Hauptsache Haltung. Von kleinkarierten Besserwissern im Strebergarten

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Buchbesprechung:

Hans-Dieter Rieveler: Hauptsache Haltung. Von kleinkarierten Besserwissern im Strebergarten

Fiftyfifty Verlag Köln 2025 * Taschenbuch * 222 Seiten * ISBN 9783946778578 * 24,00 € (D) 24,70 € (A)

 

Aufmerksamen Medienkonsumenten kann nicht entgangen sein, dass es im Verständnis dessen, was man Journalismus nennt, eine Wende gegeben hat. Nicht mehr wahrheitsgemäße Berichterstattung wird eingefordert, sondern „Haltung“. Analytisch betrachtet bedeutet das, dass Projektionen bedeutsamer sein sollen als die vorfindliche Realität und diese Projektionen beziehen ihre Rechtfertigung aus der angesagten Moral.

Dabei kommt der Autor Hans-Dieter Rieveler zunächst ganz vordergründig zu dem Ergebnis, dass man sich Moral leisten können muss. Das wiederum führt zu der Frage, wer die Leistungsträger der angesagten Moral eigentlich sind und woher sie ihre Stärke beziehen und wir erfahren, dass Geld für die Moralelite meistens keine Rolle spielt.

Das meist linksgrüne Milieu verfügt in aller Regel über fette Bankkonten und über eine Selbstwahrnehmung, die von Zweifeln frei ist. Meist verbeamtet und im öffentlichen Dienst staatsnah verankert, hat man dort längst keine klassisch linken Forderungen mehr auf der Agenda, sondern vorzugsweise Themen wie Migration, Minderheitenschutz und Klima. Im erweiterten Umfeld von Gender-, Identitäts- und Gleichstellungsprojekten findet sich eine Vielzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten.

Das führt im Rahmen der klammen Berliner Haushaltskassen dann schon mal zu zeitgemäßen Forderungen wie einem Bürger*innen-Amt, einer Beauftragten für sexuelle Vielfalt und der Schaffung eines Queer-Zentrums. Wohl gemerkt, hier sollten eigentlich bis ins Jahr 2025 drei bis vier Milliarden an Kürzungen im Sozial- und Jugendbereich erfolgen. Es entstehen Paralleluniversen zwischen den gut betuchten Vorneverteidigern einer gewünschten neuen Lebensart und einer breiten Masse ohne Kompensationsmöglichkeiten, die zu Verweigerern des Fortschritts stilisiert werden.

Mit Hilfe einer medial inszenierten sprachlichen Dramatisierung (der Planet brennt), entsteht so die Projektion einer „Realität“ der Sonderwahrheiten, deren Akzeptanz in die vorgegebene Richtung weist und „Haltung“ einfordert. Alle kritischen Meinungen hierzu werden als Populismus oder als „rechts“ zurückgewiesen. Es geht um die Deutungshoheit über die Realität.

Ein mit Anglizismen angereichertes „Wording“ präsentiert sich als Signum für Weltoffenheit und Progressivität. Eine Diversity-Seligkeit feiert sich als neuer Internationalismus auf dem Schlachtfeld eines „Kampfes gegen rechts“ in der Medienblase zwischen Geschlechtervielfalt, Cancel-Culture und Demokratierettung.

Nicht jede Elite, die sich für intellektuell hält, ist auch eine, meint der Autor und verweist auf notorische Besserwisser vor allem aus den Reihen der Grünen und ihrem multikulturellen, multireligiösen und multigeschlechtlichen Gesellschaftsbild, in dem die Grenzen für Sagbares nach moralischen Standards gesetzt werden. Ein Neo-Biedermeier der besonderen Empfindsamkeiten wird in Szene gesetzt, um Opfergruppen zu generieren und zu inszenieren.

Ein Herrschaftswissen zu den jeweils aktuellen Ereignissen befähigt die „Eliten“ zu der Einschätzung, wer zu den angesagten Talk-Runden eher nicht einzuladen ist und welcher Wissenschaftler mit dem Verdikt von Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu belegen ist und als „umstritten“ zu gelten hat.

Es handelt sich um ein zwangsneurotisches Verhalten und der Autor zitiert den Soziologen Alexander Grau mit dem Satz: „Der Moralismus ist die Religion des sich selbst vergöttlichenden Ich´s“. In der Folge werden reale Probleme tabuisiert und alternative Realitäten geschaffen. Migrations- und Klimaforschung sind fest geframte Kategorien, innerhalb derer jeder Widerspruch der Ketzerei gleichkommt.

Die Pseudo-Linke habe sich längst von ihrem ursprünglichen Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen verabschiedet und sei in die Identitätspolitik geflüchtet. Der gesunde Menschenverstand gerate in einen Widerspruch zu den Expertisen der wissenschaftlichen Höflinge. Kritischer Rationalismus und Diskursführung folgen keinem nach oben offenen Prinzip mehr, sondern sind gefangen in der Abhängigkeit der sie tragenden moralischen Überzeugungen. Kritische Selbstreflexion gilt als Tabubruch. In den Medien dominieren solche Vertreterinnen und Vertreter der Postmoderne. Auch im übrigen Kulturbereich erfolgt eine Auswahl längst nach den Kriterien, welche die aktuelle „Zivilgesellschaft“ beschreiben. Wer sich zugehörig weiß, kann mit üppigen finanziellen Zuwendungen rechnen.

Die neuen Medienmacher*innen sind die neuen Demokratieretter via „Faktenchecker-Blog“ und grünen Kontakten. Wer echte Probleme reklamiert gilt als rechts.

Aus der Identitätspolitik ist ein ganzer Komplex von Privilegierungen geworden, sagt der Autor und verweist auf die umtriebige Suche nach Empörungsmaterial zu vermeintlich unterdrückten, vorzugsweise migrantischen Minderheiten oder Frauen.

Umgekehrt richtet sich der Focus gegen das angeblich per se privilegierte Weißsein der indigenen Bevölkerung als Urgrund anmaßender heterosexueller Dominanz im postkolonialen Habitus.

Der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung Ferda Ataman unterstellt Rieveler eine offen diskursverweigernde Haltung und nennt sie einen wesentlichen Faktor im Umfeld amtlicher Verschwörungstheorien und pseudo-religiöser Glaubenslehren des woken Zeitgeistes, was er mit einigen Beispielen untermauert. Die politische Linke habe sogar das Kapital auf ihrer Seite. Mit Amazon, Apple, Ebay, Zalando oder der Deutschen Bank mache man sich gemeinsam für Diversity stark.

Der Autor beschäftigt sich auch eingehend mit dem Feminismus und seinen Randbereichen. Der Postfeminismus habe die mimosenhafte Zartheit des weiblichen Geschlechts zur Geschäftsgrundlage gemacht, wobei sich Männer ihrer „Erbschuld“ bewusst werden müssen, die als sexuelle Aggression stets eine Bedrohung sei und Rieveler äußert den Verdacht, man wähne sich in Afghanistan.

Das linksliberale Milieu halte unverrückbar am Vorteil durch Migration fest und will keine Unterscheidungen gelten lassen. Man stützt sich vor allem auf zwei Strategien. Die eine besagt, es sei Geld im Überfluss vorhanden und die andere geht davon aus, dass echte Probleme gar nicht existieren und rassistisch untermauert seien. Eine begünstigend-beschönigende Wortwahl (Geflüchtete/Schutzsuchende) wird angewandt, um den Begriff Migranten zu vermeiden, der ein schlechtes Image habe. Der Leitfaden für Mitarbeiter der Berliner Verwaltung soll Vielfalt sichtbar werden lassen. Der Begriff Armutsmigration soll keine Verwendung finden. Es wird empfohlen, den Begriff „Menschen mit internationaler Geschichte“ zu verwenden. Muslime gehören grundsätzlich zu den schützenswerten Opfergruppen. Es gilt das Prinzip: Wegschauen, Vertuschen und Political Correctness.

Der Fremde erscheint als der grundsätzlich bessere Mensch, so lange er in seiner Welt gefangen bleibt. Sobald er westliche Vorstellungen übernimmt, verliert er seinen Opferstatus. Der Autor verweist auf den Fakt, dass es im Wettbewerb der Opfergruppen auch Verlierer im Umfeld des Globalismus gibt, was für die Pseudo-Linke allerdings nicht von Interesse ist. So ist die moralgetriebene Elite in vielerlei Hinsicht ein Profiteur von Ausbeutung im eigenen Land und meist wurden sie bereits in wohlhabende Familien geboren.

Stigmatisierung und Diskriminierung erfolge sichtbar im sozialen Umfeld und trage Schuld an der Vergeudung von intellektuellem Potenzial. Unterschichtenkinder haben keine Lobby und für die Medien sei echte Leistung offenbar auch kein Thema, meint der Autor.

Der Linksliberalismus treibt seltsame Blüten vom weißen Mann, der den Fortschritt blockiert, von hoch gebildeten Migranten, ungerechter Frauenbehandlung, toxischer Männlichkeit und identitätspolitischer Logik. Das geistert auch durch die Bildungsdebatte und erzeugt das aktuelle Moralbewusstsein der vermeintlichen Bildungselite und ihren Gleichstellungsbeauftragten.

Spitzenpositionen in der Wirtschaft werden nach dem „Nasenfaktor“ vergeben und zunehmend auch nach Frauenquoten.

Eine Gesellschaft von Opfern braucht auch Täter.

Wo sich Kämpfe in Ritualen erschöpfen und zuvor verlässliche sprachliche Kategorien zu Geschwätz werden, sinkt die Möglichkeit eines Diskurses, sowie klarer Zuweisung von Kritik.

Der „Kampf gegen rechts“ als Allzweckwaffe gegen jede Form auch berechtigter Kritik, ersetzt nicht den Kampf für eine gerechte Gesellschaft und ist auch kein Ausdruck identitätspolitischer Praxis. Die neulinke Erklärung vom kommenden Paradies einer diskriminierungsfreien Gesellschaft, ist, so der Autor, eine Geschichte aus dem Paulanergarten.

Eine sehr empfehlenswerte Lektüre, vor allem durch die hier deutlich werdende Entheiligung der (Pseudo-)Linken.

Michael Mansion

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