Fest im Griff des Corona-Virus. Der globale Kapitalismus unter Quarantäne
Die Corona-Krise entfaltet sich zunehmend als multidestruktive Entwicklungsdynamik mit gravierenden gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen, die in Ausmaß und Tiefe noch gar nicht absehbar sind. Wagen wir dennoch einen schemenhaften Ausblick:
Im öffentlichen Aufmerksamkeitszentrum stehen aus naheliegenden Gründen das überforderte und unzulänglich vorbereitete Gesundheitssystem und die von ihm ausgehenden „antiviralen“ Notstandsmaßnahmen, um eine Überlastung der anschwellenden intensivmedizinischen Versorgungsnotwendigkeiten auszuschließen[1]. Dabei dreht sich im Kontext der täglichen Infektions- und Sterbestatistik alles um das Konzept der „sozialen Distanzierung“ als regulative Lösungsstrategie. Infolgedessen kam es zu bislang hochverpönten Grenzschließungen, zur Stilllegung des Bildungssystems, der Suspendierung von öffentlichen Veranstaltungen (Messen, Sportveranstaltungen, Konzerte etc.), massiven Einschränkungen im öffentlichen Verkehrssystem, Aufhebung der Versammlungsfreiheit, rigiden Ausgangsbeschränkungen, extremen Kontaktverboten und insbesondere auch zu Zwangsschließungen von ökonomischen Einheiten unterschiedlichster Art, vor allem im Dienstleistungssektor (Beherbergungsbetriebe, Restaurants, Textilwarengeschäfte über Buchhandlungen, Friseurgeschäfte, Fitnessstudios etc.) bis hin zur Schließung von Großbetrieben (z.B. VW, Daimler, Opel).
Die Innenstädte gleichen ausgestorbenen Goldgräberstädten; in den Parks, Jogging- und Walkinggebieten korrespondieren die physischen Abstandsregeln bereits jetzt mit ebenso leeren und antisozialen Gesichtsausdrücken, wie man es bei noch erlaubten Freigängen von Zwangseinsiedlern durchaus vermutet. Supermärkte organisieren Einlasskontrollen und ergreifen Maßnahmen wie „Schließung bei zu großem Andrang“, die man sich an den EU-Außengrenzen gewünscht hätte/wünschen würde[2].
Die Mainstreammedien, die gestern noch jeden des Rechtsextremismus verdächtigt hatten, der sich nicht der verordneten islam- und migrationsapologetischen Staatsräson fügt, machen jetzt ganz plötzlich und „dick“ auf Solidarität. Doch die Gräben innerhalb der bereits schon vor der Corona-Krise hyperindividualisierten, extrem pluralisierten und polarisierten Gesellschaft waren, sind und bleiben tief. Die einen (Corona-Partygäste) freuen sich jetzt darüber, dass die alten weißen Männer dahingerafft werden und die gerechte Strafe für ihre Umweltsünden der letzten 50 Jahre bekommen. Andere fordern nun im Gegenzug die „Fridays for future“-SchülerInnen dazu auf, sich gefälligst bei der Spargelernte nützlich zu machen. (Eine Idee, die auch als Integrationstest für die Masse der großzügig und unbefristet alimentierten jungen „Schutzsuchenden“ taugte.) Eine muslimische Hetzerin hingegen benutzt den abgegriffenen Rassismusverdacht, um ihre im Durchschnitt jüngere Glaubensgemeinschaft vorgreifend für die Triage bzw. den Kampf um Beatmungsgeräte in Vorzugsstellung zu bringen.
In kürzester Zeit hat sich somit ein virologisch regulierter notstandspolitischer Staatskapitalismus etabliert, der bereits auch Verstaatlichungen ins Visier nimmt und insgesamt mit seiner massiven de-sozialisierenden Restriktionspalette bisherige totalitäre Dystopien weit übertrifft. Eine nachhaltigere Außerkraftsetzung hat die neoliberale Marktwirtschaft „auf eigenem Boden“ noch nicht erlebt, und die deutsche „Klasse der Lohnabhängigen“ war wohl seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie mit einer solchen Arbeitsplatzbedrohung und Existenzgefährdung konfrontiert. Manche sehen jetzt sogar – sicherlich übertrieben und vorschnell – bereits das Ende des globalen Kapitalismus gekommen. Auf jeden Fall aber wird das globalkapitalistische Herrschaftsregime vor dem Hintergrund der zu erwartenden Wohlstandseinbuße aus der aktuellen und neuartigen Krise massiv verändert und angeschlagen hervorgehen. Schon jetzt wirken die noch zirkulierenden konsumistischen Reklamebilder, die ungezwungene Lebensgestaltung, Lebensfreude und Unbekümmertheit designen, unter dem Damoklesschwert der Pandemie wie Abzeichen einer vergleichsweise goldenen Vergangenheit. „Lebensglück“ wird bis auf weiteres durch „Herdenimmunität“ verdrängt.
Es geht systemlogisch nicht darum, dass Sie und ich gesund bleiben, sondern dass das Virus uns möglichst nicht schnell auf einmal „trifft“. So weit so richtig und nachvollziehbar. Ansonsten bleibt sich aber jenseits der öffentlich-rechtlichen Beschallung jeder selbst der Nächste (im Folgenden natürlich beiderlei Geschlechts/Transsexuelle eingeschlossen): der junge Raucher; der ältere Fitnesssportler; der noch Berufstätige mittleren Alters, der öffentlichen Verkehrsmittel benutzen muss; der ein- oder mehrfach Vorerkrankte; der Hochbetagte; der vereinsamt-depressive Single und last but not least die minderausgestatteten Frontkämpfer im Gesundheitswesen.
Die allermeisten von uns werden die Pandemie höchstwahrscheinlich überleben, aber sich in einer stark veränderten, durch zahlreiche Kollateralschäden beeinträchtigten gesellschaftlichen Lebensumwelt wiederfinden. Abzusehen sind eine massive Rezession, einschneidende Wohlstands- und Einkommenseinbußen, zahlreiche Insolvenzen, rigide Verteilungskämpfe angesichts des verkleinerten Subventionskuchens sowie eine große Zahl psychisch beschädigter, stark verunsicherter und noch weiter sozial auseinander gerückter Mitmenschen, die sich nunmehr wechselseitig als Risikoobjekte wahrzunehmen gelernt haben („Komm mir bloß nicht zu nahe“.) Wohl dem, der in diesen Zeiten in der Lage ist, kleinere, aber stabile soziale Kontaktnetzwerke aufrechtzuerhalten, die über sinnlich-konkret ausgedünnte digitale Ersatzkommunikation hinausgehen. Auch die bereits jetzt schon kaum erträglichen massenmedialen Realitätsverzerrungen mit ihren verkleisternden Worthülsen werden vermutlich noch zunehmen, während die „alten“ Probleme, Konflikte und Polarisierungen sofort wieder „durchschlagen“.
Es besteht aber dennoch zumindest die Möglichkeit zur mittelfristigen Realitätsveränderung in Richtung auf eine stärkere Durchsetzbarkeit von kritischer Vernunft. Denn das Goldene Kalb des Globalisierungsfetischismus wird die Krise ebenfalls nicht unbeschadet überleben. Das betrifft insbesondere auch das globalkapitalistische Projekt der Schaffung multiethnischer/-kultureller Mischgesellschaften mit heterogenen bis antagonistischen Norm- und Wertorientierungen im Interesse der Erzeugung profitoptimierter Arbeits- und Konsumverhältnisse[3].
D.h.: Der postcoronale Kapitalismus wird als langjähriger gesamtgesellschaftlicher (ökonomischer, politischer, soziokultureller und psychologischer) Reha-Patient ein deutlich anderer (geschwächter) sein als der bisherige neoliberale Globalkapitalismus mit seinen Leitparolen und Konzepten wie Open society, No borders, no nations, Lobpreisung unregulierter Arbeitsmärkte, Diversity als Gral, vernetzte ökonomische Abhängigkeit mit weiten Lieferketten als Glaubensartikel, ungezügelter Marktfetischismus, überzogene Exportorientierung, Dämonisierung nationaler Souveränität, globale Migration als Heilsgeschehen etc. Kurzum: Dieser postcoronale Kapitalismus wird weniger bunt und mehr kreidebleich sein.
Anmerkungen:
[1] Schon jetzt werden aufgrund der Corona-Fixierung des Gesundheitssystems Operationen verschoben, der Gang zum Hausarzt unterdrückt und andere Gruppen von Schwerkranken in die zweite Reihe gerückt. In einem „Sonderbericht Wirtschaftsschutz“ des Bundesnachrichtendienstes (BND) wird zudem vor einer Verteuerung und Verknappung wichtiger Medikamente gewarnt. „Besonders betroffen sei die ‚Produktion von Antibiotika, von Schmerzmitteln, von Diabetesmedikamenten sowie Herz-Kreislauf-Medikamenten‘. Beispielsweise sei der Preis für das Antibiotikum Azithromycin (….) um 70 Prozent gestiegen. Aufgrund der ‚intransparenten Lieferketten‘ in China sei das Versorgungsrisiko für Deutschland kaum einzuschätzen.“ https://www.mdr.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/apotheke-engpass-medikament-corona-krise-100.html
[2] https://www.t-online.de/region/berlin/news/id_87579812/corona-in-berlin-supermarkt-schliesst-wegen-kundenandrang.html
[3] Siehe hierzu: http://www.gam-online.de/text-transferpolitikt.html