verallgemeinernd zeigt sich der legitimationsideologische Charakter des Religiösen innerhalb der antagonistischen Zivilisation darin, dass die einzelnen religiösen Bedeutungssysteme[4] für sämtliche zwischenmenschlichen Herrschaftsebenen Begründungs- und Rechtfertigungsmuster bereitstellen, so für Klassenherrschaftsbeziehungen, zwischenethnische Herrschaftsbeziehungen und zwischengeschlechtliche bzw. patriarchalische Herrschaftsbeziehungen. Dabei liefert der absolutistische Geltungsanspruch monotheistisch-offenbarungsreligiöser Bedeutungssysteme ein vorzügliches Legitimationsinstrument für totalitäre Herrschaftsgestaltung.

Die konkret-historische Ausformung des religiösen Weltanschauungssystems ist wiederum abhängig vom Niveau der Realitätskontrolle in Gestalt des erreichten Grades der Naturbeherrschung, dem Stand der Produktivkräfte, dem gesellschaftlich akkumuliertem Wissen, dem kognitiven Entwicklungsstadium etc.

Einerseits spiegeln sich somit in den religiösen Vorstellungen der Menschen sowie der Religionsstifter im Besonderen die zeittypischen gesellschaftlichen Umstände und Einflüsse der jeweiligen historischen Situation. Andererseits wirken die objektiven Inhalte der religiösen Weltanschauungsformen über die aus ihnen hervorgehenden subjektiven Überzeugungen und Praxen auf die Formierung und Normierung der gesellschaftlichen Verhältnisse mehr oder minder strikt und direkt zurück[5].

 

Zur historisch-genetischen Konstellation des Islam

Die Gründung des Islam (islam: Gottesergebenheit/Hingabe an Gott) fällt zusammen mit dem angeblichen lebensgeschichtlichen Wirken des Propheten Mohammed (um 570 bis 632). Unabhängig vom Realitätsgehalt der Mohammedlegende waren für die Offenbarungen des Korans bzw. für die behaupteten Inspirationen Mohammeds in kritisch-materialistischer Rekonstruktionsperspektive zunächst insbesondere zwei konkret-historische Erscheinungen von elementarer Bedeutung:

  1. Der seit dem 5./6. Jahrhundert einsetzende regionalspezifische innere Verfall der Gentilordnung bei den arabischen Beduinenstämmen[6] sowie
  2. Die sich gleichzeitig vollziehende beträchtliche Zunahme von Stammesfehden.

Auch in Mekka „beherrschten die reichsten Sippen des Banu Quraisch mehr und mehr den Stammesrat und beuteten die Arbeit von versklavten Kriegsgefangenen und Klienten aus anderen Stämmen in Handwerk, Handel und Hausarbeit aus“ (Autorenkollektiv 1985, S. 111).

Gewalttätige Stammesfehden, Angriffe und Überfälle waren an der Tagesordnung und bildeten den Nährboden für eine Kultur kriegerischer Prahlerei. Zudem entsprach dem ärmlichen Leben in einer unfruchtbaren und kargen Region eine unentwickelte Subjektivität der Menschen, die keine etablierten sozialen Institutionen besaßen, nur einige Sitten und Bräuche kannten und aufgrund ihrer Unwissenheit naturgemäß zu Aberglauben, Einbildungen und Götzendienst neigten. „Hinter jedem Stein oder Baum sahen sie einen lauernden Dämon“ (Dashti 1997, S. 76.). Dennoch ist davon auszugehen, dass es bereits vor Mohammed im Südwesten der arabischen Halbinsel eine Bewegung gegen die Götzenanbetung gegeben hat, die sich auf jüdische Stämme in Yathrib (später: Medina), durchreisende Christen aus Syrien und Hanifen, arabische Monotheisten[7], stützen konnten.

„Die Gesellschaft, in der Muhammad aufwuchs“, so Endreß (1991, S. 35.), „war eine Gesellschaft im Übergang: von der nomadischen zur seßhaften Lebensweise, vom Stammeskollektiv zum Individualismus, vom magischen Polytheismus zum Monotheismus; eine Gesellschaft, die zwischen alter Ordnung und neuen Interessen, zwischen eigener und fremder Religion eine neue Orientierung und einen Weg aus ihren Konflikten nicht finden konnte“.

Diese zugleich stammesinterne und zwischenethnische ‚Verwidersprüchlichung‘ und Krisenhaftigkeit der regionalspezifischen Sozialverhältnisse samt der daraus hervorgehenden umfassenden Erschütterung der sozialen Lebenspraxis gebar – noch dazu in Anbetracht des Bestehens heterogener polytheistischer Glaubensformen mit diversen animistischen und fetischistischen Kulten – das Bedürfnis nach einer ‚übergreifenden‘ kulturellen Harmonisierung in Gestalt einer einheitsstiftenden Lehre.

In diesem Bedingungskontext sowie aufgrund von starken Eindrücken, die er aus Gesprächen mit Monotheisten, nämlich syrischen Christen und Juden gewonnen hatte, kam Mohammed der Legende nach zu der Überzeugung, dass er zum göttlichen Propheten der Araber berufen sei. Er interpretierte seine durch die konkret erfahrene soziale Widersprüchlichkeit induzierten Ideen/Vorstellungen als Offenbarung des einzigen Gottes (Allah), die es den Landsleuten zwecks Erweckung und Läuterung zu verkünden galt. In unregelmäßigen Abständen trug er diese Verkündungen bis an sein Lebensende vor, die in den Suren des Korans überliefert sind. Verwoben mit deutlichen Warnungen an die heidnischen Polytheisten und Reichen vor dem bevorstehenden Gottesgericht, wurden die Zeitgenossen aufgerufen, sich dem einzigen Schöpfergott Allah zu unterwerfen und das Ideal der Umma, d.h. der Einheit aller gläubigen Muslime (muslim: Anhänger des Islam) unabhängig von Sippen- und Stammesbindungen, zu verwirklichen. Auch die aus dem händlerisch-kaufmännischen Milieu erwachsenen Einflüsse spiegeln sich in den Verkündungen. So bejahte Mohammed alle Formen des Privateigentums, pries Handel und Gewerbe, während er die wucherischen Praktiken der vorislamisch-heidnischen Oberschichten anprangerte[8]. Obwohl die Verkündungen des Propheten die Interessen der mittellosen und unzufriedenen Schichten widerspiegelten, blieb Mohammeds Anhängerschaft aufgrund der systematischen Repressionspraxis der mekkanischen Oberschicht zunächst noch relativ gering[9]. Nachdem Mohammed Kontakt zu Pilgern aus der Oase Jathrib aufgenommen hatte, die ihm für den Fall der erfolgreichen Vermittlung in einem Stammeskonflikt Anerkennung als Prophet und Gefolgschaft zugesichert hatten, unternahm er im September 622 (dem Jahr 1 im islamischen Mondkalender) mit seinen Anhängern die Hedschra (Auswanderung) nach Jathrib, das bald darauf Medina (Stadt des Propheten) genannt wurde.

Diese Auswanderung (Hidjra) markiert den Wendepunkt in Mohammeds Lebenstätigkeit: Von nun an agiert er nicht mehr nur als demütiger Verkünder von Allahs Wort, sondern fungiert zugleich als politischer Führer, Kriegsherr und Staatsgründer mit der Tendenz zu apodiktischen Vorschriften und Festlegungen und schuf eine neue islamische Ordnung, die noch heute den Muslimen als paradigmatisches Modell gilt. „Er warf das Gewand des Warners ‚der Mutter der Städte [Mekka] und aller ringsum‘ ab und tauschte es gegen die Ausrüstung eines Kriegers, der die ganze Arabische Halbinsel vom Jemen bis nach Syrien unter seine Flagge bringen sollte“ (Dashti 1997, S. 149).

Religiöse Verkündung verschmilzt damit fortan untrennbar mit weltlichem Ordnungs- und Herrschaftsstreben.

In der Perspektive eines historisch-genetischen bzw. ‚situationslogischen‘ Rekonstruktionsverfahrens lassen sich demnach folgende korrespondierenden Konstitutionsmomente der ‚Islamgründung‘ hervorheben:

  1. a) eine durch soziale Widersprüche und Krisenerscheinungen geprägte gesellschaftliche Umbruchsituation;
  2. b) ein dadurch bedingter Zustand geistig-moralischer Desorientierung;
  3. c) das Vorhandensein von Ansätzen eines alternativen Bedeutungssystems als Medium einer vorwärtsweisenden Widerspruchsverarbeitung (monotheistische Einflüsse)[10] und
  4. d) das Auftauchen einer charismatischen Persönlichkeit mit der Fähigkeit zur (langfristigen) Mobilisierung einer Anhängerschaft.

Die Gründung des Islam könnte demnach als ein gesamtgesellschaftlicher, sowohl sozialer als auch geistig-moralischer Reform-/Erneuerungsversuch begriffen werden, durch den die vielfältigen Widersprüche und Krisenerscheinungen der damaligen vorislamisch-arabischen Sozialordnung einer Lösung zugeführt werden sollten.

 

Der Islam als verabsolutierte Abwandlung der altarabischen Herrschaftskultur

Das weitreichend Verhängnisvolle der islamspezifischen Entfremdung besteht nun allerdings darin, dass die in der Mohammedlegende zum Ausdruck gebrachte konkret-historische Verarbeitung der arabischen Gesellschaftskrise nicht nur göttlich überhöht, sondern überhistorisch verabsolutiert und universalisiert wird. Verabsolutiert man aber die koranischen Normative zu einem zeitlos-ahistorisch gültigen Dogmensystem, dann verkommt ihr relationaler, konkret-historisch wirksamer Modernisierungscharakter zu einem reaktionär-repressiven Regelsystem mit totalitären Konsequenzen.

Einerseits Erneuerungsform erweist sich die Gründung des Islam bei näherer Betrachtung als fest eingebettet in die überlieferten Strukturen der altarabischen Gesellschaft mit ihrer spezifischen Beuteökonomie, ihren patriarchalischen Traditionen und hierarchischen Stammesbeziehungen. Entsprechend spiegeln sich im Koran und in der Sunna[11] des Propheten Mohammed sowohl die kennzeichnenden Widersprüche und Krisenerscheinungen dieser altarabischen Sozialordnung als auch der Versuch, eine Reformantwort auf diese vorliegende Problemkonstellation zu geben. Die koranischen Normen sollen ein Stück weit die altarabischen zwischenmenschlichen Beziehungsregeln verdrängen bzw. die heidnischen Sitten und Bräuche der tradierten Stammeskultur ablösen. Das Konzept der ‚Umma‘ räumt der Religionsgemeinschaft der Gläubigen gegenüber den (oftmals zwistbeladenen) Verwandtschafts- und Stammesbeziehungen den Vorrang ein und soll als übergeordnetes Vergemeinschaftungsprinzip gelten. ‚Rechtgläubigkeit‘ wird höher bewertet als ‚Abstammung‘; ‚Gottesfurcht‘ gesellt sich nun zum tradierten Ruhm als primäres Maß des Adels, d.h. edle Abstammung muss nun durch das Attribut des guten Muslims vervollständigt werden. Kriegerische Rivalität zwischen den Stämmen wird zurückgedrängt bzw. nach außen verlagert zugunsten der kämpferischen Einheit der ‚Umma‘ gegen die Nicht- und Andersgläubigen etc.

Die Gründung des Islam wäre aber einseitig fehlbestimmt, wenn man sie nur als Überwindung der traditionalen Stammeskultur betrachten würde. Tatsächlich bleibt nämlich der Islam oder besser: sein legendärer Begründer Mohammed, in vielerlei Hinsicht der altarabischen Überlieferung verhaftet, übernimmt von ihr zahlreiche Sitten und Gebräuche, geht ihr gegenüber Konzessionen ein, garantiert ihren normativen Fortbestand und vermag sich insgesamt gesehen ihrer Prägekraft nicht zu entziehen. Das gilt zum einen für die direkte Übernahme der folgenden Bräuche der heidnisch-polytheistischen Araber:

„Polygamie, Sklaverei, einfache Ehescheidung, Sozialgesetze im allgemeinen, die Beschneidung und zeremonielle Reinheit“ (Ibn Warraq 2004, S. 75).

Der Islam erwies und erweist sich damit auch als Konservierungsmedium archaischer Strukturen und Normen. Von besonderer Bedeutung ist aber wohl die Übernahme der kriegerischen Ehrenmoral der Stammesgesellschaft. Das gegenseitige Verhältnis zwischen den Stämmen war notgedrungen mit dem ausgewiesenen Gruppenbewusstsein verbunden, die vorzüglichste Gemeinschaft überhaupt zu sein; was natürlich eher zu Feindseligkeiten und Kämpfen statt zu Bündnissen führte. Der Islam übernimmt in Koran und Sunna des Propheten sowohl dieses elitäre Gruppenbewusstsein als auch den darwinistisch-gewalttätigen Männlichkeitskult als mentalitäts- und praxisprägenden Faktor. D.h. der Islam adaptierte von der Stammeskultur zum einen die Verbindung von ehrenmoralischer Gruppenverteidigung und Raubbeuterei und warb zugleich mit der vielfältigen Artikulation des Djihads erfolgreich und ‚passförmig‘ um die Akzeptanz der arabischen Mentalität – verknüpft natürlich mit der Aussicht auf die Ausbeutung der Unterworfenen als Anreiz zum Islamübertritt. Insofern stellt der Islam eine sublimierende Neuausrichtung und Überformung der altarabischen Stammeskriegerkultur dar, indem die überkommene intertribale Rivalität und Raubökonomie nunmehr expansiv gegen ein neues Unterwerfungsobjekt, die widerständigen Anders- und Nichtgläubigen, gekehrt und in Form des ‚Heiligen Krieges‘ monotheistisch legitimiert wird. Im Koran (2003, S. 445), Sure 61, Vers 4, wird diese neue monotheistische Kriegsideologie explizit geheiligt:

„Allah liebt fürwahr diejenigen, welche auf seinem Weg in Schlachtordnung kämpfen, so als wären sie eine fest gefügte Mauer.“

Von herausragender Bedeutung für das islamische Aussage- und Normensystem ist – wie angesprochen – vor allem der ethisch-normative Bruch zwischen dem mekkanischen und dem medinesischen Teil des Korans. In Mekka stand Mohammed mit seiner kleinen Anhängerschar einer übermächtigen Ablehnungsfront gegenüber. Entsprechend tragen die dort (610-622) geoffenbarten Koranverse einen nahezu ausschließlich spirituellen Charakter. Von Kriegsführung und Gewaltanwendung ist angesichts der gegebenen Kräfteverhältnisse keine Rede. Im Gegenteil: In der mekkanischen Sure 73, Vers 10 heißt es:

„Und ertrag in Geduld, was sie (die verleumderischen Quraishiten, H.K.) sprechen, und flieh von ihnen in geziemender Flucht“ (Koran 1984, S. 505).

Nach der Übersiedlung nach Medina und der dortigen Gründung eines islamischen Gemeinwesens ändert sich der Verkündungsinhalt radikal, d.h. er wird den neuen Möglichkeiten der kriegerisch-räuberischen Selbstbehauptung[12] gegenüber einer feindlichen Umwelt angepasst[13]. Aus der Position der errungenen Stärke wird nun ein friedlicher Ausgleich mit den Ungläubigen ausgeschlossen:

„Und erschlagt sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wannen sie euch vertrieben, denn Verführung[14] ist schlimmer als Totschlag“ (ebenda, S. 61).

Das Konzept des ‚Djihad‘, d.h. der ‚Anstrengung‘ zur Verbreitung bzw. Durchsetzung des Islam, ist jetzt nicht mehr begrenzt auf ‚Überzeugungstätigkeit‘ mit friedlichen Mitteln, sondern wird mit militärischer Gewaltanwendung assoziiert und gewinnt so den Charakter des ‚heiligen Krieges‘.

Die rasche Ausbreitung des Islam war dementsprechend im Wesentlichen auch kein Resultat gelungener Überzeugungsarbeit/Mission, sondern das Ergebnis einer erfolgreichen kriegerischen Eroberungspraxis. Auch entsprach der Übertritt zum Islam zumeist weniger religiösen Motiven als vielmehr materiellen Nützlichkeitserwägungen (Strafvermeidung, Aussicht auf Kriegsbeute, Prestigegewinn etc.). Unter dieser Voraussetzung blieb die geistig-normative Durchschlagskraft der islamischen Glaubenslehre zunächst sehr begrenzt.

 

Der Islam als expansive Herrschafts- und Eroberungsideologie

In kritisch-rationaler Sicht spiegeln die überlieferten Suren des Korans die subjektiv reflektierten Lebensepisoden Mohammeds mitsamt ihren konkret-gesellschaftlichen Bedingtheiten, Konfliktkonstellationen, äußeren und inneren Anfechtungen etc. einschließlich der jeweiligen kontextspezifischen Handlungsorientierungen. Vermittels der Berufung auf das transzendentale Imaginationszentrum ‚Allah‘ werden beständig Selbstbekräftigungen, Warnungen, Ermahnungen, Vorschriften, Anrufungen, Drohungen und Versprechungen als Verarbeitungsresultate konkreter Handlungssituationen kommuniziert. Im subjektiven Horizont der Gläubigen wird dieser konkret-historische/situative Charakter des Korans freilich sofort vollständig eliminiert[15]. Denn:

„Der Koran … ist direkter Offenbarungstext, d.h. jedes Wort und jedes Komma sind unmittelbar von Allah selbst geoffenbart und deshalb in jeder Einzelheit geschützt. Man nennt diese Weise der Eingebung unmittelbarer Offenbarungen durch Gott Verbalinspiration, d.h. wortwörtliche und buchstäbliche Offenbarungskundgabe. Ein solches Verständnis der Inspiration (Eingebung des Textes der Offenbarung durch Gott) ist offenkundig einer besonderen fundamentalistischen Gefahr ausgesetzt“ (Kienzler 1996, S. 24).

In Gestalt des Wirkens von Mohammed als absoluter Herrscher der medinesischen Gemeinde konstituiert sich der Islam als autoritäre Vorschriftenreligion, die jüdische, christliche, polytheistische und archaisch-stammeskulturelle Elemente zu einer spezifischen monotheistischen Einheit synthetisiert und damit gleichzeitig als ‚ganzheitliche‘ Rechtfertigungslehre einer neuen absolutistisch-theokratischen Herrschaftsordnung[16] fungiert. Dabei bilden „Religion“ (monotheistischer Gottesglaube als absolutistische Ausgangsprämisse), soziale Herrschaft, Politik und Kriegsführung eine untrennbare Einheit im medinesischen Ursprungsislam.

Das herausragende Statusmerkmal des Islam ist damit dessen Auftreten als autoritär-normativer Vorschriftenkatalog, der Regeln, Gebote, Verbote, Handlungsanweisungen für nahezu sämtliche Lebensbereiche bereithält, denen der muslimische Gläubige als treu ergebener Gottesknecht bedingungslos zu folgen hat. Die alltagspraktische Befolgung des islamischen Regelkanons ist der wahre Gottesdienst und bildet den grundlegenden Kern des gesamten Islam = Hingabe an Gott. Aus diesem Grund ist auch eine Trennung von Staat, Religion, Recht und Privatsphäre grundsätzlich ausgeschlossen. Religiöse Praxis ist zugleich immer auch politische Praxis (und umgekehrt); religiöse Gemeinschaft ist zugleich immer auch politische Gemeinschaft. „Das Staatsvolk ist Gottesvolk, das religiöse Gesetz (shari‘a) Staatsgesetz“ (Hagemann 1999, S. 402).

Im Einzelnen lassen sich folgende Grundmerkmale dieser neuartigen Herrschaftsform hervorheben:

1) Im Zentrum steht die absolute Gehorsamspflicht aller Gläubigen (Muslime) gegenüber Allah und seinem Gesandten. Dieser bedingungslose Gehorsam konkretisiert sich in der strikten Befolgung aller Ge- und Verbote bzw. Verhaltensmaßregeln, die von Allah auf Mohammed herabgesandt, von diesem verkündet und später dann im Koran festgehalten wurden sowie in der Befolgung der zusätzlichen Anordnungen des Propheten. Dabei handelt es sich nicht etwa nur um rituelle und spirituelle (gottesdienstliche) Normen, sondern um Vorschriften und Regeln für die gesamte alltägliche (gegenständliche, soziale und interaktive) Lebenspraxis der Gläubigen. ‚Islam‘ bedeutet somit absolute Unterwerfung des ‚ganzen Menschen‘ unter sämtliche göttlichen Vorschriften als subjektive Realisierungsform der „Hingabe an Gott“. Dem Individuum ist im Grunde nur die Rolle als „Gottesknecht“ zugedacht, die ihrerseits wiederum absoluten Befehlsgehorsam und gefügige Unterwerfung unter das hierarchisch-herrschaftlich konstituierte Sozium in seinen unterschiedlichen Erscheinungen (Familie, Sippe, Stamm, Glaubensgemeinschaft) impliziert. Der ‚gottesknechtschaftlichen‘ Entsubjektivierung des Einzelnen[17] entspricht somit ein repressiv-autoritärer Kollektivismus.

2) Wesentlicher Bestandteil der muslimischen Glaubenslehre ist die Selbsterhöhung und Herrschaftsberechtigung der eigenen Glaubensgemeinschaft gegenüber Anders- und Nichtgläubigen, wodurch – im Vergleich mit der überkommen Stammesgesellschaft – eine neue (kriegerische) Herrschaftsebene etabliert wird[18]. So artikuliert sich die Selbstsicht des Islam als einzig wahre und überlegene Religion, die bereits im dogmatischen Grundansatz eine gleichberechtigte Koexistenz und Kommunikation mit Anders- und Nichtgläubigen ausschließt, als Glorifizierung der Umma, der Gemeinschaft aller gläubigen Muslime:

„Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen erstand. Ihr heißet, was Rechtens ist, und ihr verbietet das Unrechte und glaubet an Allah“. (Sure 3, Vers 110 des Korans)

Dementsprechend beinhaltet der Islam einen expansiven Missionierungsauftrag. Dabei geht es darum, das „Land des Islam“, in dem die muslimischen Gesetze vollständige Geltung besitzen, auf Kosten des „Land des Krieges“, das den Ungläubigen gehört und noch nicht vom Islam unterworfen wurde, zu vergrößern.

„Und kämpfet wider sie, bis kein Bürgerkrieg[19] mehr ist und bis alles an Allah glaubt“ (Sure 8, 40).

Hat nun ein muslimischer Herrscher ein „Land der Ungläubigen“ besetzt, so haben dessen Einwohner vier Möglichkeiten:

  1. a) Bedingungslose Unterwerfung und Übertritt zum Islam;
  2. b) Zahlung einer Kopfsteuer und Einnahme einer Dhimmi-Position, d.h. der Stellung eines Bürgers „zweiter Klasse“ mit minderen Rechten und zahlreichen Entwürdigungen. Diese Möglichkeit wird aber nur „Besitzern der Buchreligion“, also Christen und Juden gewährt, nicht aber den Anhängern polytheistischer Kulte[20].
  3. c) Tötung durch die muslimischen Eroberer für diejenigen, die den Übertritt zum Islam oder die Zahlung der Kopfsteuer verweigern oder
  4. d) Bewaffneter Kampf/Verteidigungskrieg gegen die muslimischen Okkupanten[21].

Die Handlungslogik der frühmuslimischen Beutezüge widerspiegelnd, wird die Verpflichtung zum heiligen Krieg im Koran sowie in den Traditionen des Propheten (Hadith) immer wieder betont. Hierzu einige Beispiele:

„Sie wünschen, daß ihr ungläubig werdet, wie sie ungläubig sind, und daß ihr (ihnen) gleich seid. Nehmet aber keinen von ihnen zum Freund, ehe sie nicht auswanderten in Allahs Weg. Und so sie den Rücken kehren, so ergreifet sie und schlagt sie tot, wo immer ihr sie findet; und nehmet keinen von ihnen zum Freund oder Helfer“ (Sure 4, 89).

„Sind aber die heiligen Monate verflossen, so erschlaget die Götzendiener, wo ihr sie findet, und packet sie und belagert sie und lauert ihnen in jedem Hinterhalt auf“ (Sure 9, 5).

„Kämpfet wider jene von denen, welchen die Schrift gegeben ward, die nicht glauben an Allah und an den Jüngsten Tag und nicht verwehren, was Allah und sein Gesandter verwehrt haben, und nicht bekennen das Bekenntnis der Wahrheit, bis sie den Tribut aus der Hand gedemütigt entrichten. Und es sprechen die Juden: ‚Esra ist Allahs Sohn‘. Und es sprechen die Nazarener: ‚Der Messias ist Allahs Sohn‘. Solches ist das Wort ihres Mundes. Sie führen ähnliche Reden wie die Ungläubigen von zuvor. Allah, schlag sie tot! Wie sind sie verstandeslos!“ (Sure 9, 29, 30).

„Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt. … Und hätte Allah gewollt, wahrlich, er hätte selber Rache an ihnen genommen; jedoch wollte er die einen von euch durch die anderen prüfen. Und diejenigen, die in Allahs Weg getötet werden, nimmer leitet er ihre Werke irre. Er wird sie leiten und ihr Herz in Frieden bringen. Und einführen wird er sie ins Paradies, das er ihnen zu wissen getan. … Und viele Städte, stärker an Kraft als deine Stadt, welche dich ausgestoßen hat (Mekka), vertilgten wir, und sie hatten keinen Helfer!“ (Sure 47, 4-6, 13).

Im Djihad-Gebot gelangen zwei zentrale Wesensmerkmale des Islam zum Ausdruck: Zum einen der militant-kriegerische Wille zur totalen Weltherrschaft:

Wie bereits erwähnt: „Und kämpfet wider sie, bis kein Bürgerkrieg mehr ist und bis alles an Allah glaubt“ (Sure 8, 40).

Das islamische Gottesgesetz soll nicht nur für ein auserwähltes Volk gelten, sondern über alle Menschen herrschen. Zum anderen wird deutlich die moralische Vorrangstellung der militanten Glaubenskämpfer als ‚Muslime erster Klasse‘ hervorgehoben:

„Und nicht sind diejenigen Gläubigen, welche (daheim) ohne Bedrängnis sitzen, gleich denen, die in Allahs Weg streiten mit Gut und Blut. Allah hat die, welche mit Gut und Blut streiten, im Rang über die, welche (daheim) sitzen, erhöht. Allen hat Allah das Gute versprochen; aber den Eifernden[22] hat er vor den (daheim) Sitzenden hohen Lohn verheißen“ (Sure 4, 95).

Auch Marx hat diese grundlegende herrschaftliche Ungleichstellung von Muslimen/Rechtgläubigen und Ungläubigen/Kafiren als ein herausragendes Strukturprinzip des Islam erkannt und prägnant umrissen:

„Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist ‚harby‘, d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen. In diesem Sinne waren die Seeräuberschiffe der Berberstaaten die heilige Flotte des Islam.” (Marx 1961, S. 170; Hervorhebung von mir, H.K.).

Bei Max Weber wird der Islam dann – in Reflexion seines Entwicklungsübergangs von der mekkanischen zur medinesischen Phase – weitergehend als Herren- und Kriegerreligion spezifiziert. Zum einen waren diejenigen „Bekenner, deren Übertritt den entscheidenden Erfolg des Propheten darstellte, (….) durchweg Anhänger mächtiger Geschlechter“. Zum anderen galt das „religiöse Gebot des heiligen Krieges nicht in erster Linie (…) Bekehrungszwecken, vielmehr: ‚bis sie (die Anhänger fremder Buchreligionen) in Demut den Zins (dschizja) zahlen‘, bis also der Islâm der an sozialem Prestige in dieser Welt Erste gegenüber Tributpflichtigen anderer Religionen sein wird. Nicht nur dies alles in Verbindung mit der Bedeutung der Kriegsbeute in den Ordnungen, Verheißungen und, vor allem, Erwartungen gerade des ältesten Islâm, stempelte ihn zur Herrenreligion, sondern auch die letzten Elemente seiner Wirtschaftsethik sind rein feudal. Gerade die Frömmsten schon der ersten Generation waren die Reichsten oder richtiger: die durch Kriegsbeute (im weitesten Sinn) am meisten Bereicherten von allen Genossen. (…) Die Selbstverständlichkeit der Sklaverei und der Hörigkeit, die Polygamie und die Art der Frauenverachtung und -domestikation, der vorwiegend ritualistische Charakter der religiösen Pflichten, verbunden mit großer Einfachheit der hierher gehörigen Ansprüche und noch größerer Bescheidenheit in den ethischen Anforderungen sind ebenso viele Merkmale spezifisch ständischen feudalen Geistes“ (Weber 1980, S. 375f.).

3) Unter Verweis auf den Koran, Sure 4, Vers 59 („O ihr, die ihr glaubt, gehorchet Allah und gehorchet dem Gesandten und denen, die Befehl unter euch haben“), werden die irdischen Herrschaftsbeziehungen innerhalb der islamischen Gemeinwesen sakralisiert, d.h. als heiliges Gebot Allahs sanktioniert. Den Rechtsgelehrten oblag es, die jeweilige Herrschaftspraxis im Nachhinein im Sinne der religiösen Quellen zu rationalisieren, also einen Einklang zwischen absolutem Text und Realität zu konstruieren. Ibn Taimiyya (1236-1328) bestimmte den Sultan als „Schatten Allahs auf Erden“ und betonte, dass die sechzigjährige Herrschaft eines ungerechten Imams besser sei als eine einzige Nacht ohne einen Sultan. In einem Hadith heißt es:

„Hört auf euren Befehlshaber und gehorcht ihm, auch wenn es ein abessinischer Sklave sein sollte, der wie eine vertrocknete Weintraube aussieht!“ (Al-Buhari 1991, S. 473).

Damit wird ein Widerstandsrecht der Muslime auch gegenüber einem von den religiösen Vorschriften abweichenden Herrscher kategorisch ausgeschlossen; vielmehr wird Widerstand mit strafwürdigem Unglauben gleichgesetzt und als Gotteslästerung verfolgt.

Die Verse 104, 110 und 114 der Sure 3 des Korans bilden dann die normative Grundlage für den Aufbau einer umfassenden islamischen Kontrollgesellschaft. Alle Gläubigen sind demnach an ihrem jeweiligen Platz in der Gesellschaft dazu angehalten, das Rechte zu gebieten und Falsches/Unrechtes/Sündhaftes in die Schranken zu weisen und zu ahnden. Der Einzelne soll sich nicht nur selbst an die Gesetze Gottes halten, sondern er ist auch dazu aufgefordert, andere zur Einhaltung des islamischen Pflichtenkanons anzuhalten bzw. sie entsprechend zu überwachen. Dabei wird die Verletzung der göttlichen Vorschriften in erster Linie nicht als individuelle Handlung eines Einzelnen gewertet, der wegen seines Seelenheils vor weiterem sündhaften Verhalten abgebracht werden soll, sondern als Beschädigung bzw. Beschmutzung der Umma in ihrer Eigenschaft als sakrale Gemeinschaft. So zielt die koranische Aufforderung, Rechtes zu gebieten und Unrechtes zu bekämpfen im Endeffekt immer auf die Wahrung bzw. Wiederherstellung der „Ehre“ der zur absoluten Herrschaft berufenen Gemeinschaft der Rechtgläubigen in Form der Anwendung der Scharia, dem aus Koran und Sunna abgeleiteten islamischen Recht.

Ein besonders schwerwiegendes Verbrechen gegen den Islam stellt der Glaubensabfall dar. So heißt es bei Ibn Taymiyya:

„‚Die Strafe für einen Murtad bzw. einen Abtrünnigen ist härter als die Strafe eines Ungläubigen. Für denjenigen, der vom Islam abfällt, wird das Todesurteil ausgesprochen ohne Rücksicht auf seine Lage, selbst wenn er schwach und unfähig ist. Der Tod ist unumgänglich. …‘ […] Auch hat er kein Recht der Mitgift, und ferner kann eine Muslimin nicht länger mit ihm in ehelicher Verbindung bleiben. Unverzüglich wird diese annulliert. Das Fleisch, das ein Murtad geschlachtet hat, ist dem Muslim verboten. Im Fundament des islamischen Glaubens ist die Abtrünnigkeit ein größeres Vergehen als der Unglaube von Geburt an. Diejenigen, die als Ungläubige geboren werden und im Laufe ihres Lebens ungläubig bleiben, haben minder schwer gehandelt als jene, die im Islam geboren werden, ein bisschen islamisch leben und dann aus dem Islam heraustreten“ (Müller 2007, S. 56f.).

Bereits im Koran (2003, S. 227), Sure 16, Vers 106-109 heißt es:

„Wer Allah verleugnet, nachdem er an Ihn geglaubt hatte … wer also seine Brust dem Unglauben öffnet: auf sie soll Allahs Zorn kommen, und ihnen steht schwere Strafe bevor. Dies, weil sie das irdische Leben mehr liebten als das Jenseits und weil Allah die Ungläubigen nicht rechtleitet. Diese sind es, deren Verstand und Gemüt, Gehör und Gesicht Allah versiegelt hat, und sie – sie sind die Achtlosen. Ohne Zweifel sind sie im Jenseits die Verlorenen.“

Schon im Diesseits, also innerhalb der irdischen islamischen Herrschaftsordnung, sind sie mit Todesstrafe und systematischer sozialer Ächtung bedroht.

„O ihr, die ihr glaubt! Kämpft gegen die Ungläubigen in euerer Nähe, und laßt sie euere Härte spüren. Und wisset, daß Allah mit den Gottesfürchtigen ist“ (Sure 9, Vers 123, ebenda, S. 174).

Nach Ansicht muslimischer Rechtsgelehrter ist ‚Unglaube‘ die allergrößte der siebzehn großen Sünden, also noch verwerflicher als Mord, Diebstahl, Ehebruch etc. Der islamische Gelehrte Baiwadi (gest. 1291) urteilt über den Glaubensabfall:

„Wer immer sich vom Glauben abwendet – ob insgeheim oder öffentlich – ergreift ihn und tötet ihn, wo ihr ihn findet, wie einen jeden Ungläubigen. Sagt euch in jeder Weise von ihm los und nehmt keine Fürsprache für ihn entgegen“ (zit. n. Warraq 2004, S. 244).

Eine alltagspraktisch sehr wirksame Form der islamspezifischen Verschmelzung von Herrschaft, Ökonomie und religiöser Überwachung bildete die Institution der sittlichen Marktaufsicht durch den muhtasib, den Marktinspektor. Dieser überwachte nicht nur die Qualität der Waren und überprüfte die Korrektheit der Maße und Gewichte, sondern kontrollierte auch die Einhaltung der religiösen Pflichten und achtete auf ein islamisch korrektes Verhalten. Dazu gehörte neben der angemessenen Durchführung der in den Tagesablauf eingebauten rituellen Praxen insbesondere die penible Trennung der Geschlechter, gottesfürchtiges Auftreten und sittsame Kleidung sowie ein exakt unterwürfiges Verhalten der Dhimmis gegenüber den bevorrechteten Muslimen. Damit erweist sich die Marktaufsicht als eine integrale Herrschaftsinstanz, die sittliche Überwachung und Zensur in sowohl weltlichen (ökonomischen) als auch religiösen Verhaltensfragen verbindet. Durch einschüchternde Anwesenheit, Kontrolle und gegebenenfalls physische Disziplinierung von Personen, die unbotmäßiges oder abweichendes Verhalten an den Tag legen, verhinderte die Instanz des muhtasib, dass sich im unübersichtlichen Marktgeschehen offene und damit freie, individueller Selbstbestimmung zugängliche Räume bilden konnten. Die öffentliche Marktinspektion ist somit ein wesentlicher Funktionsbereich bzw. ein unverzichtbares Kettenglied der auf Totalität ausgerichteten islamischen Kontrollherrschaft, der sich nahtlos an die Überwachung durch die patriarchalische Hausgemeinschaft anschließt. Verlässt der oder die Einzelne den häuslichen Kontrollbereich, so ‚greift‘ umgehend das Überwachungsregime der Marktinspektion.

Dieser der islamischen Glaubensgemeinschaft normativ eingeschriebene Drang nach strikter Verhaltenskontrolle in sämtlichen Lebensbereichen dehnte sich von der Marktinspektion auf den gesamten Raum des öffentlichen Geschehens aus und führte schließlich zur Herausbildung einer formalen Religionspolizei wie in Saudi-Arabien oder zur Etablierung von staatsislamistisch eingesetzten Tugendwächtern wie im Iran.

„Schon im 18. und 19. Jahrhundert streiften Patrouillen einzelner Tugendwächter durch die Straßen Dir‘iyas und Riads. Sie züchtigten all jene, die nicht zum fünfmaligen täglichen Gebet in der Moschee erschienen, im Ramadan nicht fasteten, die rauchten, sangen oder musizierten oder seidene Kleidung trugen“ (Steinberg 2004, S. 148).

4) Der islamische Normenkatalog fixiert und modifiziert die wesentlichen Seiten des archaischen Patriarchats der vorgefundenen arabischen Stammesgesellschaft und reproduziert damit die massive Unterdrückung der Frauen nunmehr im Gewand einer religiösen Legitimationsideologie.

„Unangetastet blieb vor allem die weit überlegene Rechtstellung des Mannes, etwa sein Initiativrecht auf Anbahnung und Auflösung eines Eheverhältnisses, seine – auch finanzielle – Dominanz innerhalb der Ehe, sein Recht auf mehrere Frauen, sei es im Rahmen einer Ehe, sei es – auch gleichzeitig – im Rahmen des (legalen) Konkubinats (mit Sklavinnen)“ (Noth 1987, S. 51).

Hinzu kommt die Minderwertigkeit der Frau in Fragen des Erbrechts und der Geltung von Zeugenaussagen vor Gericht. Zudem sanktioniert der Koran das Züchtigungsrecht des Mannes gegenüber der Frau (Sure 4, 34). Des Weiteren ist hier zu betonen, dass der Islam – in verschärfendem Unterschied zur altarabischen Stammeskultur – die Frau in ihrer Gesamtheit als zu verbergende und zu verhüllende Schamzone bewertet und behandelt. Warraq (2004, S. 428) verweist auch in diesem Kontext auf den eklektischen Charakter des Islam: Erst nachdem der Islam mehr und mehr zu einem städtischen Phänomen geworden war und mit anderen Zivilisationen in Berührung kam, adaptierte er deren Gewohnheiten und verlieh ihnen eine spezifische religiöse Bedeutung.

„Den Schleier übernahmen die Araber von den Persern, und die Pflicht der Frau, im Hause zu bleiben, war ein den Byzantinern abgeschauter Brauch, die sie ihrerseits von einer alten griechischen Konvention übernommen hatten.“

5) Der Islam sanktioniert die vorgefundene altarabische Sklaverei, wobei der Sklave/die Sklavin als rechtloser Gegenstand und Eigentum seines Herrn behandelt wird. Auch ein zum Islam bekehrter Sklave hat kein Anrecht auf Freilassung. Muslimische Sklaven dürfen bei Zustimmung ihres Herrn heiraten.

„Kinder aus einer Verbindung zwischen einem Herrn und seiner Sklavin sind frei und haben die gleichen Rechte wie seine übrigen Kinder. Die Sklavin, die ihrem Herrn Kinder geboren hat, erhält die Freiheit bei seinem Tod“ (Lexikon des Islam 2001, S. 1264f.)

Im Zuge der frühen arabisch-muslimischen Eroberungen wurden zahlreiche Kriegsgefangene versklavt[23]. Danach waren die Araber „in dem weit verzweigten Netz des Sklavenhandels tief verwickelt, sie kundschafteten die Sklavenmärkte Chinas, Indiens und Südostasiens aus. Es gab türkische Sklaven aus Zentralasien, Sklaven aus dem byzantinischen Kaiserreich, weiße Sklaven aus Mittel- und Osteuropa, schwarze Sklaven aus West- und Ostafrika. Jede Stadt in der islamischen Welt hatte ihren Sklavenmarkt“ (Warraq 2004, S. 284).

Die Sklaverei hat sich im islamischen Herrschaftsgebiet noch bis ins 20. Jahrhundert fortgesetzt. Auf der arabischen Halbinsel sollen bis 1950 Sklavenmärkte stattgefunden haben und Bales (2001) berichtet von inoffizieller Massensklaverei im heutigen Mauretanien.

Flaig (2009) hat darauf hingewiesen, dass das Herrschaftsgebiet des mittelalterlichen islamischen Imperialismus[24] als erstes weltwirtschaftliches System und gleichzeitig größtes sklavistisches System der Weltgeschichte einen enormen Zustrom von Sklaven benötigte, der aus folgenden Hauptlieferzonen schöpfte: „1. der Südrand Europas und das byzantinische Anatolien, 2. der mehrere tausend Kilometer lange Gürtel entlang der Graslandsteppe vom slawischen Mittelosteuropa über Russland bis hinein nach Zentralasien, 3. Indien, 4. Schwarzafrika“ (S. 87). Als Versklaver schlechthin eigneten sich die nomadischen Steppenreiter. Von daher war die Konversion der Türken und Tataren zum Islam von Bedeutung, denn nun konnten deren traditionelle Razzien djihadisiert, d.h. gezielt gegen nichtmuslimische „Opferzonen“ gerichtet werden. „Hätten sich die beiden karolingischen Nachfolgereiche und das englische Königtum nicht im 10. Jh. stabilisiert, dann hätte das westliche Europa das Schicksal Afrikas und der russischen Steppe erlitten“ (ebenda). Allein die Krimtataren versklavten von 1468 bis 1694 etwa 1,75 Millionen Ukrainer, Polen und Russen.

Die Gründungszeit des Islam basierte zunächst noch ganz auf der altarabisch-beduinischen Ökonomie der gewaltsamen Aneignung des Mehrprodukts in Form der Beute und des Tributs. Die ‚naturwüchsige‘ Grundlage bildete das Recht des Stärkeren und trieb aus sich eine Kultur der unmittelbaren Gewaltandrohung, -anwendung und Unterwerfung hervor. Daraus ergab sich eine hierarchisch-herrschaftliche Unterteilung der Stämme in schwächere (tributpflichtige) und stärkere (tributeinziehende), in kämpfende und zahlende, wobei sich insbesondere ein Herrschaftsverhältnis zwischen Raubökonomie betreibenden Nomaden und agrarischen Oasenbewohnern verfestigte. Zunächst dominierte die Aneignungsform des beduinischen Raubs, die ghazu, d.h. die überfallartige Erbeutung („Razzia“) von beweglichen Gütern, die man auf dem Rücken von Tragtieren (Pferde und Kamele) fortschaffen konnte. Komplizierter war dann die Aneignungsform des fai. Dabei handelte es sich

„um die Beute an liegenden Gründen, einschließlich der Bewohner. Da sie nicht mobilisiert werden konnte, war sie gegen Tribut den alten Besitzern zu lassen. Diese Institution hatte sich erst in der Zeit nach Mohammed ausgebildet und war eine Form der Aneignung, die sich als Folge der Eroberungen im Bereich agrarischer Kulturlandschaften einstellte“ (Diner 2007, S. 197).

Die Gründung und Expansion des Islam ist dann mit dem Dominanzwechsel von der tragbaren Beute zur Tributentrichtung verbunden und führte schließlich zur Erhebung langfristig angelegter Zwangsabgaben: Kopfsteuer (jizya), Grundsteuer (haraj) und Ertragssteuer (usr). Da die zum Islam übergetretenen Menschen in den eroberten Gebieten nur die niedrigere Ertragssteuer (usr) entrichten mussten, und nicht – wie die „Ungläubigen“ – die viel höhere Kopf- und Grundsteuer (die nicht unter einem Viertel des Werts der Ernte lag), liegt es auf der Hand, dass es aus fiskalischen Gründen zu Massenübertritten zum Islam kam. Um den damit verbunden Einnahmeausfällen zu entgehen, wurden unter dem Kalifen Omar II. (reg. 717-720) die bekehrten Nichtaraber von der Kopfsteuer befreit, dafür aber gleichzeitig zur Grundsteuer herangezogen. Zusammenfassend kann festgehalten werden:

„Die Wandlung des beduinischen Beute-Prinzips in Tribut und später in Steuern entwickelte sich zur Omajjadenzeit (661-750) und wurde unter den ihnen nachfolgenden Abbasiden abgeschlossen“ (ebd. S. 200).

Als expansive Eroberungsgemeinschaft wurde die frühislamische Umma damit weitestgehend von ihren nicht-muslimischen Untertanen finanziert, wobei als Haupteinnahmequellen dieser imperialen Okkupationsökonomie Kriegsbeute, Steuern für Nichtmuslime sowie Handel und Ausbeutung von Sklaven fungierten.

Der weitere Fortgang des islamischen Herrschaftssystems, insbesondere die traumatisierende Widerspruchserfahrung der westlich-kapitalistischen Überlegenheit sowie deren regressive Verarbeitung, kann hier nicht mehr behandelt werden[25].

Verallgemeinernd können wir aber abschließend im Einzelnen noch folgende relevanten Ebenen innerhalb des islamischen Herrschaftssystems unterscheiden:

1) Die überlieferte altarabische Hierarchie zwischen und innerhalb der Stämme und Clans (überformt durch den islamischen Abstammungs- und Verdienstadel);

2) Der Klassengegensatz zwischen (überwiegend muslimischen) Sklavenhaltern und (überwiegend nichtmuslimischen) Sklaven (Teile der unterworfenen Bevölkerungen der eroberten Gebiete);

3) Die Ausbeutungs-, Abhängigkeits- und Repressionsbeziehungen zwischen muslimischen Herrschaftsgruppen und Dhimmis (unterworfene/tributpflichtige und systematisch entrechtete bzw. soziokulturell gedemütigte monotheistische/jüdische, christliche und zarathustrische „Schriftbesitzer“);

4) Die intramuslimischen ökonomisch-politischen Herrschaftsbeziehungen auf der Basis prämoderner/despotischer Eigentums- und Rechtsverhältnisse[26]. Es gibt weder Gewaltenteilung noch ein Konzept individueller Rechte. Ein Widerstandsrecht gegen despotische Willkürherrschaft wird explizit verneint. Die Staatsbeamten, Richter, Religionsgelehrten etc. sind in letzter Instanz Hörige bzw. Unterworfene unter die Willkürherrschaft und Befehlsgewalt der despotischen (rechtlich ungebundenen) Herrscher. Somit dominiert „im orthodoxen Islam eine klare Tendenz zur fast bedingungslosen Unterwerfung unter die Obrigkeit, ein theologischer Quietismus“ (Steppat, zit. n. Tibi 1991, S. 149).

5) Die intramuslimischen politisch-rechtlichen und soziokulturellen Ungleichheitsverhältnisse zwischen arabischen Muslimen und (neu)bekehrten/islamisierten, ethnisch andersartigen Volksgruppen (Mawalis) (Intramuslimischer ‚Rassismus‘);

6) Die intramuslimischen patriarchalischen Herrschaftsbeziehungen zwischen umfassend bevorrechteten Männern und systematisch subordinierten Frauen im Rahmen einer normativen Privilegierung von Älteren gegenüber Jüngeren;

7) Die ideologisch-normativen Abhängigkeits- und Gefolgschaftsverhältnisse zwischen religiösen Instanzen und Funktionsträgern (Geistlichen) und der Masse der „rechtgläubigen“ Muslime einerseits sowie das „alltagsislamische“ Repressionsverhältnis dieses Blocks der „Rechtgläubigen“ gegenüber den „Nichtrechtgläubigen“ andererseits und

8) Die spätere Herausbildung des Gegensatzes zwischen islamischem Staats- und Privatkapital (oftmals im Besitz feudal-aristokratischer und klientelistischer Herrschaftsgruppen/„Ölscheichs“) und entrechteten Lohnarbeitern (oftmals importierte Arbeitskräfte wie in den arabischen Golfstaaten) auf der Grundlage einer spezifischen interkulturellen Herrschaftssynthese: Aneignung der ökonomisch-technisch-bürokratischen Modernität bei gleichzeitiger aktiver Bekämpfung der säkularen Moderne.

 

 

Literaturverzeichnis:

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[1] Aus der Vielzahl der Bücher und Texte zur Entfremdungstheorie möchte ich folgende Abhandlungen anführen: Mészáros 1973; Treptow 1978 und Trebeß 2001.

[2] Der gottesdienstliche Gunsterwerbungsglauben zielt darauf ab, sich dem eingebildeten Gott/Allah durch gehorsame Dienstwilligkeit und Einhaltung aller erdenklichen Förmlichkeiten als wohlgefälliger Untertan anzudienen, um seine Zuneigung zu erheischen. Dabei werden Gebete, Kasteiungen, Wallfahrten, penible Riten und Kulthandlungen als Mittel zur Entsündigung bzw. als „Punktesammlung fürs Paradies“ eingesetzt. D.h: Der gottesdienstliche Gunsterwerbungsglauben, von Kant als „Afterdienst Gottes“ bezeichnet, generiert ein System von Handlungen und Denkweisen im Sinne eines bloßen Religionswahnes, der „nicht eine bloß unvorsetzliche Täuschung, sondern sogar eine Maxime ist, dem Mittel, einen Wert an sich, statt des Zwecks beizulegen, da denn vermöge der letztern dieser Wahn unter allen diesen Formen gleich ungereimt und als verborgene Betrugsneigung verwerflich ist.“ (Kant 2004, S. 224) Kant verwirft aber nicht nur das verirrte Bestreben, durch „frommes Spielwerk“ und religiösen Fetischdienst Gott wohlgefällig zu werden. Er stellt auch die Hybris der Offenbarungspropheten radikal in Frage: „Himmlische Einflüsse in sich wahrnehmen zu wollen, ist eine Art Wahnsinn“ (ebenda S. 230).

[3] In der vierten Feuerbachthese fasst Marx seine Kritik folgendermaßen zusammen: „Feuerbach geht aus von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdoppelung der Welt in eine religiöse, vorgestellte und eine wirkliche Welt. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Er übersieht, daß nach Vollbringung dieser Arbeit die Hauptsache noch zu tun bleibt. Die Tatsache nämlich, daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich, ein selbständiges Reich, in den Wolken fixiert, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sichselbst-Widersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muß also erstens in ihrem Widerspruch verstanden und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revolutioniert werden.“ (Marx 1969, S. 534).

[4] Kennzeichnend für religiöse (monotheistische) Bedeutungssysteme sind (a) die unbewiesene/unbeweisbare Behauptung der Existenz eines Schöpfergottes; (b) die Behauptung einer Offenbarung des Willens dieser Gottheit sowie (c) der Drang nach weltlicher (diesseitiger) Normierung der Gesellschaft und der Individuen gemäß dieser unbewiesenen/unbeweisbaren Willensoffenbarung. Religiöse Bedeutungssysteme weisen damit grundsätzlich einen ideologischen Charakter auf, indem sie a) eine irrationale bzw. rational nicht beweis- und überprüfbare Ausgangsprämisse zur fundamentalen Basis erheben und b) aus dieser irrationalen Prämisse bzw. unbewiesenen Basisbehauptung zusätzlich einen absolut verbindlichen Vorschriftenkatalog ableiten und praktisch durchsetzen wollen (Streben nach Deutungshoheit und weltlicher Normierungsmacht).

Eine herausragende kulturschöpferische Leistung des europäischen Aufklärungsprozesses bestand demgegenüber darin, im Zuge mehrstufiger revolutionärer Kämpfe die Möglichkeit einer relativ unangefochtenen religionsfreien Lebensweise (als Freigeist, Atheist, Agnostiker oder unreflektierter Konfessionsloser) durchzusetzen und zu garantieren. („Ungläubigkeit“ als unspektakuläres Massenphänomen)

[5] Entsprechende prägnante Hinweise auf die konkret-historische Ausformung der religiösen Weltanschauung einschließlich ihrer interessenspezifischen Varianten finden sich bei Marx 1962, S. 93f. sowie bei Engels 1984, S. 303ff.

[6] „Der Stammesführer (sajjid, Schaich), ursprünglich primus inter pares im Rate der Stammesältesten, baute seine wirtschaftlichen und politischen Positionen aus. Er erhielt ein Viertel der Kriegsbeute aus den ständigen Stammesfehden. Der Schaich und andere reiche Angehörige der Stammesaristokratie besaßen große Kamelherden, sicherten sich Vorrechte bei der Wasser- und Weidenutzung, zogen den größten Gewinn aus Verkauf oder Tausch des Mehrprodukts ihrer Herden. Sie beuteten bereits die Arbeit mittelloser Angehöriger des eigenen Stammes oder versklavter afrikanischer Kriegsgefangener aus. Schwächere Stämme hatten ebenso Tribute zu zahlen wie die seßhaften Ackerbauern der Oasen. In den Oasen existierten neben dem gemeinsamen Sippen- oder Stammeseigentum an Weiden bereits private Formen des Eigentums an Vieh, Ackerboden und Sklaven. Alle männlichen Stammesangehörigen waren zugleich Krieger“ (Autorenkollektiv 1985, S. 111).

[7] Die Hanifen glaubten an die Lehre vom Stammvater Abraham, ohne sich dem Christentum oder Judentum anzuschließen.

[8] Friedrich Engels (1977, S. 450) sieht den Islam als eine „auf Orientalen, speziell Araber zugeschnittene Religion, also einerseits auf handel- und gewerbetreibende Städter, andrerseits nomadisierende Beduinen“, und leitet daraus einen Zyklus periodisch wiederkehrender Kollisionen ab zwischen gleichzeitig reicher und moralisch laxer werdenden Städtern und aus Armut sittenstrengen, neidisch-gierigen Beduinen. Während aber im christlichen Westen die zunächst noch religiös verkleideten Angriff auf eine veraltete ökonomische Ordnung zum Durchbruch einer neuen Welt führen, sind die islamisch verkleideten Bewegungen stagnativ: „auch wenn siegreich, lassen sie die alten ökonomischen Bedingungen unangerührt fortbestehen“ (ebd.).

[9] Die mekkanische Oberschicht „verfolgte die armen und hilflosen Muslime unaufhörlich, folterte sie sogar manchmal, aber Muhammad selbst und einige andere Muslime wie Abu Bakr, Umar und Hamza, die einflußreiche Verwandte hatten, ließ sie in Ruhe. Mit den unterschiedlichsten Abschreckungsmethoden quälten sie die Mitglieder der notleidenden Schicht, die die Basis der Pyramide dieser neuen religiösen Gemeinschaft bilden sollte. Deswegen konnte Muhammad in den ersten dreizehn Jahren des Islam nur sehr wenige Menschen dazu gewinnen, zum Islam überzutreten; wahrscheinlich waren es nicht mehr als hundert Personen“ (Dashti 1997, S. 320f.).

[10] Schon vor Mohammed waren in verschiedenen arabischen Gebieten Propheten aufgetreten, die vor der Götzenanbetung warnten (vgl. Dashti, 1997, S. 46f.).

[11] Die Sunna des Propheten bezeichnet die vorbildhafte und zu befolgende Handlungsweise des Propheten, wie sie in den Sammlungen der angeblichen Taten und Aussagen Mohammeds und seiner engsten Gefolgsleute der ersten Generation überliefert sind. „Die auf den Traditionen beruhenden Gesetze werden bezeichnet als Sunnatuʼl-Fi‘l, das, was der Prophet getan hat, Sunnatuʼl-Qaul, das, was er vorgeschrieben hat und Sunnatuʼt-Taqrir, das, was in der Gegenwart des Propheten getan oder gesagt wurde, ohne daß er es verboten hat.“ (Hughes 1995, S. 691).

[12] Durch Überfälle auf Karawanen feindlicher Stämme besserten Mohammed und seine frühmuslimische Anhängerschaft ihre finanzielle Lage auf. So versetzten sie sich in die Lage, ihre Vormachtstellung über die gesamte arabische Halbinsel zu errichten. „Aber der entscheidende Schritt, mit dem sie sofort eine feste wirtschaftliche Grundlage aufbauen und ihr Ansehen heben konnten, war die Beschlagnahmung aller Besitztümer der Juden in Yathrib“ (Dashti 1997, S. 157).

[13] Tibi (1996, S. 91) schreibt hierzu: „Die historische Situation, die diesem Muster zugrunde liegt, ist: Unterwerfung der Stämme unter die neue islamische Staatsordnung und Expansion durch den Djihad. Im Kontext der islamischen Religionsstiftung war diese Lehre gleichermaßen verständlich und berechtigt. Muslime haben sie aber zur Rechtfertigung ihrer Futuhat/Eroberungen erweitert und zu einer religiösen, kosmologischen Weltanschauung weiterentwickelt.“

[14] ‚Verführung‘ ist hier im Sinne von ‚Vertreibung‘ zu verstehen.

[15] „Eine historisierende Lesart des Koran-Textes, so wie (viele, H.K) Christen ihre Bibel textkritisch lesen, wird von den meisten Muslimen … als häretisch zurückgewiesen. Der Muslim, der hierfür eintritt, setzt sein Leben aufs Spiel“ (Tibi 1996, S. 89).

[16] Wie jede prämodern-absolutistische Herrschaftsform beinhaltet auch das islamische Herrschaftskonzept die Tendenz zum ‚Totalitären‘; wobei die spätere Realisierung des Totalitären aus der Verbindung von absolutistischer Herrschaftsideologie und ökonomisch-technisch-bürokratischer Modernität hervorgeht. Das ‚Totalitäre‘ ist der Versuch der Fortsetzung bzw. Wiederherstellung absoluter Herrschaft in einer nunmehr posttraditional gewordenen Welt unter Zuhilfenahme ‚moderner‘ Mittel. Vgl. dazu ausführlich Krauss 2003.

[17] „Keine Glaubensübung kann die totale Unterwerfung unter die umfassenden Gesetzesregeln der Scharia klarer unterstreichen als die ‚Ich-Abstreifung‘ (arab.: tadjarrud). Dabei handelt es sich um das, was die westlichen Proislamisten als die ‚Spiritualität‘ der Muslime loben. Es geht um die strikte Befreiung von etwaigen Resten der Individualität, um gänzlich mit dem Charisma des Verkünders Muhammad zu verschmelzen“ (Raddatz 2005, S. 222f.).

[18] Einen „Geschmack“ dieser gruppenmoralischen Grenzziehung vermittelt Sure 48, Vers 29: „Muhammad ist der Gesandte Allahs. Seine Anhänger sind streng gegen die Ungläubigen, aber barmherzig untereinander. Du siehst sie sich verneigen und niederwerfen im Streben nach Gnade von Allah und Seinem Wohlgefallen“. (Der Koran 2003, S. 413)

[19] Eigentlich „Versuchung (zum Abfall vom Islam)“. Anmerkung des Übersetzers in: Koran 1984, S. 176.

[20] Die Existenz von „Gottlosen“ lag zur Zeit des Frühislam außerhalb der zeitgenössischen Vorstellungskraft und dürfte auf noch schärfere Ablehnung und Bekämpfung gestoßen sein als der Polytheismus.

[21] Inwieweit ein solcher Verteidigungskrieg auch präventiven Charakter haben könnte, sei hier dahingestellt.

[22] D.h. den mit der Waffe Streitenden.

[23] Lane-Pool schreibt über die Lebensbedingungen der Sklavinnen: „Die Lebensumstände der Sklavin im Orient sind in der Tat äußerst betrüblich. Sie ist ihrem Herrn vollends ausgeliefert, der mit ihr und ihren Gefährtinnen tun kann, was ihm beliebt, denn dem Muslim obliegt keine Beschränkung in der Anzahl seiner Konkubinen. (…) Die weiße Sklavin wird ausschließlich zum Zwecke der Lustbefriedigung ihres Herrn gehalten, und wenn er ihrer überdrüssig ist, wird sie weiterverkauft. So wird sie von einem Herrn zum nächsten weitergereicht, ein wahres Wrack von Weiblichkeit. Ihr Los bessert sich ein wenig, wenn sie ihrem Tyrannen einen Sohn gebiert, obwohl es ihm auch dann noch freisteht, das Kind nicht als das seine anzuerkennen, was zugegebenermaßen nicht sehr häufig geschieht. Obwohl der Prophet selbst sich gegen Leibeigene gütig zeigte, kann man die unsäglichen Grausamkeiten nicht vergessen, die er seinen Anhängern gegenüber besiegten Völkern gestattete, indem er sie Sklaven machen ließ. Der muslimische Soldat durfte mit jeder ‚ungläubigen‘ Frau, der er auf seinem siegreichen Feldzug begegnete, verfahren, wie ihm der Sinn stand. Bedenkt man die Tausende von Frauen, Müttern und Töchtern, die aufgrund dieser Erlaubnis unbeschreibliche Schande und Entehrung erlitten haben müssen, so findet man kaum die Worte, um das Entsetzen auszudrücken. Diese grausame Willfährigkeit aber hat den muslimischen Charakter geprägt, ja, den Charakter des orientalischen Lebens überhaupt.“ (zit. n. Warraq 2004, S. 284)

[24] Zum islamischen Imperialismus und den Entwicklungslinien des islamischen Herrschaftssystems nach Mohammeds Tod vgl. Krauss 2008, S. 56ff.

[25] Vgl. Krauss 2008, Teil 2: Islamismus S. 129-243.

[26] Die ökonomischen Verhältnisse der mittelalterlichen islamischen Gesellschaften lassen sich nicht eindeutig in das Marxsche Schema der ‚ökonomischen Gesellschaftsformationen‘ einordnen. Rodinson (1986) spricht hier von der Koordinierung verschiedener Produktionsweisen bzw. von der Koexistenz unterschiedlicher „präkapitalistischer Ausbeutungssysteme“.

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