Corona-Pandemie in Deutschland: „Auf-Sicht-Fahren“ in eine ungewisse Krisenzukunft ohne valide Kenntnislage?

 In Spätkapitalistische Systementwicklung

Es mehren sich die Stimmen, die die Verhältnismäßigkeit und Undifferenziertheit des Corona-Notstandsregimes in Frage stellen, die damit verbundene Aufhebung wesentlicher Grundrechte als zu weitgehend kritisieren, vor einem digitalen „Corona-Überwachungsstaat“ warnen und die sozialökonomischen, soziopathologischen (häusliche Gewalt etc.) und psychischen Kollateralschäden des Shutdowns zur Sprache bringen. (Siehe Linkliste unten)

Fest steht jedenfalls, dass die Entscheidungsinstanzen weit davon entfernt sind, Handlungen und Maßnahmen auf der Grundlage wirklich valider Kenntnisse und Daten zu generieren. Was fehlt, ist vor allem der Aufbau einer aussagekräftigen Statistik zu Covid-19 als elementare gesellschaftliche Orientierungs- und Entscheidungsgrundlage. Eine solche Statistik müsste folgende Kerndaten erfassen:

  1. Infizierte insgesamt (zumindest halbwegs begründbare Schätzungen)
  2. Infizierte ohne (subjektiv wahrgenommene) Symptome
  3. Infizierte mit Symptomen
  4. Infizierte mit schweren Symptomen/Einlieferung ins Krankenhaus
  5. Infizierte mit schweren Symptomen/Intensivstationen
  6. Todesfälle/Alter/Darlegung der Vorerkrankungen (Tod durch oder mit Corona)
  7. Genesene

Was wir bislang wissen, ist u.a. Folgendes:

Eine anhand von chinesischen Fällen erstellte Studie[1] besagt: Bei Patienten mit Covid-19-Befund, die keine Vorerkrankungen (Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, chronische Atemwegserkrankungen, Bluthochdruck, Krebs) aufwiesen, betrug die Sterblichkeitsrate 0,9%.

Im Hinblick auf das Alter der Todesfälle ergab sich folgendes Bild:

80 Jahre und älter: 14,8%

70-79 Jahre: 8%

60-69 Jahre: 3,6%

50-59 Jahre: 1,3%

40-49 Jahre: 0,2%

30-39 Jahre: 0,2%

20-29 Jahre: 0,2%

10-19 Jahre: 0,2%

0-9 Jahre: 0,0%

Eine Studie, die online im Chinese Medical Journal veröffentlicht wurde, umfasste 78 Patienten mit COVID-19 und ergab, dass bei Personen mit einer Vorgeschichte von Rauchen die Wahrscheinlichkeit, eine Lungenentzündung zu entwickeln, 14 mal höher war[2]. Generell ist Rauchen ein bekannter Risikofaktor für Grippe. „ Menschen, die rauchen, sind bis zu einem gewissen Grad immunsupprimiert“, sagt Robert Tarran, Professor für Zellbiologie und Physiologie in Chapel Hill. „Sie produzieren mehr Schleim. Die Lunge wird nicht so gut gereinigt. Es gibt pro-inflammatorische Veränderungen; auch die Immunzellen werden verändert. Und all das führt dazu, dass sie im Grunde genommen eher Viren bekommen und ein schlechteres Ergebnis haben“[3].

Des Weiteren vermuten Mediziner, dass die Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck mit ACE2-stimulierenden Medikamenten das Risiko erhöht, schweres und tödliches COVID-19 zu entwickeln[4].

Eine Studie des italienischen Instituts für Gesundheit (ISS) analysierte die Daten von mehr als 2000 Covid-19-Todesopfern. Zudem wurden von 18 Prozent dieser Fälle die Krankenakten hinsichtlich Vorerkrankungen untersucht. Ergebnis: Nur drei Personen (0,8 Prozent der Untersuchten) hatten vor der Infektion keine Vorerkrankungen. „48,5 Prozent der Todesopfer hatten unter mindestens drei Vorerkrankungen gelitten. Bei 25,6 Prozent wurden zwei und bei 25,1 Prozent eine Vorerkrankung festgestellt. Mehr als drei Viertel der Untersuchten litten unter hohem Blutdruck, mehr als ein Drittel an Diabetes. Bei jedem dritten Verstorbenen wurde eine Herzkrankheit festgestellt. Das Durchschnittsalter der infolge einer Coronavirus-Infektion gestorbenen Menschen liegt in Italien bei 79,5 Jahren. Bis zum 17. März waren 17 Personen unter 50 Jahren an der Krankheit gestorben. Bei den Todesopfern unter 40 Jahren handelte es sich der Studie zufolge ausschließlich um Männer mit schwerwiegenden Vorerkrankungen – etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenleiden oder Diabetes.“[5]

In einer Studie von Ärzten der Uniklinik Aachen wurde eine Charakteristik von 50 hospitalisierten Covid-19-Patienten mit und ohne Akutem Atemnotsyndrom (ARDS) dargelegt. Deren mittleres Alter betrug 65 Jahre. Zwei Drittel waren Männer, ein Drittel Frauen. Alle 50 Patienten hatten bereits eine Vorerkrankung. 35 von ihnen hatten Bluthochdruck, 29 Diabetes, 25 eine Atemwegserkrankung, darunter das chronische Lungenleiden COPD, Schlafapnoe und Asthma. Zudem werden Herz-, Nieren- und Leberleiden sowie Krebserkrankungen genannt. Bei knapp der Hälfte der beschriebenen Patienten (24) zeigte sich ein schweres Lungenversagen, so dass sie eine Beatmung benötigten. In acht Fällen sogar die sogenannte extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO)[6]. Alle Patienten, auch die ohne ARDS, benötigten eine Sauerstofftherapie.

„Patienten, die ARDS entwickelten, waren im Vergleich zu denen ohne ARDS häufiger respiratorisch vorerkrankt (58% versus 42 %) und wiesen häufiger eine Adipositas (46% versus 23%) oder Übergewicht (38% versus 19%) auf.“[7]

Im Hinblick auf die Viruslast gab es zwischen den beiden Gruppen keinen Unterschied.

Sieben Patienten verstarben: Drei Patienten mit ARDS an einem Multiorganversagen, vier Patienten ohne ARDS, die selbst oder deren Angehörige eine intensivmedizinische Behandlung abgelehnt hatten, an Atemversagen (respiratorische Insuffizienz).

In einer Gruppe von 21 intensivpflichtigen COVID-19-Patienten aus den USA, so die Autoren der Aachner Studie, „wiesen insgesamt 86% der Patienten Komorbiditäten auf, wobei chronische Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz sowie COPD die am häufigsten vorkommenden Begleiterkrankungen waren.“

Weitgehend unklar bleibt vor diesem Hintergrund die Frage nach der Kausalität der aufgelisteten Todesfälle und damit auch nach der Seriosität der Sterbestatistik. Denn ein positiver Test kann letztlich nicht die Frage beantworten, ob der Patient durch oder mit SARS-CoV-2 verstorben ist. Angeführt wird in diesem Zusammenhang der erste Corona-Tote in Schleswig-Holstein. „Dies war ein 78‑jähriger Mann, der mit einem Ösophagus Karzinom (Speiseröhrenkrebs, H.K.) im Endstadium auf einer Palliativstation verstarb. Einige Tage vor seinem Tod wurde der Virusabstrich durchgeführt und nach seinem Ableben der Befund mitgeteilt, woraufhin er sofort in die Liste der Corona-Toten aufgenommen wurde.“[8]

Bemerkenswert ist hierzu auch die eher beiläufige Aussage des medial sehr präsenten Virologen Drosten: „Eine Sache, die häufig vergessen wird, ist, dass dieses Virus, das kann ich deswegen sagen, weil ich viel Erfahrung habe mit einem anderen Coronavirus, mit dem MERS-Virus in der arabischen Welt, diese Viren sind nosokomial-übertragene Viren, also Krankenhaus-übertragene Viren. Und was natürlich zusätzlich passiert, zusätzlich zu der normalen Infektionstätigkeit in der Bevölkerung, ist, dass sowohl in Krankenhäusern, die dort schon liegenden stets älteren und stets grunderkrankten Patienten, die damit einfach ein hohes Risiko haben zu versterben an dieser Erkrankung, die werden im Krankenhaus infiziert. Zusätzlich gilt das natürlich auch für Pflegeeinrichtungen.“[9]

Hier wird – so nebenbei – ein zusätzlicher, ebenso beängstigender wie skandalöser Sachverhalt angesprochen, der jenseits der breiten Öffentlichkeit schon lange vor und unabhängig von der Corona-Krise existierte und nach wie vor fortbesteht: „Experten schätzen, dass bis zu 600.000 Menschen pro Jahr in Deutschland Krankenhausinfektionen erleiden. Bis zu 20.000 von ihnen würden daran sterben, heißt es in einer Studie des Robert-Koch-Instituts. Deutlich mehr als bisher angenommen.“[10]

Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab zwischenzeitlich als Momentaufnahme bekannt, dass das Durchschnittsalter der als „Corona-Tote“ gelisteten Verstorbenen bei 80 Jahren liege. 87 Prozent seien 70 und älter gewesen. Der mit 28 Jahren jüngste Verstorbene habe an einer Vorerkrankung gelitten. Im Einzelnen ergab sich folgendes Bild:

Jünger als 60 Jahre: 31, davon 26 Männer, 5 Frauen

60 bis 69 Jahre alt: 44, davon 32 Männer, 12 Frauen

70 bis 79 Jahre alt: 130, davon 102 Männer, 28 Frauen

80 bis 89 Jahre alt: 305, davon 185 Männer, 120 Frauen

90 Jahre und älter: 71, davon 38 Männer, 33 Frauen[11]

Am 2. April 2020 teilte das RKI mit, dass von den gemeldeten Fällen 52% männlich und 48%weiblich waren. „Insgesamt sind von den Fällen 551 Kinder unter 5 Jahren, 1.431 Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren, 54.599 Personen im Alter von 15 bis 59 Jahren, 13.715 Personen in der Altersgruppe von 60 bis 79 Jahren und 4.469 in der Altersgruppe ab 80 Jahre). Bei 188 Personen war das Alter unbekannt. Der Altersmedian lag bei 49Jahren. Weiter hieß es in der Tagesmeldung: „Seit dem 09.03.2020 sind 872Personen in Deutschland im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung verstorben (…). Es handelt sich um 567 (65%) Männer und 304 (35%) Frauen, für eine Person ist das Geschlecht unbekannt. Der Altersmedian liegt bei 82 Jahren, die Spanne zwischen 28 und 105Jahren. Von den Todesfällen waren 751 (86%) Personen 70 Jahre und älter. Im Unterschied dazu beträgt der Anteil der ≥70-Jährigen an allen übermittelten COVID-19-Fällen nur 12%.“[12]

Die letzten übermittelten Zahlen lauten:

Johns-Hopkins-Universität:

100.009 festgestellte Infizierte

1.575 Todesfälle „in Verbindung“ mit Covid-19

RKI (Stand 5. April 2020):

91.714 festgestellte Infizierte

1.415 Todesfälle „in Verbindung“ mit Covid-19

28.700 Genesene

Ein vergleichender Blick auf die herkömmliche Grippewelle (Influenza) zeigte am 2. April folgendes Bild: Registriert wurden trotz der bestehenden Möglichkeit von Schutzimpfungen 181.912 bestätigte Fälle. 16 Prozent der Patienten mussten im Krankenhaus behandelt werden. „Insgesamt kam es während der Grippesaison 2019/2020 bisher zu 377 Todesfällen durch Influenza-Infektionen.“[13]

Als Grundbausteine einer angemessenen Strategie sollten – unabhängig von der noch zu ziehenden Bilanz der der gesellschaftlichen Kollateralschäden[14] – zumindest folgende Orientierungen gelten: Ein maximaler Schutz der identifizierten Risikogruppen, effektive Kontrolle der Infizierten sowie die Vermeidung überzogener Einschränkungen der Nichtinfizierten (z.B. das bayrische Verbot, alleine auf einer Parkbank zu sitzen[15]).

 

Ausgewählte Links zur kritischen Reflexion:

https://www.tichyseinblick.de/gastbeitrag/der-schwenk-wird-kommen-corona-und-die-gesellschaftlichen-folgen/

https://www.youtube.com/watch?v=UxaAgqBtn7A

https://www.br.de/nachrichten/wissen/bhakdis-brief-an-die-kanzlerin-was-ist-dran-an-seinen-fragen,RutYDhd

https://www.youtube.com/watch?v=1IiNB0hR7Ig

https://www.youtube.com/watch?v=VP7La2bkOMo

https://www.fr.de/politik/coronakrise-deutschland-kontaktsperre-koennte-rechtswidrig-sein-13611821.html

https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-03/gerd-gigerenzer-risiko-forschung-coronavirus-pandemie

https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-03/wirtschaftliche-folgen-coronavirus-pandemie-industrie-krise

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/wie-lange-reicht-das-geld-corona-koennte-millionen-deutsche-in-die-staatliche-grundsicherung-treiben/25709404.html

 

6.4.2020

 

Anmerkungen:

[1] https://www.worldometers.info/coronavirus/coronavirus-age-sex-demographics/

[2] https://www.scientificamerican.com/article/smoking-or-vaping-may-increase-the-risk-of-a-severe-coronavirus-infection1/

[3] Wie Fußnote zuvor.

[4] https://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(20)30116-8/fulltext

[5] https://www.welt.de/wissenschaft/article206649557/Coronavirus-Das-weiss-Italien-ueber-die-Toten.html

[6] Dabei wird Blut über eine Kanüle aus dem Körper in ein Gerät geleitet, das der Flüssigkeit Kohlendioxid entzieht und sie mit Sauerstoff anreichert.

[7] https://www.aerzteblatt.de/archiv/213454/Charakteristik-von-50-hospitalisierten-COVID-19-Patienten-mit-und-ohne-ARDS

[8] https://www.esanum.de/today/posts/wie-aussagekraeftig-sind-die-corona-tests

[9] https://www.ndr.de/nachrichten/info/24-Coronavirus-Update-Wir-muessen-weiter-geduldig-sein,podcastcoronavirus166.html

[10] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.krankenhausinfektionen-in-deutschland-bis-zu-20-000-todesfaelle-durch-krankenhauskeime.472413c0-214a-47fa-9c22-4e212d87189e.html

[11] https://www.watson.de/deutschland/coronavirus/787928049-rki-chef-gibt-altersstruktur-der-corona-todesfaelle-in-deutschland-bekannt

[12] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-02-de.pdf?__blob=publicationFile

[13] https://www.merkur.de/leben/gesundheit/grippe-20192020-aktuell-bereits-ueber-180000-bestaetigte-influenza-faelle-zr-13217816.html

[14] https://hintergrund-verlag.de/spaetkapitalistische-systementwicklung/krauss-hartmut-fest-im-griff-des-corona-virus-der-globale-kapitalismus-unter-quarantaene/

[15] https://www.deutschlandfunkkultur.de/rechtswissenschaftler-zu-kontaktsperren-das-geht-in-einem.1008.de.html?dram:article_id=473795

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