Beschreibung
Aufgrund ihrer anhaltenden Resistenz ist die Judenfeindlichkeit mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Äußerungsformen gerade in Deutschland und Österreich nach wie vor ein relevantes Thema öffentlicher Debatten und damit auch ein wichtiger Gegenstand kritisch-wissenschaftlicher Reflexion. Dabei rücken insbesondere folgende Fragen ins Zentrum:
- Worin liegen die primären Antriebsfaktoren der Judenfeindlichkeit in der Gegenwart?
- Was sind ihre grundlegenden Quellen und sozialhistorischen Voraussetzungen bzw. Anknüpfungsmöglichkeiten?
- Welche Erscheinungsformen dominieren?
- Wer sind die Hauptträger der Judenfeindlichkeit in der Gegenwart?
- Welche Verzerrungen zeigen sich im öffentlichen Diskurs?
Im vorliegenden Band gehen die Autoren diesen Fragen mit folgenden Schwerpunktsetzungen nach:
Eric Angerer behandelt die verschiedenen Varianten des rechten Antisemitismus, so den Diskurs der klassischen antislawischen und antijüdischen Rechten, den proisraelischen Kurswechsel der neuen europäischen Rechten sowie den „muslimischen Antisemitismus“ und umreißt die gegenwärtige Strategie der globalkapitalistischen Elite, das Thema Antisemitismus ideologisch zu instrumentalisieren. Zudem zeigt er die Unterschiede der materiellen Basis des Antisemitismus im Vergleich des Westens mit den islamischen Ländern auf und weist in diesem Zusammenhang u. a. auch auf die politisch-ideologisch Symbiose von muslimischer Opferinszenierung und westlich-postmodernem Selbsthass hin. Angesichts des russischen Einmarsches in die Ukraine ist dem Text ein Postskriptum hinzugefügt worden.
Ronald Bilik zeichnet in seinem Beitrag grundlegende Aspekte des quellendogmatischen christlichen Antijudaismus nach, thematisiert das Verhältnis des postaufklärerischen Christentums zum modernen Antisemitismus und setzt sich in diesem Kontext auch mit christlich-apologetischen Versuchen auseinander, judenfeindliche Inhalte und Tendenzen zu verharmlosen. Insgesamt aber habe die Christenheit – ganz im Gegensatz zum Islam – in dieser Angelegenheit eine erfreuliche Entwicklung genommen, so dass stereotype Abwehrhinweise von islamapologetischer Seite, es gäbe ja auch eine christliche Judenfeindlichkeit, ins Leere laufen würden.
Hartmut Krauss legt im Anschluss daran zunächst den universellen Herrschaftsanspruch des Islam dar, wie er quellendogmatisch festgelegt ist und mit der antagonistischen Entgegensetzung von ‚rechtgläubigen‘ Muslimen und abgestuften Gruppen von ‚Ungläubigen‘ eine kompakte herrschaftsideologische Einheit bildet. Im nächsten Schritt wird dann die spezifische antijüdische Ungläubigenfeindlichkeit in ihrer „klassischen“ Gestalt behandelt und deren Formwandel unter den Bedingungen des Verlustes islamischer Vorherrschaft fokussiert. Dabei wird auch aufgezeigt, dass unter diesen Bedingungen und in Anbetracht der Gründung eines jüdischen Staates die „modernen“ rassistisch-judenfeindlichen Erzählungen adaptiert und in den islamischen Herrschaftsdiskurs einverleibt werden. Abschließend skizziert der Autor die Entwicklung und Präsenz der Judenfeindlichkeit im sunnitischen und schiitischen Gegenwartislam und gibt einen Überblick zur Judenfeindlichkeit als muslimischer Migrationsimport.
Den drei Texten vorangestellt ist eine sozialhistorische Skizze, die „Deutschlands gebückten Gang in die kapitalistische Moderne“ nachzeichnet und die Herausbildung des „eliminatorischen Antisemitismus“ der Nazis in das Ensemble der reaktionären Formierung der deutschen Gesellschaft bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs einordnet.