Verteidiger westlicher Toleranz – Islamkritischer Volksheld Pim Fortuyn

 In Spätkapitalistische Systementwicklung

Am 6. Mai 2002 wurde der niederländische Politiker Pim Fortuyn wenige Tage vor den Parlamentswahlen ermordet. Umfragen zufolge wäre er als klarer Sieger aus diesen Wahlen hervorgegangen. Seit Lebenswerk, maßgeblich gekennzeichnet durch seine Kritik am Islam und seine Ablehnung des Multikulturalismus, prägt in den Niederlanden Politik und Gesellschaft bis heute nachhaltig. Wie tolerant darf eine offene Gesellschaft gegenüber Parallelgesellschaften sein, die ihrerseits gegen progressive Werte verstoßen und Sexismus und Homophobie predigen? Die von Fortuyn aufgedeckten Widersprüche des Linksliberalismus haben sich traditionelle linke und liberale niederländische Parteien längst viel ehrlicher eingestanden als ihre deutschen Pendants.

Aufgrund ihrer Kolonialgeschichte sind die Niederlande schon lange vor Deutschland das Ziel massenhafter muslimischer Immigration gewesen. Seit jeher legen die Niederländer viel Wert auf Toleranz gegenüber anderen Kulturen. Dies zeigte sich auch in der Haltung gegenüber Einwanderern aus Indonesien, dessen Kolonialmacht sie einst waren und welches das bevölkerungsreichste muslimische Land der Erde ist. Neben Indonesiern erwiesen sich insbesondere Marokkaner und Türken als besonders einwanderungsfreudig. Einwanderer erhielten kinderleicht die niederländische Staatsangehörigkeit und wurden zugleich ermutigt, ihre mitgebrachte Kultur in der neuen Heimat weiterzuleben. Es wurden bewusst kulturelle Gruppen zur Immigration aufgenommen, verbunden mit hohem Appeasement gegenüber deren Traditionen und religiösen Ansprüchen.

Doch im Gegensatz zu den guten Erfahrungen, die man in früheren Zeiten mit jüdischen Einwandern und deren Nachkommen gemacht hatte, erwies sich die Koexistenz mit muslimischer Kultur als ungleich schwieriger. Zum einen verharrten die Einwanderer aus Indonesien in einem schwachen wirtschaftlichen Status; sie trugen weniger zur Belebung als vielmehr zur Belastung des niederländischen Wirtschafts- und Sozialwesens bei. Damit einher gingen auch erhebliche Probleme im Zusammenhang mit Kriminalität, insbesondere in den größten Städten des Landes. Neben dem sozioökonomischen Aspekt erlebten die Niederländer zudem die Notwendigkeit, sich mit einer explosiven Grundsatzfrage auseinanderzusetzen: Können wir die Tradition unserer immensen Toleranz auch gegenüber solchen Kulturen fortsetzen, deren Werte aus westlicher Sicht als intolerant einzustufen sind? Christentum und Judentum hatten sich in den Niederlanden längst zu einer christlich-jüdischen Kultur in Einklang begeben – aber wie ließ sich der Umgang mit dem Islam gestalten?

Zur Jahrtausendwende spürten die Niederländer – deutlich stärker als wir Deutschen –, wie drängend grundlegende Fragen von Immigration im Zusammenhang mit Islamismus und öffentlicher Ordnung waren. Doch wie auch heute in Deutschland war es zunächst die einfache Bevölkerung, welche wichtige Warnsignale erkannte. Die politische Elite in Den Haag übte sich hingegen im Ignorieren oder gar Schönreden. Wie in Deutschland noch zu Zeiten der Flüchtlingskrise 2015 wurden damals in den Niederlanden irrtümlich Menschen als „rechtslastig“ missverstanden oder gar bewusst in diese Ecke gestellt. Solch öffentliche Diffamierungen erwiesen sich als geistige Brandstiftung, die zu Beginn des Jahrtausends zu politischen Morden führte.

Pim Fortuyn, geboren 1948, thematisierte zur Jahrtausendwende, wie sehr die Islamisierung das tolerante Miteinander in Europa gefährdet. Als Professor für Soziologie hatte er sich in zahlreichen Publikationen immer wieder politisch geäußert. Leidenschaftlich sah er seine Berufung darin, die Freiheiten einer „offenen Gesellschaft“ zu bewahren, die er durch „naiven Multikulturalismus“ bedroht sah. Mit Hinblick auf seine eigene Homosexualität sprach er sich insbesondere gegen den politischen Islam aus, nachdem ihm ein Rotterdamer Imam gesagt hatte, Schwule seien „weniger wert als Schweine“. Genau mit dieser Wortwahl begegneten mir seit 2012 Salafisten an ihren Infoständen am Kölner Neumarkt. Ich konnte Pim Fortuyn nur noch zustimmen: Der politische Islamismus steht im unlösbaren Widerspruch zu einer modernen und toleranten Gesellschaft, insbesondere zu Lesben- und Schwulenrechten.

Über den Tellerrand der holländischen Mittelschicht hinwegschauend prangerte er Missstände in muslimischen Subkulturen an. Zutreffend stellte er fest, dass die Situation von Homosexuellen in westlichen Kreisen vergleichsweise paradiesisch sei. Wer mag es Pim Fortuyn verdenken, wenn er angesichts erwähnter Umstände den Islam eine „zurückgebliebene Kultur“ nannte? Wer mag es ihm verdenken, dass er sich nach besagten Aussagen des Rotterdamer Imams, Schwule seien weniger wert als Schweine, auch im eigenen Land bedroht fühlte?

Im August 2001 sagte Pim Fortuyn im Rotterdams Dagblad: „Ich bin für einen Kalten Krieg mit dem Islam. Den Islam sehe ich als eine außerordentliche Bedrohung an, als eine feindliche Gesellschaft.“ Dass diese Aussagen Fortuyns vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt waren, stellte ein Gericht ausdrücklich fest, nachdem ihn „linke“ und muslimische Gruppierungen wegen Diskriminierung angezeigt hatten.

Seine Partei – Liste Pim Fortuyn (LPF) – gründete der aufstrebende Politiker im Februar 2002, drei Monate vor der niederländischen Parlamentswahl. Die Ausrichtung dieser Partei ließ sich als „wehrhaft-liberal“ oder „nationalliberal“ einstufen, wurde jedoch in vielen Medien als „rechtsradikal“ verurteilt. Die Medienhetze war von etablierten Parteien unterstützt worden, teils, um einen unliebsamen Konkurrenten zu diskreditieren, teils, um sich bei der muslimischen Wählerklientel anzubiedern. Nichtsdestotrotz hatte die LPF Umfragen zufolge reale Chancen, bei der Parlamentswahl im Mai 2002 stärkste Kraft zu werden. Hiermit verbunden war Pim Fortuyns Chance, sogar Ministerpräsident zu werden, denn ein Großteil der niederländischen Bevölkerung sah in ihm – zu Recht – denjenigen Politiker, der offen Probleme ansprach, die zuvor der politischen Korrektheit geopfert worden waren: Parallelgesellschaften, Kriminalität, Verwahrlosung des öffentliches Raumes. In Rotterdam, wo solche Probleme besonders drängten, erhielt Fortuyns Partei im März 2002 aus dem Stand heraus 34 Prozent der Stimmen. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass diese Partei schließlich erst einen Monat zuvor gegründet worden war. Auch in den Umfragen zur Parlamentswahl wurden der LPF ähnliche Ergebnisse vorhergesagt.

Sein rasanter Aufstieg machte Pim Fortuyn zur Angstfigur des „linken“ Lagers. Radikale Gruppen zogen gar Parallelen zum Aufstieg der NSDAP und karikierten den Politiker mit Hakenkreuz-Uniform. Im April 2002 verübte eine linksradikale Studentengruppe ein Attentat auf Pim Fortuyn, als er gerade sein Buch Der Trümmerhaufen von acht Jahren violettem Kabinett vor laufenden Fernsehkameras vorstellte. Sein Auftritt war allein schon deshalb von medialem Interesse, weil jenes Buch auch das Wahlprogramm der Fortuyn-Partei beinhaltete. Unvermittelt schleuderte eine Studentin dem Politiker eine Sahnetorte ins Gesicht, welche offenbar mit Kot gefüllt war. Wenigstens war es eher ein Angriff auf Fortuyns Eitelkeit – und nicht auf sein Leben, wie bei dem späteren Attentat.

Bei genauer Analyse seiner politischen Programmatik wurde deutlich, dass Pim Fortuyn keineswegs in einer Ecke mit europäischen Rechtspopulisten stand. Zwar plante Pim Fortuyn für den Fall einer Regierungsübernahme einen sofortigen Aufnahmestopp für Einwanderer, doch zugleich versprach er Amnestie für jene Ausländer, die sich illegal in den Niederlanden aufhielten. Dieses passte in sein Konzept einer „Einwanderungspause, um die Zeit dafür zu bekommen, die schon vorhandenen Ausländer zu integrieren“. Mit solchen Amnestievorhaben sowie seiner integrativen Grundhaltung unterschied sich Pim Fortuyn von heutigen europäischen Rechtspopulisten wie Marie Le Pen oder auch Akteuren der AfD.

Alleine schon Pim Fortuyns Homosexualität und sein Bekenntnis zur offenen Gesellschaft machten es zum Unding, ihn als Rechtsextremisten zu stigmatisieren. Europa hatte seit 1990 erhebliche Mühen gehabt, die Folgen des kommunistischen Zusammenbruchs zu verkraften. Menschen aus Staaten des ehemaligen Ostblocks waren zuhauf Richtung Westen gezogen, auch in die Niederlande. Die Krise im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verstärkte diesen Zustrom insbesondere in der Mitte der Neunziger Jahre. Pim Fortuyn hatte Recht, als er feststellte, „der alte Kontinent“ müsse seine humanitäre Grundhaltung keineswegs aufgeben. Doch niemandem, auch nicht den bereits vorhandenen Ausländern, sei damit gedient, wenn zusätzlicher Zustrom aus muslimischen Staaten die Niederlande überstrapaziert.

Die niederländische Parlamentswahl war für den 15. Mai 2002 angesetzt, doch diesen Tag durfte Pim Fortuyn nicht mehr erleben. Am 6. Mai hielt sich der polarisierende Politiker im Mediapark Hilversum auf, dem Sitz zahlreicher Rundfunkanstalten. Ein öffentlich-rechtlicher Radiosender hatte ihn gerade interviewt, als er gegen 18 Uhr das Studio in Richtung Parkplatz verließ. Dort lauerte sein Mörder Volkert van der Graaf auf ihn.

Auf dem Weg zu seinem Auto trafen Fortuyn fünf Schüsse in Kopf, Brust und Hals. Herbeigerufene Notärzte versuchten noch vor Ort, das Leben des Politikers zu retten – diese Mühen blieben jedoch vergebens.

Volkert van der Graafs Biographie wies dezidiert-linksextreme Züge auf, schon lange war er polizeilich bekannt. Vor Gericht gab er den „Schutz von Muslimen“ als Hauptmotiv an. Sein Mordopfer sah er als potentielle Gefahr für das multikulturelle Zusammenleben.

Das niederländische Kabinett traf in Den Haag zu einer Sondersitzung zusammen, um über eine Verschiebung der Parlamentswahl zu beraten. Sämtliche Kabinettsmitglieder verurteilten das tödliche Attentat eilfertig aufs Schärfste – begleitet von wütenden Protesten. Vor dem Regierungssitz machten Hunderte von Demonstranten die etablierten Parteien für den Mord mitverantwortlich, sie drangen sogar ins Parlamentsgebäude ein. Gerne wäre ich bei diesen Protesten, die das Fernsehen live übertrug, leibhaftig dabei gewesen. Denn vollkommen berechtigt war der Vorwurf, dass insbesondere die Regierungsparteien geistige Brandstiftung zu Lasten Pim Fortuyns betrieben hatten. Jene Parteien begannen kritische Selbstreflexion – auch aufgrund der Befürchtung, ein „wirklich Rechter“ können nun das politische Vakuum füllen.

Die Parlamentswahl wurde nicht verschoben, sondern fand wie geplant am 15. Mai 2002 statt. Dass der Mord an Pim Fortuyn die Menschen mobilisierte, zeigte sich unter anderem in der Wahlbeteiligung, die deutlich höher war als bei den Wahlen zuvor. Die regierenden Sozialdemokraten Wim Koks wurden beispiellos abgestraft. Seit dieser Wahl hat nie wieder ein Politiker des „linken“ Lagers das Amt des Regierungschefs innegehabt, inzwischen regiert seit 13 Jahren der liberale Mark Rutte.

Mit naivem „Multikulti“ war seit der Wahl 2002 Schluss, ein strenges Einwanderungsgesetz trat in Kraft. Wer in das Land einwandern will, musste seitdem eine dreiteilige Prüfung erfolgreich bestehen. Zwei Bereiche drehen sich um die Fähigkeiten auf der sprachlichen Ebene; schließlich ist Sprache ein entscheidender Faktor des Zusammenlebens. Im dritten Teil der Prüfung wird Grundwissen über die niederländische Gesellschaft verlangt. Wer diese Prüfung bestehen will, kommt nicht um folgendes Wissen herum: Frauen und Männer sind gleichermaßen „frei“, mancherorts im wahrsten Sinne des Wortes. An zahlreichen Stränden dürfen Menschen beider Geschlechter völlig unbekleidet liegen. Und: Lesbische und schwule Paare können sich auf holländischen Straßen ausgiebig küssen. Mehr noch, sie können heiraten und Kinder großziehen. Wer Lesben und Schwule beleidigt, wird per Gesetz bestraft.

Geert Wilders hatte im Jahr 2004 die Partei für die Freiheit (PVV) gegründet und übernahm die Fortuyn-Agenda, zunächst insbesondere auch im Hinblick auf Lesben- und Schwulenrechte. Von 2010 an duldete Wilders‘ Partei zwei Jahre lang die Regierung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte. In dieser Zeit wurde auf Wilders‘ Initiative hin ein landesweites Burka-Verbot beschlossen.

Ob Wilders‘ heutige Agenda – der Kampf gegen die EU und das Paktieren mit Autokraten wie Orban und das Zusammengehen mit Le Pen und weiteren Rechtsextremisten im Europaparlament – im Sinne von Fortuyn ist, bleibt hingegen fraglich.

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