Iran: Zur totalitären Konstitution des staatsislamistischen Herrschaftssystems
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Die khomeinistische Leitideologie
Die repressiv-terroristische Ausschaltung der säkularen Oppositionskräfte bildete die unabdingbare Voraussetzung für die Ersetzung der Schah-Diktatur durch die totalitäre ‚Gottesdiktatur‘ der schiitisch-islamischen Religionsgelehrten. Als Leitkonzept dieser Transformation und funktionale Herrschaftsideologie diente und dient die radikale Zuspitzung der orthodoxen schiitisch-islamischen Glaubenslehre durch Khomeini. Danach ist der Islam die letztgültige Glaubenslehre und Weltanschauung, die im Sinne einer göttlich vorherbestimmten Geschichtsteleologie gesetzmäßig zur weltherrschaftlichen Vollendung gelangt. Von dieser Grundposition aus wird dann sowohl die traditionell-christliche als auch insbesondere die säkular-humanistische Kultur des Westens im Sinne einer geschlossenen Verschwörungsideologie konsequent verteufelt und damit ein perfekter Abwehrmechanismus gegenüber den eigenen herrschaftskulturellen Defekten, Widersprüchen, Entwicklungsbehinderungen, Krisen etc. geschaffen. Alle Probleme erscheinen demnach als eine Verunreinigung durch westlich-säkulare Einflüsse, die es kämpferisch (djihadistisch) abzuwehren und zu überwinden gilt. Als zentrale westliche Vergiftung werden das kritisch-rationale Denken und die daraus hervorgehenden emanzipatorischen Handlungsimpulse fokussiert.
Um nun zu einer eingreifenden Praxis im Sinne der Herstellung einer gottesherrschaftlichen Gesellschaftsordnung zu gelangen und damit auch die vergiftenden Einflüsse des Westens radikal ausmerzen zu können, nimmt Khomeini eine grundlegende Revision innerhalb der klassischen schiitischen Herrschaftslehre vor. Nach dieser traditionellen Auffassung sind die religiösen Rechtsgelehrten während der Entrückungszeit des Zwölften Imams dazu angehalten, den weltlichen Herrscher bei der Einhaltung der schariatischen Ordnung zu unterstützen bzw. dessen Regierungstätigkeit im Hinblick auf deren Scharia-Konformität zu kontrollieren. Demgegenüber plädiert nun Khomeini angesichts der ‚absoluten Gottlosigkeit‘ der Schah-Herrschaft für die Ersetzung dieser indirekten Wächterfunktion durch die unmittelbar-aktive Herrschaftsausübung der religiösen Rechtsgelehrten als legitimierte Sachwalter des Verborgenen Imam. Dieses Konzept der „Regierung der Rechtsgelehrten“ (wilayat al-faqih[1]) besagt nach Khomeini, „dass die Rechtsgelehrten verpflichtet sind, gemeinsam oder einzeln zum Zweck der Vollstreckung der koranischen Strafgesetze (hudud) und des Schutzes der Grenzen und der Ordnung des Islam eine religiöse Regierung zu bilden. … denn die Rechtgelehrten sind von Gott designiert“ (zit. n. Meier 1994, S. 335).
Durch diese Neuinterpretation der Rolle der Rechtsgelehrten wurde gleichzeitig der dem Modernisierungsprozess innewohnenden tendenziellen Marginalisierung bzw. dem Bedeutungsverlust der Islamgelehrtheit eine extrem offensive Antwort erteilt. Damit erscheint Khomeini als paradigmatische Verkörperung des Umschlags des konservativ-orthodoxen Gesetzesislam in die aktivistisch radikalisierte Form des Islamismus.
Das Wesen und die Eigenart der islamischen Gesetze bedingen nach Khomeini die Notwendigkeit der Schaffung des islamischen Staates. „Aus dem Wesen und der Eigenart dieser Gesetze geht hervor, daß sie für einen Staat und für die Regelung der politischen, ökonomischen und kulturellen Angelegenheiten der Gesellschaft initiiert worden sind. (Khomeini, Der islamische Staat 1983, S. 36). „Der heilige Koran und die Sunna“, so Khomeini weiter, „enthalten alle Weisungen und Gesetze, die der Mensch zum Glück und zur Vollkommenheit braucht (…) Der Koran erklärt alle Probleme und Angelegenheiten (…) Daran darf man nicht zweifeln“ (ebenda, S. 37). Da der Islam der eine und wahre Glaube sei, sei es die Pflicht der Rechtgläubigen, so lange zu kämpfen, bis die gesamte Menschheit zum Islam übertritt oder sich der islamischen Herrschaft beugt.
Der globale Weltherrschaftsanspruch der „islamischen Revolution“ richtet sich bei Khomeini vor diesem dogmatischen Hintergrund dann folgerichtig gegen alle Formen entgegenstehender Gesellschaftsstrukturen, Kulturen und Religionen, d.h. gegen westlich-säkularen Kapitalismus und atheistischen Sozialismus, gegen Christentum und Judentum, insbesondere aber gegen alle Erscheinungsformen der kulturellen Moderne und nichtmuslimischer Ungläubigkeit. Die Tötung von Ungläubigen ist für ihn nichts weiter als göttliche Pflicht auf diesem Wege zur Errichtung der islamischen Weltherrschaft, wobei er sich leider durchaus zu Recht auf die islamische Offenbarung beziehen kann:
„Wenn man es zulässt, dass die Ungläubigen damit fortfahren, ihre verderbliche Rolle auf Erden zu spielen, so wird ihre Strafe umso schlimmer sein. Wenn wir also die Ungläubigen töten, um ihrem verderblichen Handeln ein Ende zu bereiten, dann haben wir ihnen im Grunde einen Gefallen getan. Denn ihre Strafe wird dereinst geringer sein. Den Ungläubigen das Leben zu lassen bedeutet Nachsicht gegenüber ihrem verderblichen Tun. Sie zu töten ist wie das Herausschneiden eines Geschwürs, wie es Allah der Allmächtige befiehlt. Jene, die dem Koran folgen, wissen, dass wir die Quissas (Strafgesetze) anwenden und töten müssen. Die Kriege, die unser Prophet, Friede seiner Seele, gegen die Ungläubigen führte, waren ein Geschenk Gottes an die Menschheit. Wir müssen auf der ganzen Welt Krieg führen, bis alle Verderbnis, aller Ungehorsam gegenüber dem islamischen Gesetz aufhören. Eine Religion ohne Krieg ist eine verkrüppelte Religion. Es ist Krieg, der die Erde läutert“ (zit. n. Schirra 2006, S. 154f.)[2].
Aus dem Geist dieser hegemonial gewordenen Islamauslegung heraus wurde die Islamische Republik Iran als totalitäres staatsislamistisches Herrschaftssystem mit entsprechenden Repressionsapparaten, sittenterroristischen Verbänden, einer barbarischen Strafjustiz sowie einer schariatischen Gleichschaltungsideologie geschaffen. Khomeini nahm in diesem System in „guter“ persischer Tradition den Platz eines totalitären Gott-Königs ein, der willkürlich neue Regeln aufstellen und nach religiösem Belieben zivilisatorische Tabus brechen durfte.
Nach der Verfassung des Gottesstaates ist die islamische Republik ein System, „das auf folgenden Glaubenssätzen basiert: Dem einen und einzigen Gott; seiner exklusiven Souveränität und Gesetzgebung; der Notwendigkeit sich seinem Befehl zu unterwerfen, die göttliche Offenbarung und ihre grundsätzliche Rolle in der Verabschiedung von Gesetzen; das Konzept der Auferstehung und seine konstruktive Rolle im Evolutionsweg des Menschen zu Gott; die Gerechtigkeit Gottes in der Schöpfung und im Gesetzgeben. Das ununterbrochene Imamat, seine Führerschaft und seine fundamentale Rolle in der islamischen (nicht allein iranischen) Revolution“ (Trimondi und Trimondi 2006, S. 359f.)
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Politische Kerninstanzen des islamistischen Herrschaftssystems
Um die „Gottessouveränität“ bzw. die absolute Herrschaft der göttlichen Gesetze in konkrete gesellschaftliche Unterwerfungs- und Überwachungspraxis zu überführen, wird ein totalitäres System politischer Führungs- und Lenkungsorgane geschaffen, durch deren Tätigkeit sich die Diktatur der Religionsgelehrten realisiert. In diesem Funktionskomplex lassen sich folgende Kerninstanzen identifizieren:
1) Die höchste Autorität im System der Gottesdiktatur besitzt der auf Lebenszeit eingesetzte „Oberste geistliche Führer“ (Rahbar). Als Stellvertreter des entrückten Imam Muhammed al-Mahdi[3] verfügt er bis zu dessen Wiederkunft über uneingeschränkte Macht, bestimmt die Richtlinien der Politik, ist Oberkommandierender der Streitkräfte und der „Revolutionsgarden“ und ernennt die höchsten Richter (allesamt Geistliche). Zudem ernennt er sechs Mitglieder des Wächterrats. Die gesamte Rechtsprechung, Exekutive und Legislative steht unter der permanenten Aufsicht des religiösen Führers, der de facto die Rolle eines göttlich legitimierten absoluten Monarchen einnimmt. Vom 3. Dezember 1979 bis zum 3. Juni 1989 hatte der charismatische „Revolutionsführer“ Ruhollah Mousavi Khomeini das Amt inne; ab dem 4. Juni bis heute Ali Khamenei, der zuvor Staatspräsident war. Da ihm das Charisma und die hohe religiöse Bildung Khomeinis fehlt, liegt hier ein latenter Konfliktherd zwischen ihm und den übrigen Mitgliedern der Herrschaftsklasse der Geistlichen, die eine kollektive statt einer personellen Ausübung der obersten geistlichen Führerschaft bevorzugen.
2) Gewählt wird der „Religionsführer“ durch den „Expertenrat“, einem aus 86 Mitgliedern bestehendem Gremium, das alle acht Jahre vom Volk gewählt wird. Alle Kandidaten sind allerdings zuvor vom „Wächterrat“ gesiebt und erst dann zur Wahl freigegeben worden. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass der „Wächterrat“ wiederum zur Hälfte vom Obersten Religionsführer ernannt wird und somit der Religionsführer die Hälfte derjenigen bestimmt, die ihrerseits diejenigen selektieren, die für den „Expertenrat“ kandidieren dürfen, der dann den Religionsführer wählt. Somit ist ein geschlossenes (Kontroll-)System der Besetzung von Herrschaftspositionen gewährleistet.
3) Eine wesentliche Rolle spielt der „Wächterrat“, der aus sechs weltlichen Juristen und sechs religiösen Rechtsgelehrten besteht, wobei die Letztgenannten – wie gerade angemerkt – vom Religionsführer ernannt werden. Die Hauptaufgaben des „Wächterrats“ bestehen zum einen darin, die vom Parlament erlassenen Gesetze bzw. schon die Gesetzesvorlagen auf ihre Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht zu überprüfen und ggf. zu annullieren sowie zum anderen darin, die Kandidaten für die Wahl zum Parlament und für die Wahl zum Präsidentenamt auf ihre islamische „Zuverlässigkeit“ zu überprüfen und auszulesen.
4) Die Auswahl durch den Wächterrat stellt sicher, dass die in allgemeinen, direkten und geheimen Wahlen für vier Jahre gewählten 290 Abgeordneten[4] des iranischen „Parlaments“ (islamischer Konsultativrat) im Sinne der islamischen Prinzipien handeln. Hinzu kommt dann noch die Überwachung der Gesetzesinhalte. Nach dem „Wächterrat“ dürfen sich auch das Staatsministerium, das Exekutivkomitee für die Wahlen sowie die Beobachterkommission für die Wahlen einmischen. „Da die Kandidaten nicht von der Bevölkerung aufgestellt werden, sondern von staatlichen Organen ‚qualifizierte‘, also diktierte Kandidaten sind, wird die Bevölkerung gezwungen, einer der Diktatur eigenen Logik bei Wahlen zu folgen“ (Wahdat-Hagh 2003, S. 269.). D.h: Die „Wahlen“ dienen im Grunde nur der formalen Scheinlegitimierung des islamistischen Herrschaftssystems.
5) Um mögliche Disbalancen zwischen dem Parlament (als Vertreter nationaler und gesellschaftlicher Interessen) und dem Wächterrat (als übergeordneter Vertreter islamischer Prinzipien) abzufangen und im Interesse der Systemstabilität einzudämmen, wurde als zusätzliches Organ der „Schlichtungsrat“ gegründet, der sich aus insgesamt 35 festen (darunter die klerikalen Mitglieder des Wächterrates) und variablen Mitgliedern zusammensetzt, die vom Religionsführer ernannt werden.
6) Auch die Wahlen zum Amt des „Staatspräsidenten“ sind im Grunde eine Farce, da von zahlreichen Bewerbern nur wenige zugelassen werden[5]. Dass es trotz dieser regimefunktionalen Selektion dennoch zu Manipulationen bei der Stimmenauszählung kommen kann, zeigt zum einen die tiefen Risse zwischen einzelnen Abteilungen und Fraktionen der staatsislamistischen Herrschaftsträger. Zum anderen zeugt die hohe emotionale „Aufladung“ der diktierten Auswahlmöglichkeiten zwischen ausgesuchten Vertretern des Regimes, die sich nur graduell voneinander unterscheiden, von einem enorm angestauten Potenzial an sozialer und politischer Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung. Dabei ist der für vier Jahre gewählte Staatspräsident im Grunde nur der „Laufbursche“ des Religionsführers, der dessen politische Absichten ohne Wenn und Aber ausführen muss und auf Gedeih und Verderb von dessen Rückendeckung abhängig ist.
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Organe des staatsislamistischen Repressionsapparats
Die politischen Kerninstanzen der staatsislamistischen Diktatur stützen sich auf einen komplexen Apparat von Repressions-, Kontroll- und Sanktionsorganen, die dem Ziel der Sicherung des islamistischen Herrschaftssystems nach innen und außen dienen und zudem die Aufgabe haben, islamistische Kräfte im Ausland anzuleiten und operativ zu unterstützen. U.a. sind hier folgende Institutionen zu nennen:
1) Die unmittelbar militärischen bzw. bewaffneten Repressionsorgane. Dazu zählen a) die reguläre Armee, welche die Unabhängigkeit und die nationalen Grenzen des Landes verteidigen soll sowie b) die als besonders regimetreu geltenden Korps der „Revolutionswächter der islamischen Revolution“ oder „Revolutionsgarden“ (Pasdaran). Ihre Aufgabe ist der Schutz der islamistischen Diktatur gegen alle aktuellen und potentielle Feinde (Gesamtheit derer, die sich der islamistischen Diktatur nicht unterwerfen wollen) sowie die einschüchternde Präsenz und Kontrolle der Bevölkerung im Sinne des sittendiktatorischen Grundimperativs des Islam, das Rechte zu gebieten und das Unrechte zu verbieten (Koran, Sure 3, Verse 104, 110 und 114). Nach Schätzungen von Forschungseinrichtungen beträgt die Zahl der Pasdaran ca. 125.000 Personen. Als dritte Säule sind c) die paramilitärischen Bassiji-Einheiten anzuführen, die von den Pasdaran kontrolliert werden und wie diese die inneren und äußeren Feinde der Gottesdiktatur bekämpfen sollen. Die ca. 200.000 Mitglieder dieser islamistischen Volksmiliz bilden ein über das ganze Land verzweigtes Netzwerk von „Widerstandszellen“, das in allen Dörfern und Städten des Landes im Sinne eines zugleich ideologischen Überwachungs- und militärischen Unterdrückungssystems den Schrecken Allahs verbreitet.
2) Die ideologischen Bespitzelungs- und Geheimdienstorgane. Dazu zählen die „Komitees der islamischen Revolution“, die beim Kampf gegen abweichendes/unislamisches Verhalten mit der städtischen Polizei und der Gendarmerie zusammenarbeiten, sowie der „Sicherheitsrat des Staates“, die beide als Abteilungen des Staatsministeriums geführt werden. Das „Ministerium für Information und Sicherheit“ (MOIS), das u.a. für Spionageabwehr, Kontrolle des Reiseverkehrs, Auslandsaufklärung und Anschlagsvorbereitung im Ausland zuständig ist, besitzt 15 Abteilungen, die zum Teil auf die Bekämpfung besonderer Feinde (linke Gruppen, Mojahedin) oder auf die Zusammenarbeit mit „gelenkten“ Organisationen wie Hamas und Hisbollah spezialisiert sind. Agenten des MOIS wird auch die Ermordung regimekritischer Schriftsteller und Politiker angelastet. Die Revolutionsgarden unterhalten darüber hinaus einen eigenen Nachrichtendienst, der sich „QODS-Streitkräfte“ (Heilige) nennt und eng mit dem MOIS zusammenarbeitet. Oberkommandierender dieser Abteilung war ab März 1998 der nun am 3. Januar 2020 durch einen US-Raketenangriff getötete Generalmajor Qasem Soleimani. In dessen Amtszeit fielen zahlreiche direkte und indirekte Gewalteinsätze der „QODS-Streitkräfte“ im Ausland. So unterstützt diese Abteilung zum Beispiel Terrororganisationen wie die Hisbollah und die Hamas. Neben der Bekämpfung von rebellischen Minderheiten im Inneren, wie zum Beispiel den Kurden, widmen sich die „Heiligen“ insbesondere dem Export des iranischen Staatsislamismus und unterhalten militärische Trainingscamps zur Ausbildung von Terroristen im Sudan und im Libanon. Ihnen werden auch „die Bombenanschläge auf die israelische Botschaft in Argentinien 1992 sowie auf das Zentrum der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires 1994 angelastet, bei denen 64 Menschen ums Leben gekommen sind“ (Wahdat-Hagh 2003, S. 311). „Die New York Times berichtete unter Berufung auf Nachrichtendienstquellen, dass die Quds-Einheit schiitischen Kräften im Irak leistungsfähige Sprengsätze (Hohlladungen) zur Verfügung gestellt hätten, die bis Februar 2007 rund 170 amerikanische Soldaten getötet hätten.“[6]
3) Die ideologischen Zensur- und Gleichschaltungsorgane. Neben den Ministerien für Bildung und Erziehung und für Kultur und höhere Bildung ist hier vor allem das Ministerium für Kultur und Islamische Führung (Bekehrung) anzuführen, dass insbesondere gemäß dem genannten islamischen Herrschaftsprinzip, das Rechte zu gebieten und das Unrechte zu verbieten, als religiöse Zensurbehörde fungiert. Zu seinen Hauptaufgaben zählt die Förderung des „Wachstums der sittlichen Tugenden“ im Sinne der diktierten Zwangsmoral des Gottesstaates, der Schutz der Gesellschaft vor „unislamischen Einflüssen“ bzw. Abwehr der kulturellen Moderne sowie die Forcierung islamischer Propaganda im In- und Ausland. In diesem Kontext ist auch antijüdische Hetzpropaganda, die Durchführung einer Konferenz von Holocaust-Leugnern in Teheran sowie Ahmadinedschads Auftritt auf der Konferenz des UNO-Menschenrechtsrates im April 2009 zu sehen.
4) Die Scharia und der Justizapparat. Die konterrevolutionäre Wiedereinführung des islamischen Rechts ist der Brennpunkt des Übergangs von der Schah-Diktatur zur staatsislamistischen Diktatur und bildet die Grundlage für den totalitären Aufbau des Gottesstaates. Im Zentrum der staatsislamistischen Systemtätigkeit steht folglich die rigorose Anwendung des islamischen Rechts (Scharia), wie es als absolut gültiges Normengefüge aus der koranischen Offenbarung und der Sunna des Propheten von den herrschenden Religionsgelehrten abgeleitet und repressiv-terroristisch überwacht und durchgesetzt wird. Dabei ist im iranischen Gottesstaat die dschaf’aritische Rechtsschule der „Zwölferschiiten“[7] maßgeblich. Nach dieser gültigen Rechtsauffassung sieht der iranische Strafrechtskatalog zum Beispiel für wiederholten unerlaubten Geschlechtsverkehr die Todesstrafe durch Steinigung vor. Je nach Geständnislage ist festgelegt, ob zunächst der religiöse Richter oder die Zeugen die ersten Steine werfen. Selbst die Größe der Steine ist festgelegt. Für Homosexualität „in der Form des Verkehrs“ ist die Todesstrafe vorgesehen, wobei die Tötungsart im Ermessen des religiösen Richters liegt. Als Strafe für das Trinken berauschender Getränke sind für Frauen und Männer 80 Peitschenhiebe vorgesehen. Bei wiederholter Rückfälligkeit droht auch hier die Todesstrafe. Oppositionelle, die sich gegen die islamistische Diktatur wenden, werden als „Kämpfer gegen Gott und Verderbensstifter auf Erden“ klassifiziert. Die Strafe für den Kampf gegen Gott und das irdische Verderbensstiften ist eine der vier folgenden: Tötung; Kreuzigung; Abschneiden zuerst der rechten Hand und dann des linken Fußes; Verbannung. Als „politische Verbrechen“ werden alle kritischen Äußerungen und Bekundungen angesehen, die sich gegen die herrschende Staatsführung richten und zur „Desorganisation der „gedanklichen Sicherheit der Gesellschaft“ führen können. Bei Abkehr und Nichtanerkennung bzw. Distanzierung vom Islam – also Abfall vom ‚rechten Glauben‘ – droht Hinrichtung oder eine lange Gefängnisstrafe. So ist ein männlicher Abtrünniger zum Tode zu verurteilen, wenn er nicht widerruft, eine weibliche Abtrünnige hingegen soll so lange gefangen gehalten werden, bis sie widerruft. Dabei wird nach einer neueren iranischen Gesetzvorlage, die vom iranischen Parlament mit großer Mehrheit gebilligt wurde, unerwünschte Neuerung, also Reform, als Ketzerei ausgelegt und unter den Glaubensabfallparagraphen subsumiert. Wer als Geistlicher für die Trennung von Staat und Religion plädiert und die Menschenrechte verteidigt, wird als Apostat behandelt. Für Beleidigung der Staatsbeamten der Gottesdiktatur sind bis zu vierundsiebzig Peitschenhiebe vorgesehen. Mit ebenso vielen Peitschenhieben müssen Frauen rechnen, die sich ohne die religionsgesetzlich vorgeschriebene Kleidung auf öffentlichen Straßen und Plätzen zeigen[8]. Im Einklang mit der Scharia gelten Jungen mit 15 Jahren und Mädchen mit neun Jahren als volljährig und damit voll straffähig. Dementsprechend weist der Iran weltweit nicht nur die höchste Rate an Hinrichtungen im Verhältnis zur Bevölkerung auf. Zudem werden im Iran weltweit am meisten Jugendliche bzw. Menschen hingerichtet, die zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Tat noch nicht volljährig waren, wie zum Beispiel 2007 zwei homosexuelle Teenager. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen ist davon auszugehen, dass sich gegenwärtig ca. 90 minderjährig zum Tode Verurteilte in den Todeszellen des Gottesstaates befinden.
Auf der Basis dieses zutiefst menschenrechtswidrigen islamischen Rechtssystems wird dann der beschriebene Unterdrückungsapparat eingesetzt, wie er sich aus solchen Teilsystemen wie der Religionspolizei, bewaffneten Sittenwächtern sowie Sicherheits- und Nachrichtendiensten zusammensetzt, die man verniedlichend als „Mullah-Stasi“ oder aber besser und genauer als Islam-Gestapo bezeichnen könnte. Die Liste von unislamischen Verhaltensweisen, auf die dieser sittenterroristische Apparat mit Verhaftung und Gewaltandrohung und Gewaltanwendung (Auspeitschen) reagiert, ist lang: Offener Kontakt von unverheirateten Männern und Frauen, unmoralische Kleidung, Popmusik und Tanzvergnügen, Besuch von Partys. Schon unter dem angeblichen Reformer Khatami war zu lesen, wie die Sittenwächter agieren: Bei leichten Auspeitschungen klemmen sie sich den Koran unter die Achsel, bei größeren Vergehen wie etwa bei Fehlen des Jungfernhäutchens schlagen sie mit dem ausgestreckten Arm.
10.01.2020
[1] „‚Wilaya‘ bedeutet im Arabischen eher Machtausübung und Vormundschaft sowie im Persischen Heiligkeit und Erhabenheit. Die Kombination beider trifft den Charakter der schiitischen Herrschergewalt, die sich von der Heiligkeit des Verborgenen Imam ableitet“ (Raddatz 2006, S. 148).
[2] Wie Schirra bemerkt, sind es solche autoritativen Gedanken, die sich heute in iranischen Schulbüchern finden und den Kindern Tag für Tag eingepflanzt werden. Zudem: Sind nicht solche Grundaussagen eines staatsgründenden Islamgelehrten allemal aufschlussreicher und schwerwiegender als das dementierende Gesäusel spezifisch trainierter muslimischer Verbandsfunktionäre und Kaderschwestern in deutschen Talkrunden?
[3] Laut der Verfassung von 1979 ist der entrückte Imam, der nach seiner Wiederkehr ein Goldenes Zeitalter einleiten soll, das offizielle Staatsoberhaupt.
[4] Diese regimetreuen 290 Abgeordneten sind zuvor aus einer Menge von manchmal über 3.000 Kandidaten ausgesiebt worden.
[5] Ein Bewerber für das Präsidentenamt muss gemäß Artikel 115 der Verfassung zunächst einmal „mindestens 30 Jahre alt und iranischer Abstammung sein, die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, fromm sein und an den Islam glauben“ (Wahdat-Hagh 2003, S. 297). Zudem muss er männlich und ein schiitischer Muslim sein und sich dazu bekennen, als Wächter der offiziellen Staatsreligion zu dienen.
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Quds-Einheit
[7] Das wesentliche Identitätsmerkmal der „Zwölferschiiten“ ist die Annahme einer Kette von zwölf rechtmäßigen Imamen, angefangen mit Ali, dem vierten Kalifen als erstem Imam und seinen Söhnen Hassan und Husayn als zweiten und dritten Imam. Nach dieser Lehre ist der zwölfte rechtmäßige Imam nicht gestorben, sondern in die Verborgenheit entrückt und wird eines Tages als ‚Mahdi‘ (Messias) zurückkehren und dann ein Goldenes Zeitalter bewirken.
[8] Vgl. hierzu ausführlich: http://www.igfm.de/Die-Wiedereinfuehrung-des-islamischen-Strafrechts-in-Iran.612.0.html.