Und Gott schuf die Angst. Ein Psychogramm der arabischen Seele

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Buchbesprechung

Burkhard Hofmann

Und Gott schuf die Angst. Ein Psychogramm der arabischen Seele

Droemer Verlag München 2018  *  288 Seiten  *  Klappenbroschur  *  ISBN: 978-3-426-27756-0  *  19,99 Euro

 

Einleitung: Umrisse der golfarabischen Wohlstandsdespotien

Die arabische Halbinsel mit Saudi-Arabien als größtem Flächenstaat bildet zum einen als Heimat des Propheten Mohammed und Land der Offenbarung sowie der heiligen Stätten Mekka und Medina den geographisch-sakralen Mittelpunkt der muslimischen Welt. Zum anderen fungieren Saudi-Arabien und die kleineren Monarchien Bahrain, Kuwait, Katar, Oman sowie die Vereinigten Arabischen Emirate aufgrund ihrer Erdöl- und Erdgasreserven als das herausragende materielle Reichtumszentrum der islamischen Herrschaftsregion.

In politischer Hinsicht handelt es sich bekanntlich um extrem reaktionäre und repressive Regime mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen auf allen Ebenen, wobei der Islam in seiner regionalspezifisch zugespitzten Form des Wahabismus als totalitäre Leitideologie wirkt[1]. Diese bestimmt sowohl das Konzept religiös normierter Lebensführung und legitimiert gleichzeitig die bestehenden Herrschaftsstrukturen. So heißt es in Artikel 6 des saudi-arabischen „Grundgesetzes der Herrschaft“: „Die Bürger bekunden dem König auf der Grundlage des Buches Allahs, des Erhabenen, und der Sunna seines Propheten sowie dem Prinzip ‚Ich höre und gehorche, im Guten wie im Bösen, in Armut wie im Wohlstand‘ die Treue“[2]. Als Herrscher eines Landes mit einer absoluten Erbmonarchie islamischer Prägung als Staatsform, ist der König zugleich weltliches (Staatschef), geistliches (Imam) und Stammesoberhaupt („Scheich der Scheichs“).

Die Artikel 23, 45, 46 und 48 verordnen die Unterwerfung des Staates, der Rechtsetzung, der Richterschaft und der Gerichte unter die Scharia. Auch die gesamte Erziehungs- und Bildungskultur des Landes ist ausschließlich ‚monoislamisch‘ geprägt. „Ziel der Bildung ist es, den islamischen Glauben in die Seele der jungen Generation zu pflanzen (…)“ (Artikel 13 des Grundgesetzes der Herrschaft)[3].

Unter Berufung auf die Scharia wird in Saudi-Arabien die Todesstrafe für folgende Delikte verhängt: Mord, Vergewaltigung, bewaffneter Raubüberfall, Hochverrat, Drogenhandel, Ehebruch, Glaubensabfall, Entführung, Gotteslästerung und Hexerei. Die übliche Hinrichtungsart ist die Enthauptung durch das Schwert auf einem öffentlichen Platz.

Nach einem 2014 eingeführten Anti-Terrorgesetz wird Atheismus mit Terrorismus gleichgesetzt. Terrorismus sei „Atheismus in jeder Form und das In-Frage-Stellen der Grundlagen der islamischen Religion, auf denen das Land basiert.“ Allein die Unterstützung von „Ungläubigen“ kann Konsequenzen bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen[4].

Als unmittelbar über die gewaltige Ölrendite verfügende Herrschaftsgruppen sind die autokratischen Oligarchien in der Lage, die staatlichen Einnahmen je nach politischem Machtkalkül zu verteilen, d.h. die Bürger willkürlich zu alimentieren, anstatt ihnen finanzielle Lasten aufzubürden. Während im westlichen Modell des modernen Steuerstaates die aktiven Wirtschaftsbürger (Selbständige, Lohn- und Gehaltsempfänger) durch Abgaben von ihren Einkommen den Staatshaushalt alimentieren und dafür im Gegenzug durch ‚freie Wahlen‘ das staats- und regierungspolitische Geschehen (einschließlich der öffentlichen Haushaltspolitik) indirekt beeinflussen können (Steuern gegen Partizipation), basiert das Modell des autokratischen Rentierstaats auf dem Tausch von Alimentierung ‚von oben‘ gegen Loyalität/Gehorsam ‚von unten‘.

Zu beachten ist aber, dass dieser unproduktive Erwerb von Reichtum und dessen Verteilung über ein paternalistisches System entscheidend zur ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Stagnation beiträgt. So werden seit den 1960er Jahren lästige und nicht gut angesehene Tätigkeiten auf ausländische Arbeitskräfte abgewälzt und obendrein ausländische Experten ins Land geholt, anstatt eine inländische Wissenskultur aufzubauen und das selbst produzierte Wissen effektiv in ökonomischen Tätigkeiten anzuwenden. Das 2006 verkündete „Saudisierungsprogramm“ mit dem Ziel, mehr Einheimische in der Privatwirtschaft unterzubringen, funktioniert bislang nicht. Grund: Die saudischen Arbeitskräfte sind zu teuer und infolge der übermäßigen religiösen Unterrichtsinhalte zu schlecht ausgebildet. Zudem ist es zum Beispiel verpönt, als saudischer Taxifahrer für andere Saudis zu arbeiten.

Zahlreiche ausländische Beschäftigte (aus Pakistan, Indien, Bangladesch, den Philippinen, Indonesien, Sri Lanka oder auch afrikanischen Ländern wie Sudan, Äthiopien, Kenia, Somalia etc.) fristen ihre Existenz wiederum unter Bedingungen einer sklavereiartigen unfreiwilligen Knechtschaft. Ursache hierfür ist der Umstand, dass fast alle angeworbenen Arbeitsmigranten ihre Einreise vom Arbeitgeber vorfinanziert bekommen und damit schon vor der Arbeitsaufnahme in eine Schuldenabhängigkeit geraten. Der Arbeitgeber besorgt zudem die Arbeitserlaubnis, behält den Reisepass des Lohnarbeiters ein und legt den Lohn einseitig so fest, dass eine möglichst lange Zeitspanne für die Rückzahlung der vorgeschossenen Reisekostenübernahme sowie für willkürlich festgelegte Unterkunftskosten konstruiert wird. D.h. der Status der Arbeitskräfte gleicht in vielen Fällen weniger dem Status des „doppelt freien Lohnarbeiters“ als vielmehr dem Status des persönlich abhängigen Lohnsklaven, der den Ort, an dem er arbeitet, unter Androhung einer Gefängnisstrafe nicht verlassen darf. Diese Eigenschaftszuschreibung gilt insbesondere auch für die Masse der weiblichen Haushaltshilfen, die von der Familie des Arbeitgebers oft hemmungslos ausgenutzt und manchmal auch sexuell missbraucht werden[5].

Psychogramm der arabischen Seele

Vor diesem Hintergrund stellt sich nun unter anderen die wesentliche Frage, welche Auswirkungen das Leben unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen einer streng religiös normierten Wohlstandsdespotie auf die psychische Konstitution ihrer Untertanen hat. Eine annähernde Antwort darauf gibt der Hamburger Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Burkhard Hofmann, mit seinem Buch „Und Gott schuf die Angst. Ein Psychogramm der arabischen Seele“. Über private Beziehungen bekam Hofmann Kontakt zur arabischen Welt, der ihm schließlich Einladungen an den Persischen Golf einbrachte, und er daraufhin seit zehn Jahren regelmäßig Patienten in Bahrain und Abu Dhabi behandelt, wo ähnliche Verhältnisse wie in Saudi-Arabien vorherrschen.

Hofmann, der sich als kryptokatholischer Agnostiker bezeichnet, benennt folgende verallgemeinernden Erfahrungen im Umgang mit seinen golfarabischen Patientinnen und Patienten: Hervorstechend sei die Uniformität im Erscheinungsbild der Symptome (was auf eine strukturelle Gleichförmigkeit der Lebensführungskonstellationen sowie auf nichtpluralistische/monokratische Deutungsangebote schließen lässt). „Alle arabischen Patienten vereint die Schlaflosigkeit“ (S. 280). Prägende Erfahrung sei zudem die mentale Fremdheit/Gegensätzlichkeit zwischen ihm und den Patienten gewesen, was Hofmann mit dem „Grundgefühl vor einer Wand zu stehen“ beschreibt

Insgesamt betrachtet vermitteln Hofmanns anhand von Therapieerfahrungen gewonnenen Einsichten einen dichten Eindruck über die fatale widersprüchliche Bewegungsdynamik, wie die islamisch codierten Herrschaftsverhältnisse in den Golfstaaten zum einen psychische Problemlagen massenhaft generieren und zum anderen der dort vorherrschende Islam wahabitischer Prägung sich immer wieder als alleiniges Lösungsmittel und Orientierungsinstanz für psychische Verarbeitungsprozesse anbietet und aufdrängt, so dass ein stagnativ-regressiver Kreislauf entsteht.

Bindung an das autoritäre Kollektiv

So ist ein wesentliches Bestimmungsmerkmal der arabisch-islamisch-patriarchalischen Normen- und Werteordnung der herausragende unantastbare Stellenwert der autoritär-hierarchisch organisierten Großfamilie, der gegenüber ein Trennungsverbot gilt. Die Verpflichtung zu ewiger Treue gegenüber der Familie und dem in ihr tradierten islamischen Normenkodex ist für das Individuum allmächtig.-Unter keinen Umständen darf die Verbindung gekappt werden. „Dieses Festkleben ist das Paradigma der gesamten Kultur“ (S. 17). Von den Eltern über die Familie zieht sich der rote Faden bis hin zum Staat und zum Islam. Der Autor verweist in diesem Kontext auf die herausgehobene Stellung der Mutter, die nach einem Hadith („Das Paradies liegt zu Füßen der Mutter“) als Garantin des Seelenheils und des Zugangs zum Paradies fungiert. Die Mutter ist deshalb sakrosankt, all ihre Mängel werden heruntergespielt und abgewiegelt. Denn hinter dem eingestandenen Zerwürfnis mit der Mutter begänne eine nicht auszuhaltende Einsamkeit/Verlassenheit.

Der ontologische Widerspruch zwischen Abhängigkeit und Autonomie/Selbständigkeit, den jedes individuelle Subjekt erlebt, wird kulturell gegensätzlich verarbeitet. In der posttraditionalen westlichen Kultur sind Separation (Lösung von den Eltern bzw. der Familie), Individuation und Unabhängigkeit ein selbstverständlicher Teil des kulturellen Programms der Erziehung/Sozialisation. Im Gegensatz dazu wird in der islamisch-orientalischen Herrschaftskultur der Pol der Autonomie/Selbständigkeit normativ weitestgehend eliminiert und stattdessen eine Fixierung auf die (Groß-)Familie sozialisatorisch eingeimpft. Der familiäre Zusammenhalt gilt als unantastbarer Gral. „Das Sich-Entfernen von der Herde ist unerwünscht und mit erheblichen Schuldgefühlen verbunden.“ (S. 24) Im Endeffekt bilden der islamische Glaube und die hierarchisch strukturierte Umma (mit dem absoluten Monarchen an der Spitze) den unantastbaren Mittelpunkt bzw. das „heilige Ganze“.

Das Nanny-Syndrom

Im strikten Gegensatz zu diesem arabisch-islamischen Leitwert der autoritären Kollektivbindung steht nun aber die tendenzielle emotionale Bindungsschwäche aufgrund der Ausdünnung der Eltern-Kind-Beziehungen. Verantwortlich hierfür ist die Herausbildung und Ausbreitung des „Nanny-Systems“, d.h. die seit den 1960er Jahren gegebene und massenhaft realisierte materielle Möglichkeit innerhalb der reichen arabischen Mittel- und Oberschicht, die Aufzucht und Pflege der Kinder bereits unmittelbar nach der Geburt an das weibliche Dienstpersonal zu delegieren. Die Nanny übernimmt bereits in den ersten Lebensmonaten an Stelle der leiblichen Mutter die anstrengende Kinderpflege (Wickeln, Waschen, Füttern) und fungiert als unmittelbare Kontaktperson. Bei diesem „Outsourcing der Mütter“ ist auch zu beachten, „dass Nannys selbst Mütter kleiner Kinder oder gar Säuglinge sind, die sie bei ihren Verwandten in der Heimat für unerträglich lange Zeit zurücklassen müssen.“ (S. 46). Aus dieser emotionalen Spannungslage der Nannys ergibt sich, dass die arabischen Kinder mit mehr oder minder depressiv-unlebendigen Beziehungspersonen interagieren. Auf jeden Fall können die Nannys dem Kleinkind naturgemäß nicht die emotionale Zuwendung sowie die einheitlichen Körper- und Beziehungserfahrungen bieten, die zu einer sicheren emotionalen Besetzung der Körperlichkeit als Grundlage für die Entstehung eines differenzierten Seelenlebens führen. In diesem Zusammenhang hält der Autor auch die Vollverschleierung in Form von Nikab oder Burka für die Kinder von Müttern mit dieser Vermummung für ein Übel. Denn auf diese Weise verlieren die Kinder in der Öffentlichkeit jeden Gesichtskontakt und jegliche emotionale Spiegelung mit der Mutter. Auch hier sind sie dann auf die unverschleierten Nannys verwiesen, während die Mütter unverfügbar bleiben.

Im Endeffekt resultiert daraus ein gravierendes emotionales Bindungsleck zwischen Kind und leiblichen Eltern mit erheblichen psychischen Spätfolgen, wie die von Hofmann hier nicht diskutierbaren Einzelfallschilderungen zeigen. „Durch die defizitären Beziehungserfahrungen kann sich bei den Kindern nur ein unvollständiges Gefühl eines Selbst bilden“ (S. 48). Das weitgehende Fehlen der primären „Bemutterung“ bzw. „Beeltertung“ („parenting“) führt auf Seiten des Subjekts (der Generation der jetzt zwanzig- bis vierzigjährigen Golfaraber) zu einem Mangel an sicherer emotionaler Bindung und zu einem schwachen Selbst mit der Folge fehlender Belastbarkeit. Dadurch wird der Grundstein gelegt für Ich-Schwäche bzw. für eine kulturspezifische Form der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die sich in hypersensibler Verletzbarkeit/Kränkung und/oder in einem permanenten Verlangen nach Bestätigung der eigenen Großartigkeit manifestiert. Der Autor unterscheidet hier zwischen a) einer Vorwärtsvariante: der/die nach außen aufgeblasene, überheblich-unerträgliche Egozentriker(in) und b) einer Rückwärtsvariante: der/die von Selbstwertzweifeln zerfressene und von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Einzelne, der/die sich tendenziell selbst hasst. In beiden Fällen dominiert die Angst vor dem Alleinsein, weil man ständig die Bestätigung seiner selbst durch die Umwelt benötigt. Auf dieser Grundlage entsteht der intensive Gebrauch von Psychopharmaka zwecks Linderung von Angstattacken/Panikstörungen, die das Wiederauftauchen des Verdrängten anzeigen. Scheitert zum Beispiel die erste Liebe, wird auf das Urtrauma verpasster Elternliebe zurückgestoßen, und es entstehen toxische Selbstzweifel: Der Patient kann vor dem inneren Richter nicht mehr bestehen, und sein Selbstwertgefühl bricht oft – subjektiv unerklärlich – zusammen. Das ist die Stunde der narzisstischen Depression mit der Angst als Leitsymptom.

Polygamie als pathogener Faktor

Ein weiterer wesentlicher Faktor, der die emotionalen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern nachhaltig belastet, sind die Folgen der in Arabien nach wie vor weit verbreiteten Polygamie. Dabei wird die Zweitfrau zumeist heimlich geheiratet und die Erstfamilie vor vollendete Tatsachen gestellt. Einerseits durch das Modell Mohammed als unantastbare Norm festgeschrieben, erweist sich die Polygamie als Grundlage intensiver psychopathogener Belastungen: „Das Hin- und Hereilen des Ehemanns nicht nur zwischen neuen und alten Kindern, sondern auch zwischen Alt- und Neufrau bereitet allen Beteiligten psychische Probleme“ (S. 185). Dabei können aber die emotionalen Reaktionen wie Kränkung, Wut, Neid, Hass, Scham, Trauer, Zorn, Verzweiflung etc. aufgrund der normativen Legitimität des polygamen Verhaltens der Männer/Väter keinen adäquaten Ausdruck finden und bleiben somit in den Seelen der Betroffenen stecken. Zurück bleibt deshalb ein unausdrückbarer pathogener Aggressionsstau, wie Hofmann in einigen Fallbeschreibungen zeigt. „Mich beeindruckte immer wieder, wie meine Patienten auf meine Nachfrage nach ihren darüber noch vorhandenen Gefühlsregungen sofort seelisch in schwere See gerieten. Als wenn es erst gestern passiert sei, fingen sie je nach Temperament an zu weinen oder vor Wut zu schreien. Wie konnte der Vater so einen Verrat begehen und wie konnte ‚der heiligen Eide höchster Hüter‘ dies zulassen“ (S. 185f.).

Die subjektive Funktion des Islam als psychische „Halte-Struktur“

Hofmann fokussiert drei zentrale Antriebe der menschlichen Psyche: nach sozialem Kontakt, nach stimulierenden Reizen und nach einer Halt gebenden Struktur. Erst das Vorhandensein der Letzteren ermöglicht eine ordnende, subjektiv befriedigende Gestaltung der individuellen Lebensführung. Je schwächer, unklarer und ambivalenter die emotionalen Kontakterfahrungen und Bindungen sind, desto größer das kompensatorische Verlangen nach Reizen sowie nach einer Orientierung und Halt gebenden äußeren Struktur. Findet sich die Strukturlosigkeit, d.h. die Inkompetenz der Verknüpfung von Sinn und Bedeutung sowie der ordnenden zeitlogischen Hierarchisierung der Bedürfnisse, auch bei wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen in westlichen Gesellschaften, so ist für die golfarabische Region eine kulturspezifische Variante der „Überstukturierung“ feststellbar, die sich durch penible Einhaltung fremdgesetzter religiöser/islamischer Regeln und Vorschriften aufbaut. Die allgegenwärtige Dominanz islamischer Bedeutungen (Aussagen, Normen, Aufforderungen, Anweisungen etc.) wird in einen psychischen Halteapparat umgewandelt, um den Preis, dass die Lebendigkeit und Spontaneität in der Lebenstätigkeit stranguliert wird und es zu einer letztlich sinnlosen Selbstunterdrückung kommt.

Die Unterwerfung unter die überwertige Idee Allahs, die zu einer inneren Diktatur führt, die vom Ich nicht eingestanden werden darf, schadet dem Gesamtorganismus tendenziell bzw. steht ihm feindlich gegenüber. Der durch „Gläubigkeit“ erzielte Sinn wird mit verdrängter Selbstunterdrückung bezahlt. „Wie bei mancher Zwanghaftigkeit stehen auch hier die alte Kontaktarmut in der Kindheit und die kompensatorische Überstrukturierung dahinter. Das Loslassen von diesem Korsett der Struktur würde sofort Angst auslösen und wird schon deshalb vermieden. Viele Aspekte der arabischen Kultur können meiner Ansicht nach durch dieses Konzept verstanden werden“( S. 68).

Die im Kontext der islamischen Sozialisation angelegte Tendenz zur Überstrukturierung beginnt mit der Einführung in den Islam im Rahmen der gemeinsamen Moscheebesuche mit dem Vater (ab dem 4./5. Lebensjahr). Allerdings, so Hofmann, bietet der Vater sich nicht als emotional wesentlicher Beziehungspartner an, sondern verweist auf Allah und Mohammed und zieht sich nach kurzzeitiger Hinwendung wieder zurück. „Hat das Kind erst einmal verstanden, dass hinter dem großen Vater eine noch viel größere und mächtigere Gestalt wartet, kann mit der religiösen Gehirnwäsche frühzeitig begonnen werden. … Die Väter delegieren so ihren Part zum Teil auf das Göttliche, und damit bleibt beim Kind der Wunsch nach Nähe für den Rest des Lebens dort, bei diesem Göttlichen verhaftet“ (S. 49).

Der Autor sieht auch, dass mit dem kompensatorischen „Überstrukturierungssystem“ – ganz im Sinne des orthodoxen Islam (=Hingabe an Allah) – die eigene Schöpferkraft lahmgelegt wird. Daraus erklären sich die gestalterische Lähmung des Einzelnen sowie die wissenschaftliche und intellektuelle Unproduktivität der ganzen islamischen Herrschaftsregion, wobei auch zu beachten ist, dass die islamische Religionsausübung/Ritenbefolgung als „Zeit- und Energiefresser“ wirkt.

Hervorzuheben ist zudem, dass Hofmann – abgesehen von einer Ausnahme – bei seinen arabischen Patienten die Verstrickung der Überstrukturierung in religiös-islamische Bedeutungen (Dogmen, Regeln, Vorschriften etc.) nicht thematisieren konnte. „Zu sehr reflektierte die glühende Verehrung für ‚unseren Islam‘ das Bedürfnis nach Schutz und Struktur. Und in der Inbrunst, mit der dies geschah, spiegelte sich die Sehnsucht eines kleinen Kindes nach liebenden Eltern“ (S. 73). Kritische Reflexion und Distanz gegenüber dem islamischen Glaubenssystem sind in Arabien nicht vorgesehen, würde das doch die gesamte soziokulturelle und individuelle Haltestruktur zerstören. Das gilt auch für das islamisch legitimierte feudal-autoritäre Herrschaftssystem. „Die Rückständigkeit der ganzen Region entsteht durch dieses System sich gegenseitig unterhaltender Uniformität, die allen kreativen Geist des Hinterfragens und Aufbegehrens erstickt“ (S. 85). Wer das Prinzip „Unser Islam – das Höchste“ öffentlich anprangert oder nur relativiert, wird brutal ausgeschlossen und sanktioniert. Die Resistenz der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse findet somit letztlich in der subjektiven Verpanzerung der Halte-Struktur ihre psychische Entsprechung.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Hofmann das Riesenmaß an Glaubenspräsenz bei den islamisch-arabischen Patienten betont, die ständig aus dem Koran und den Hadithen zitieren und sich hinter diesen Dogmen in „selbstentsubjektivierender“ Weise verschanzen bzw. eine fremdbestimmt übernommene Position massiv verteidigen. Das arabisch-islamische „Ich“ ist quasi festgeklammert bzw. eingekapselt in die Struktur der verinnerlichten islamisch-normativen Vorgaben. Jeder Zweifel, der die entfremdete glaubenskonforme Ausrichtung des Psychischen labilisieren, aber auch für eine Neuausrichtung öffnen könnte, wird massiv abgewehrt.

Narzisstische Störung und islamischer Überlegenheitsanspruch: Eine zentrale psycho-ideologische Synthese

Da sich aufgrund der frühkindlichen emotionalen Bindungsschwäche (keine adäquate Kontakthäufigkeit und -qualität zu den Eltern/Nanny-Syndrom) oftmals nur ein schwaches Selbst gebildet hat, führt dieser Umstand in späteren Entwicklungsetappen zu einer schwerwiegenden Selbstwertproblematik, d.h. zu einem Gefühl der beschämenden Unzulänglichkeit der eigenen Person. Um dieses innerlich gebrochene Selbstbewusstsein nach außen zu kaschieren, wird dann eine Abwehrformation des sich äußerlich brillant und unfehlbar Darstellens aufgebaut, d.h. man überkompensiert die Ich-Schwäche durch ausgeprägte Selbstgerechtigkeit und hochmütige Überlegenheit. Hofmann vermutet daher, dass es sich bei der aggressiv-herablassenden Art, mit der in Arabien die Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit propagiert wird, um einen häufig nur schlecht kaschierten Kompensationsversuch der eigenen Unzulänglichkeitsgefühle handelt. Nahe liegt auf jeden Fall der hohe subjektfunktionale Stellenwert der islamischen Weltanschauungslehre, die mit ihrer expliziten Herrschafts- und Überlegenheitsbeflissenheit der Einebnung aller Selbstwertdefizite dienlich ist[6]. „Der hohe Status der Religion, die ständig wiederholte Betonung der Weisheit und Schönheit des Korans, die verliebte Inbrunst im Umgang mit dem Propheten helfen, alle Selbstwertdefizite einzuebnen. Man wird Teil eines unfehlbaren, perfekten Systems. Alles ist gut, aber nur solange man glaubt“ (S. 216).

Die orthodox-dogmatische Unterbindung von Auslegungswillkür der heiligen Texte findet subjektseitig ihre Entsprechung im unbedingten psychischen Festhaltenwollen an der islamischen Halte-Struktur. So betreffen die koranisch-islamischen Interpretationsdifferenzen nicht das dem Zweifel entzogene Grundsätzliche. „Die Göttlichkeit des Korans, der Kern des Glaubens, darf nicht hinterfragt werden. Der Koran ist nicht menschengeschaffen“ (S. 128). Eine wissenschaftliche, historisch-kritische Analyse wird von den streng Gläubigen folglich als gotteslästerlich verpönt. (Und die streng Gläubigen stellen die Mehrheit!) Dementsprechend darf eine Frage nach der Gültigkeit des Islams erst gar nicht aufkommen. „Wann immer ich darauf hinwies“, so Hofmann (ebd.), „dass der Koran  doch letztlich menschengemacht sei, schlug mir harsche Ablehnung von Seiten der Gläubigen entgegen.“ Das arabische islamgläubige Subjekt folgt letztlich dem Befehl der da’wa (dem missionierenden Ruf zum Islam) und kennt keinen wechselseitig tolerierenden bzw. symmetrisch respektierenden Dialog auf Augenhöhe.

Am Beispiel einer Erfahrung in Bahrain mit dem Salafisten Zakir Naik, Besitzer des größten muslimischen Fernsehnetzwerks (peace TV) weltweit und Träger des Internationalen König-Faisal-Preises, zeigt Hofmann auf, dass es gegenüber streng gläubigen Muslimen nichts nutzt, verständigungs- und kompromissbereit zu sein, da dieses Entgegenkommen nur als ausbeutbare Schwäche gedeutet wird.

An der überlegenen Gültigkeit der Gesetze Allahs darf letztlich nicht gezweifelt werden. „Insofern kann die Vorstellung, dass bei uns das Grundgesetz gilt und nicht Gottes Wort, bei einem gläubigen Muslim dieser Couleur nur Kopfschütteln hervorrufen. Er darf diese Säkularisierung des Denkens gar nicht vollziehen, dann wäre das Ganze gefährdet. So ist die Vorstellung eines Euro-Islam für meine arabischen Patienten lächerlich oder bestenfalls abwegig. Ein bisschen Unterwerfung geht genauso wenig wie ein bisschen schwanger“ (S. 267f.).

In seinen abschließenden Ausführungen „Wie umgehen mit den Fremden?“ geht Hofmann dann auch auf die Probleme des Umgangs mit islamischen Flüchtlingen ein. Er benennt die Spannung zwischen religiösen Überlegenheitswünschen und hilfsbedürftiger Unterlegenheit, die für jeden Flüchtling schwer auszuhalten sei. Dieser müsse sich aber zwecks Unterstützung und Assimilation für Letzteres entscheiden. Dafür wäre es erforderlich, den substanzlosen Stolz sowie das kontrafaktische Überlegenheitsgefühl fallenzulassen und die selbstgerechte und verschwörungsideologische Beschuldigung des Westens aufzugeben. Die Einnahme des Opferstatus impliziere letztlich eine unwürdige Ohnmachtshaltung.

Andererseits betont Hofmann zu recht, dass der Islam sich nicht auf ein privatreligiöses Teilsystem zurückschneiden lässt, von Beginn an den öffentlichen Raum erobern wollte und der säkularen Lebensordnung nicht nur objektiv diametral entgegensteht, sondern diese subjektiv, also in der Sicht der Gläubigen, zutiefst verachtet. „Aus dieser Perspektive betrachtet (und es ist die einzig vernünftige! H.K.) gehört der Islam eben nicht zu Deutschland. (…) Das Verleugnen des Trennenden hilft nicht weiter bei der Wirklichkeitsbewältigung“ (S. 283).

Gegenüber willkommenskulturellen Schönrednern ist grundsätzlich festzuhalten: Falsche, weil „den Anderen“ in seiner feindselig-gegenläufigen Grundkonstitution verkennende Toleranz stößt im Fall der Islamgläubigen auf ein herrschaftsbeflissenes und dogmatisch verhärtetes Überlegenheitsgefühl, das unverzichtbarer Bestandteil des Islams ist.

Abschließend plädiert der Autor für einen toleranten und wertschätzenden Umgang mit dem Atheismus, der jedoch in Arabien geradezu verteufelt wird. Ist doch der Atheismus mit seiner Erklärung aller religiösen Glaubensinhalte zu gesellschaftlichen Übereinkünften, die sich rationaler Begründbarkeit entziehen, die entscheidende Waffe, die alle Religionen relativiert. So ist im Westen durch „Entverabsolutierung“ des Religiösen ein sozialer Raum entstanden, in dem Gläubige und Ungläubige friedlich miteinander leben können. „Wir sollten, so Hofmann, diese Haltung aktiv einfordern und als unsere Überlegenheit preisen“ (S. 284). Wird dieser Lebensordnung von Immigranten aller Statusgruppen der Respekt versagt und eine Anpassung verweigert, bleibt nur die Trennung.

Bei aller Wertschätzung des Buches, dessen Lektüre ich nur sehr empfehlen kann und aus dem ich hier nur einige m.E. wesentliche Aspekte dargelegt habe, möchte ich dennoch folgende kritischen Anmerkungen machen:

  1. Ausgeblendet bleiben bei Hofmann die hohen sozialen Kosten sowie die überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsrate der muslimischen Zuwanderer, die von ihm wie in den Mainstreammedien primär nur als „Hilfsbedürftige“ in Szene gesetzt werden.
  2. Zu kritisieren ist eine zu schwache Darstellung der arabisch-islamischen Herrschaftskultur als über lange geschichtliche Perioden dominierendes imperialistisch-sklavistisches System mit stark rassistischen Zügen. (Zwangsläufiger Ausfluss des islamisch-djihadistischen Weltherrschaftsanspruchs). Wer diesen vorkapitalistischen islamischen Imperialismus und Kolonialismus unterschlägt und stattdessen immer nur die islamische Herrschaftsregion als Opfer des Westens inszeniert, gerät in falsches politisch-ideologisches Fahrwasser.
  3. Nicht thematisiert wird leider die pathologisch-masochistische Islamophilie bestimmter säkular-religiöser (postmoderner) Strömungen im Westen.
  4. Besonders fehlt mir aber die Empathie für die kognitiven und emotionalen Abwehrreaktionen westlicher „Ungläubiger“, die nur in relativ seltenen Fällen rassistischen Motiven gegenüber der islamischen Herrenmenschenideologie entspringen, sondern ganz im Gegenteil rational gut unterlegt sind.

Hartmut Krauss, März 2019

[1] Der Wahabismus, der auf Muhammad ibn Abd al-Wahab (1703/04-1792) zurückgeht, lehrt eine strikt puristische Rückkehr zum Ursprungsislam, folgt weitgehend der sunnitisch-hanbalitischen Rechtsschule und fungiert seit 1932 als Legitimationsideologie der Saud-Monarchie. Zum Wahabismus vgl. Hartmut Krauss: Islam, Islamismus, muslimische Gegengesellschaft, Osnabrück 2008, S.142-144.

[2] Brandes, Jörg-Dieter: … mit Säbel und Koran. Der Aufstieg der Königsfamilie Saud und der Wahabiten, Stuttgart 1999, S. 270.

[3] Wie Fußnote zuvor.

[4] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/04/04/saudi-arabien-erklaert-atheisten-zu-terroristen/

[5] https://www.mena-watch.com/bangladeschische-dienstmaedchen-fliehen-aus-saudi-arabien/

[6] Sehr klar kommt der islamische Herrschafts-, Überlegenheits- und Führungsanspruch zum Beispiel in Sure 3, Vers 110 des Korans zum Ausdruck:
„Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen erstand. Ihr heißet, was Rechtens ist, und ihr verbietet das Unrechte und glaubet an Allah“. Folgerichtig akzeptiert das islamische Glaubensbekenntnis auch keine interkulturelle Gleichberechtigung, sondern enthält die Forderung nach Unterordnung/Unterwerfung der Anders- und Nichtgläubigen.

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